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Americana in Holland

Wer im Sommer durch die Niederlande fährt, der kann sich auf eine Reise ins Americana-Land begeben. Auf dem Zettel: Zwei Konzerte und ein Festival!

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Americana in Holland Americana in Holland - Bildrechte: Thomas Waldherr

Seit jeher gibt es in Holland ein großes Interesse an Country- und Americana-Musik. Es gibt eine rege holländische Countryszene – von „The Common Linnets“ bis hin zu Gruppen wie den hier ebenfalls schon vorgestellten „Music Road Pilots“. Und: Viele amerikanische Country- und Americana-Künstler, die selten bis gar nicht nach Deutschland kommen, bereisen regelmäßig unser westliches Nachbarland. Und so sind auch in diesem Sommer renommierte Country- und Americana-Künstler in den Niederlanden unterwegs. Grund genug, dem Land einmal einen Besuch abzustatten und Sommerurlaub und Americana-Reise miteinander zu verbinden. Vom „Basislager“ am Meer in der Nähe von Alkmaar aus, beuchten wir zwei Konzerte und ein Festival. Einhellige Meinung: Ein tolles Americana-Erlebnis.

The Deslondes in Amsterdam

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Unser zweiter Tag in Holland und schon geht es vom Meer in die Weltstadt Amsterdam. Nach einigem Suchen haben wir dann die Sugar Factory gefunden. Eigentlich eine große Event-Disco, wurde für den Auftritt der Jungs um Sam Doores ein recht kleiner Bereich an der Theke mit schwarzem Vorhang abgetrennt. Die Bühne ist kaum erhöht und in den Raum passen mit Ach und Krach vielleicht siebzig Leute. Am Ende waren es um die fünfzig, die sich hier versammelt hatten. Manchmal frage ich mich, was so manche US-Bands alles so über sich ergehen lassen müssen, um eine Europa-Tournee spielen zu können.

Doch auch wenn es das letzte Europa-Konzert der Band war, und die Location nicht der Bringer ist, ist der Band nichts anzumerken. Mit einer Mischung aus großer Spielfreude und Können sowie lockerer Professionalität bereiten The Delsondes denen, die gekommen sind, einen tollen Abend.
Frontmann der Gruppe ist Sam Doores, der aus der gleichen musikalischen Großfamilie stammt wie Alynda Lee Segarra, die wir eine Woche später mit ihrer Gruppe „Hurray For The Riff Raff“ in Utrecht sehen sollten. Beide waren Teil einer Gruppe von jungen Straßenmusikern, die ganz in der Hobo-Tradition quer durch die Staaten trampte. Sam hat Alynda die klassischen Songwriter Woody Guthrie, Hank Williams und Bob Dylan nahegebracht.

The Deslondes

The Deslondes – Bildrechte: Thomas Waldherr


Doch die „Deslondes“ sind mehr als einfach nur Sams Band. Sie sehen sich als demokratisches Kollektiv. Alle Bandmitglieder sind durchaus auf der Bühne gleichberechtigt, machen Ansagen und singen Songs, wobei dennoch Sam die meisten Anteile hier hat.

Doch bevor die Deslondes die Bühne betreten, spielt Indie-Folksänger Mat Davidson alias „Twain“ ein paar Songs, die leider allesamt zu schräg und verkünstelt (zu hoher Gesang!), als dass sie uns wirklich fesseln und berühren können. Doch als die Gruppe auf die Bühne steigt, ist Davidson mit dabei und steuert an diesem Abend E-Gitarre, Lap Steel und Geige bei.

Und los geht es mit dem typischen Deslondes Honky Tonk-Country-Folk-Soul. In der Besetzung Sam Doores (Gesang, Gitarre), Riley Downing (Gesang, Gitarre), Dan Cutler (Gesang, Bass), Cameron Snyder (Gesang, Percussion) und eben Mat Davidson.

