John D. Loudermilk: Immer den Schalk im Nacken
Sie wird mir immer in Erinnerung bleiben, die Begegnung mit einem der großen Songschreiber, einem intelligenten, sehr vielschichtig interessierten Mann. Was hat dieser John D. Loudermilk für Songs geschrieben. Von Texten mit Tiefgang bis hin zu komplettem Blödsinn reicht seine Palette. Auch wenn er sich seit Jahren bereits aus der aktiven Szene zurückgezogen und sich anderen Interessen (darunter die Ethnologie) zugewendet hat, seine geistigen Kinder bleiben im Gespräch, gefragt und werden immer wieder aufgenommen. Es dürften über 1000 Songs sein, die er geschrieben und entweder selbst gesungen bzw. anderen Künstlern überlassen hat.
Eine Statistik, die sicher nicht einmal vollständig ist, besagt, dass es von Loudermilk’s „Tobacco Road“ allein knapp 200 Versionen auf Tonträgern gibt. Diese Hitliste geht weiter über „Then You Can Tell Me Goodbye“ – „Abilene“ – „Break My Mind“ – „Windy & Warm“ – „Sad Movies“ – „Indian Reservation“ – „Talk Back Trembling Lips“ – „Norman“ bis hin zu „Bad News“. Allein Sue Thompson und George Hamilton IV haben beide je mehr als 20 Loudermilk-Songs aufgenommen. Es gibt wohl kaum Jemanden, der sich für Country Music interessiert und keinen Loudermilk-Song kennt! Wer das Glück hat, sich mit Mr. Loudermilk längere Zeit und völlig ungezwungen zu unterhalten, der erfährt nicht nur über ihn selbst etwas sondern wird in seinen bisweilen urkomischen Aussagen (und Lied-Texten) sehr viel Hintergründiges entdecken.
Zu seiner Person zunächst das Wichtigste. Durham, North Carolina heißt sein Geburtsort, wo er sich am 31. März 1934 als Erdenbürger meldete. Vater Loudermilk war Zimmermann, wie schon der Großvater. In den bescheidenen Verhältnissen spielte die Heilsarmee eine wichtige Rolle. In einer Band der Heilsarmee versuchte er sich zuerst als Musiker. Trompete, Saxophon, Trombone, Basstrommel waren Instrumente, die er bald beherrschte. Typisch für ihn, was er über seine Jugend so sagt: „Ich wuchs zwischen Zigarettenfabriken und Universitätsgebäuden auf. Wir sind dauernd umgezogen. Als ich das Elternhaus verließ waren es 19 Umzüge gewesen, nie hatten wir den Schuldistrikt aber verlassen. Ich sollte wohl Prediger werden, stattdessen wurde ich Teenager und machte Musik.“
1947 startete Loudermilk mit seiner ersten Radioshow in Durham. „Eines Tages schrieb ich ein Gedicht mit dem Titel „A Rose And A Baby Ruth“, es ging um einen Schokoladenriegel. Mir gefiel mein Werk, ich schrieb eine Melodie dazu und spielte das in meiner Show. Da riefen die Leute an, sie wollten es wieder hören. Einer der Anrufer war George Hamilton IV, der in Durham die Uni besuchte. Er nahm den Song auf und hatte einen Hit. George war auf einmal ein Star und ich ein Songschreiber!“ Das war die richtige Ermutigung, Loudermilk schrieb fleißig weiter, darunter den Eddie Cochran Hit „Sittin‘ In the Balcony“. Fast zwangsläufig siedelte er um nach Nashville. Die Teeny-Pop-Szene war dankbarer Abnehmer für u.a. „Halfbreed“ und „Stayin‘ In“. Doch hatte der Mann selbst auch gesangliche Ambitionen, die sich jedoch nie erfüllten. Zwischen 1956 und 1958 machte er als „Johnny Dee“ Platten, doch nur „Sittin‘ In The Balcony“ tauchte in den Charts auf. Obwohl er auch später immer wieder bemerkenswerte Alben machte, blieb er ein weitgehend unbekannter Sänger.