Und nach ein paar wenigen Songs, sind sie voll drin und begeistern das Publikum mit ihren Songs wie „Less Honkin‘ More Tonkin“, „Those Were (Could’ve Been) The Days“ oder „Louise“. Neben gekonnten Arrangements begeistern sie immer wieder mit großartigem Harmoniegesang, der zu offenem Szenenapplaus führt. Nach drei Zugaben werden sie schließlich unter tosendem Applaus entlassen und haben wieder einmal bewiesen, was wir schon bei der Besprechung ihres Debütalbums geschrieben hatten: „The Deslondes sind die vielleicht letzten echten Country-Romantiker unserer Zeit.“

Roots In The Park: Hurray For The Riff Raff

Als wir gut eine Woche später das Festivalgelände von „Roots In The Park“ in Utrecht – klein und fein für etwas 3000 – 5000 Leute ausgerichtet, gegen Mittag betreten, steht das britische Country-Duo My Darling Clementine auf der Bühne. Michael Weston King und Lou Dalgleish beleben die alte Country-Duett-Tradition von Porter Wagoner & Dolly Parton, Johnny Cash & June Carter und Gram Parsons und Emmylou Harris wieder, dass es nur so eine Pracht ist.

Eher ein stimmungsmäßiges Tief erwischt uns dann mit dem nächsten Act. The Giant Tiger Hooch lässt kein abgedroschenes Bluesrock-Klischee aus. Wir nutzen die Zeit um die im Halbkreis gegenüber der Bühne aufgebauten Verkaufs- und Essenstände zu inspizieren. Alles da was man braucht: Cowboystiefel, Hemden und Hüte, Hamburger, CDs, T-Shirts und Sonnenbrillen sowie die Devotionalien der Bands. Wir essen was und betrachten die Bluesrocker aus der Ferne.

Nun ist es wieder Zeit näher an die Bühne zu treten. Wie entspannt das alles hier ist – toll! C.W. Stoneking steht auf der Bühne und spielt eine anfangs interessante Mischung aus Western Swing, Dschungelrhythmen und Southern Gothic. Unterstützt von einer reinen Frauenband klingt das am Anfang auch ganz interessant, gerät aber auf die Dauer etwas eintönig, da er immer wieder Variationen des scheinbar selben Themas spielt. Na, ja.

Alynda Lee Segarra

Alynda Lee Segarra – Bildrechte: Thomas Waldherr


Dann kommt Alynda Lee Segarra und Hurray For The Riff Raff auf die Bühne. Schnell fallen zwei Dinge auf. Allesamt tun sie sich schwer mit dem Soundcheck, da ständig lautstark Musik vom Band läuft und es fehlt die Geigerin Yosi Perlstein. Dadurch fehlen der Musik die typischen Folkelemente, dafür kommt ein stärkeres Folk-Rock-Feeling auf, dass vom ersten Song an – „End Of The Line“ vom letzten Album „Small Town Heroes“- bis zum Schluss trägt. Alynda bedankt sich artig und freundlich, ist aber stets ernst und distanziert bei den Ansagen. Bei den Songs dagegen ist sie voller Engagement und ihre oftmals anklagenden Texte werden von ihrer dicken Zornesfalte auf der Stirn noch unterstrichen. Ihre Songs handeln vom Leben abseits der Norm, künden von privater und gesellschaftlicher Rebellion oder ihrer persönlichen sexuellen Orientierung.

Insbesondere die Songs „The Body Elctric“ und der „St. Roch Blues“ werden zu eindringlichen Anklagen, deren faszinierender Vortrag absolut fesselnd ist. Und genau hier sprengt Alynda auch den Rahmen des konventionellen Americana. Die immer gern mitgesungenen Mörderballaden von Männern, die ihre untreuen Ehefrauen oder Geliebten getötet haben, werden von ihr seziert und in Frage gestellt. Warum haben diese Frauen den Tod verdient? Und warum dienen diese Songs darüber eigentlich der allgemeinen Belustigung und Mitgrölerei? Und wird sie als Person, die ihre Sexualität selbststimmt lebt, nicht auch immer in diesen Songs mitgetötet? Und überhaupt: „Kann mir vielleicht irgendwer mal sagen, was ein Mann mit einem Gewehr in der Hand zum Rettung einer Welt beitragen kann, die immer verrückter und trauriger wird?“ Wie hier der ganzen Mörderballaden-, Gewalt- und Waffentradition die Luft rausgenommen wird und der ganze amerikanische Waffenwahn frontal angegriffen wird, ist einfach nur befreiend und gut. Chapeau, Alynda!

Dazwischen sorgen weniger aufwühlende Songs wie „Crash On The Highway“ und „Blue Ridge Mountain“ einfach für gute Stimmung und gute Unterhaltung, so dass am Ende ein absolut starker und stimmiger Auftritt von „Hurray For The Riff Raff“ steht, der wieder einmal gezeigt hat, wieviel Potential in Alynda Lee Segarra steckt. Die Singer-Songwriterin ist noch sehr entwicklungsfähig, so dass man sich absolut darauf freuen kann, was sie in Zukunft noch alles schaffen wird.

Roots In The Park: Ryan Bingham

Jetzt geht’s Schlag auf Schlag, denn als nächster steht Ryan Bingham auf der Bühne im Utrechter Julianapark. Sein Stern ging mit dem Erfolg des Films „Crazy Heart“ auf. Jeff Bridges spielte einen abgehalfterten Countrysänger und Ryan ersann dazu die Ballade „The Weary Kind“, für die er einen Oscar bekam. Wir sahen ihn zu dieser Zeit in Köln und seitdem sind ein paar Jahre vergangen. Und tatsächlich bekommen wir einen anderen Ryan Bingham als damals zu sehen. War er zu jener Zeit eher introvertiert und ein bisschen schüchtern, so ist er diesmal weitaus extrovertierter, lacht offen und hat sichtlich Spaß am öffentlichen musizieren.

Begleitet von Fiddle Player Richard Bowden und Gitarrist Daniel Sproul legt Bingham in der Folgezeit einen wunderschönen, ebenso intensiven wie federleichten Auftritt hin. Ganz entspannt im Hier und Jetzt und völlig unprätentiös strahlt er jedoch eine starke Bühnenpräsenz aus. Er beginnt mit „Countryroads“ vom Album „Roadhouse Sun“, später folgen u.a. „Nobody Knows The Trouble“, „Snowfall in June“, „Broken Heart Tattoos“ vom aktuellen Album „Fear And Saturday Night“ und er streift mit weiteren Songs fast alle seine Alben. Immer wieder zeigt er sich genauso wie das Publikum begeistert von der Spielfreude Bowden, den er als besten Fiddler des Rock’nRoll vorgestellt hat. Dann Überraschung im Publikum, als Bingham einen Bob Dylan-Song ankündigt. Mit seinen Bühnenkumpanen legt er dann eine wunderschöne Coverversion von „Don’t Think Twice, It’s Allright“ vor.

Ryan Bingham

Ryan Bingham – Bildrechte: Thomas Waldherr


Eine klare Verbeugung vor einem seiner Helden, dem er ja schon auf „Roadhouse Sun“ mit „Dylan’s Hard Rain“-Tribut zollte und in dessen Fußstapfen er ja als einer der besten aktuellen Americana-Singer-Songwriter und Filmmusik-Oscar-Preisträger ohnehin unterwegs ist. Das Publikum feiert ihn zu Recht. Auf ihn folgen im Utrechter Julianapark noch die Blueslegende Keb‘ Mo‘ sowie die Südstaaten-Rocker von Blackberry Smoke. Der etwas martialisch und traditionell-männlich orientierte Habitus von „Blackberry Smoke“ wirkt aber angesichts neuer Americana-Künstlerinnen wie Alynda Lee Segarra immer antiquierter und anachronistischer.

Pokey LaFarge im Paradiso

Schon das ganze Jahr freuen wir uns auf das Amsterdamer Konzert von Pokey LaFarge. Der steht schon lange auf unserer Liste, doch ein Konzert im Rhein-Main-Gebiet kam vor einigen Jahren nicht zustande und die üblichen drei Auftritte solcher Acts in Deutschland – Hamburg, Berlin, Köln, sind für uns im Alltag nur schwer machbar. Pokey war somit eigentlich die Initialzündung für unseren Americana-Urlaub.