1957 heiratete er die Organistin Gwynn Cooke, ging nach Washington und wurde Tanzlehrer. Eine gänzlich unbefriedigende Sache, bald waren die Loudermilk’s zurück in Durham. Der Versuch, es mit eigener Band zu riskieren, ging voll in die Hose, es gab nur Ärger. Damit war für ihn das Kaiptel Sänger erledigt (wenngleich er noch Jahre als Sänger immer wieder auftrat). Er konzentrierte sich ganz auf’s Komponieren und Texten. Zur Freude vieler Sänger, die ihm seine Werke nur zu gerne abnahmen. Wie schon erwähnt, ging Loudermilk nach Nashville, wo er 1960 einen Autorenvertrag bei Acuff Rose unterschrieb – und bei RCA als Sänger anheuerte. Diesmal war ihm als Sänger mehr Beachtung vergönnt. Insbesondere „Blue Train“ und „Language Of Love“ sind zeitlos beliebte Stücke. Erneut spielte George Hamilton IV eine wichtige Rolle, denn er machte aus Loudermilk’s „Abilene“ einen Country-Klassiker. Es gehört zu Loudermilk’s Wesen, sich vielseitig interessiert zu zeigen und immer bereit zu sein, Neues zu versuchen. Das zeigt sich auch an den Inhalten seiner Songs, ich kenne keinen Autoren, der eine so breit gefächerte Skala abdeckt. Er war es, der sich maßgeblich für einen besseren rechtlichen Schutz in Sachen Songschreiben engagierte. Im Laufe seiner langen Karriere fungierte er auch immer als Funktionär. Seine kämpferische Natur brachte der meist verschmitzt drein blickende Loudermilk auch im sozialen Bereich zur Geltung Soweit es die amerikanische Musik in ihrer ursprünglichen, folkloristischen Form angeht, hat er regelrechte Studien unternommen und auch darüber referiert.
In seine fortgeschrittenen Jahren zog sich John D. Loudermilk nach und nach ganz aus dem aktiven Musik-Business zurück. Von den Tantiemen seiner vielen Hits kann er gut leben und sich seinen Hobbies widmen, zu denen vor allem die Ethnologie gehört. Immer noch ist er ein faszinierender Erzähler, der hin und wieder auch noch einmal ans Mikrophon tritt. Ein zufriedener Mensch ist er geworden, von dessen Kunstfertigkeit zahllose Sänger profitierten und es immer noch tun. Er selbst bezeichnet manche seiner Songs als „idiotisch, kompletten Blödsinn“, betont aber gleichzeitig, dass man einen Song überall finden kann, selbst dort, wo Niemand einen solchen vermutet.
Einige große Erfolge seien noch genannt: „Waterloo“ (Stonewall Jackson), „Ebony Eyes“ (Everly Brothers) „James“ (Sue Thompson) – war in Deutschland auch mit Danny Mann als „James, halt die Leiter gerade“ in den Charts – „This Little Bird“ (Marianne Faithfull), „Indian Reservation“ (Don Fardon), „The Great Snow Man“ (Bob Luman), „Interstate Forty“ (Bob Luman), „Follow Your Drum“ (Don Fardon), „It’s My Time“ (Jody Miller). Einige Passagen aus einem Interview, das ich mit Loudermilk bereits Mitte der 80er Jahre geführt habe, mögen die besondere Ausstrahlung dieses einfach liebenswerten Künstlers verdeutlichen:
Manfred Vogel: Hast Du „A Rose And A Baby Ruth“ für George Hamilton IV geschrieben?
John D. Loudermilk: Nein sondern wie fast alle Lieder für mich selbst. George sang es dann auch – aber besser. Ich schreibe in erster Linie für mich selbst, es ist meine persönliche Aussage.
Manfred Vogel: Sollte ein Autor seine Songs grundsätzlich selbst singen?
John D. Loudermilk: Das ist nicht immer möglich. Manchmal ist meine Stimme dazu einfach nicht in der Lage, etwas wiederzugeben, was ich schreibe. Etwa wenn es Lieder für Frauen sind. In der Regel sehe ich mich aber selbst als Sänger. Jeder denkt doch, er habe die schönste Stimme der Welt. Ich auch, ich glaube, meine Stimme ist schön. Es ist ein Jammer, dass der Rest der Welt dies nicht erkannt hat.“
Manfred Vogel: Du bist vielseitig interessiert, kommst auch viel herum. Ist das Erlebte wichtig für die Songs, die du schreibst?
John D. Loudermilk: Ich schreibe gern über Erlebtes, dafür musst du die Erlebnisse aber erst mal haben. Meine Songs zeigen oft, womit ich mich da gerade befasst habe. Übrigens gibt es eigentlich kein Original-Material mehr. Du musst viele Lieder stehlen. Jemand sagte einmal, Originalität ist nichts anderes als ein ungewolltes Plagiat.
Manfred Vogel: Das bedarf einer Erläuterung, ich verstehe es nicht …
John D. Loudermilk: Permanent nimmt man im Unterbewusstsein etwas auf. Von einem befreundeten Psychologen habe ich mich in eine Art Hynose versetzen lassen, um mir über mich selbst klar zu werden. Dabei fand ich Folgendes heraus: Als ich etwa 6 war, gab es im Radio die Sendung „Ma Perkins“. Jeden Tag nach der Schule lief ich nach Hause und hörte diese Sendung, die von einer Backpulverfirma gesponsert wurde. Jedes Mal wurde ein bestimmter Song gespielt (er summt die Melodie dazu). 14 Jahre später schrieb ich „A Rose And A Baby Ruth“ und war überzeugt, dies sei mein erster eigener Song. Es war aber nichts Anderes als das Commercial aus „Ma Baker“, das ich im Refrain verarbeitet hatte. Ich weiß, dass man das auch auf andere Gebiete übertragen kann. Für jedes Buch, jeden Song, jede Erfindung gibt es irgendwo eine Vorlage, auch wenn sie sehr, sehr lange zurück liegen mag. Man sollte daher aufpassen, wovon man beeinflusst wird. Ist man in schlechter Gesellschaft und distanziert sich nicht, passt man selbst bald dort hinein. Ich suche mir meine Freunde aus gutem Grund sehr sorgfältig aus!
Manfred Vogel: Hat das etwas damit zu tun, dass Du auf der Bühne meist ohne Musiker arbeitest?
John D. Loudermilk: Das ist Vertrauenssache. In mich selbst habe ich genug Vertrauen. Ich habe den Fuß, um die Drums in Gang zu bringen, denn die Mundharmonika für die Melodie oder Effekte und die Gitarre, die als Piano dient. Dann ist da noch die Stimme. Auf all dies kann ich mich verlassen, sie lassen mich nicht im Stich, sind nicht betrunken, unpünktlich oder haben gerade keine Lust. Niemand ist perfekt aber ich weiß, wenn ich meinen Fuß bewege, spielen die Drums. Bei einer Band weiß man nicht was wird.
Manfred Vogel: Deine Frau ist immer dabei, auch die beiden Söhne sieht man meist in deiner Nähe. Bedeutet Dir Familie soviel?
John D. Loudermilk: Meine Frau nehme ich überall mit, ich trete in keinem Ort auf, an den meine Frau nicht mitkommen kann, wenn sie das will. Ich möchte, dass ich die gleichen Erlebnisse mit ihr teilen kann. Meine Familie ist mir sehr wichtig. Gerade in der Country Music findet man die stärksten Familienbande, da gibt es die meisten Familiengruppen. Das Beste ist, du nimmst deine Familie mit, lass sie teilhaben, lass sie mitmachen.
So ist er, John D. Loudermilk ist erfreulicherweise bei guter Gesundheit, er will und kann sein Leben genießen.