Pokey spielt an unserem letzten Urlaubswochenende in Amsterdam, im Paradiso. Ähnlich wie das Ryman Auditorium ist das Paradiso ein säkularisierter Kirchenbau. Und ähnlich markant ist auch hier der große Saal mit der umlaufenden Sitzplatz-Galerie in der ersten Etage und den Kirchenfenstern auf der Bühnenseite.

Während also Pokey bei uns zur Promo in kleine Großstadt-Clubs geschickt wird, füllt er in Holland an diesem Abend den großen Saal im Paradiso, der 1.500 Leute fasst. Ausverkauft! Sensationell. Pokey kommt an bei den Holländern, und das scheint ihn auch an diesem Abend zu beflügeln. Von Anfang an hat er die Leute im Griff. Mit seiner Band – Adam Hoskins an der Gitarre, Joey Glynn am Stehbass, Ryan Koenig an Mundharmonika und Banjo, Luc Klein an der Trompete, Alec Spiegelman am Saxophone und Matthew Meyer am Schlagzeug – spielt er ein mehr als zweistündiges, unterhaltsames, packendes und brillantes Konzert.
Pokeys Musik ist die Musik, die in den 1930er Jahren in St. Louis, Missouri, gespielt wurde. Ragtime, Western Swing, Blues und frühe Countrymusik. Dabei sind aber auch immer wieder Latino- und Klezmer-Sprengsel eingestreut, die die Variationsmöglichkeiten erhöhen und auch deutlich machen wie breit die amerikanische Rootsmusik eigentlich ist und eine Abschottung gegenüber neuen Einflüssen daher völlig sinnlos ist.

Pokey LaFarge

Pokey LaFarge – Bildrechte: Thomas Waldherr


Pokey, der im Outfit und Habitus an Jimmie Rodgers erinnert, der neben Bill Monroe und Willie Dixon sicher zu seinen wichtigsten Einflüssen gehört, spielt an diesem Abend Songs von allen seinen Alben und ein paar Live-Knaller: „Something In The Water“, „Goodbye Barcelona“, „City Summer Blues“, „Actin‘ Fool“, „Drinkin‘ Whiskey Tonight“ und natürlich den Participation Song überhaupt: „La La La“. Überraschend dagegen für ihn ist die Wahl eines Bob Dylans-Songs. Er hat sich für Dylans alten Honky-Tonk-Schieber „I’ll Be Your Baby Tonight“ entschieden. Pokey kennt auch diese Spielarten der Rootsmusik, nicht umsonst hat er seinen Künstlernamen nach dem Folksänger Peter LaFarge gewählt. Er wurde als Andrew Heissler in Bloomington, Illinois, geboren und Pokey war ein Spitzname seiner Mutter für ihn, wenn sie ihn mal wieder mahnte, nicht so rumzutrödeln.

Nein, trödelig ist dieser Pokey heutzutage und an diesem großartigen Abend in keiner Weise. Er hält das Tempo hoch, hat eine starke Bühnenpräsenz und ist eine richtige Rampensau. Seine Art von Entertainer ist immer sehr überzeugt von sich, aber dennoch nah am Publikum. Und er hat eine großartige Interaktion mit der Band. Immer wieder fordert er sie zu Soli heraus, lobt sie und spornt sie an. Optischer Kontrapunkt zu ihm, dem schicken Dandy bildet Ryan Koenig, der eher als Landei daherkommt und deshalb auch einen Old Time Country-Song mit Jodler beisteuert. Genial.

Genial wie das gesamte, begeisternde Konzert, das nach vielen, vielen Zugaben erst endet und genial wieder dieser ganze Americana-Urlaub. Americana hat in Holland wirklich eine besondere Bedeutung, davon konnten wir uns überzeugen. Das werden wir bestimmt wiederholen!

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Über Thomas Waldherr (804 Artikel)
Redakteur. Fachgebiet: Bob Dylan, Country & Folk, Americana. Rezensionen, Specials.
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