Various Artists: The Lost Notebooks Of Hank Williams
Als Hank Williams, Country-Legende und „Hillbilly-Shakespeare“ für die Ewigkeit, am Neujahrstag 1953 im Alter von nur 29 Jahren starb, hinterließ er eine alte braune Aktentasche aus Leder. Ihr Inhalt waren einige Notizbücher mit Songtexten und Textfragmenten. Mehr als 58 Jahre später erscheinen nun dieser Tage mit The Lost Notebooks Of Hank Williams erstmalig auf CD Vertonungen dieser Texte.
Hank Williams‘ Mutter Lilian Stone hatte nach dessen Tod dem Songverlag Acuff-Rose Publications, in dem Hanks Songs erschienen waren, die Notizbücher übergeben. Wesley Rose erwarb die Rechte an den insgesamt 66 Songs, die Notizbücher verschwanden im Safe und zogen bei jedem Eigentümer-Wechsel des Songkatalogs mit um und waren fast vergessen. Doch in den letzten 10 Jahren, als eine Rückbesinnung auf traditionelle Country- und Folkmusik stattfand und auch Hank Williams mit neuen Zusammenstellungen seiner Songs geehrt wurde, da war die Zeit endlich reif für die Vertonung seines Nachlasses. Jetzt musste es nur noch jemand in die Hand nehmen.
Die Meriten dafür verdienen vier Frauen und die Musiklegende Bob Dylan. Ende 2002 treffen sich Kyra Florita, die für die ausgezeichnete CD-Box „The Complete Hank Williams“ verantwortlich war, Peggy Lamb; die als Mitarbeiterin des Acuff-Rose-Songverlages die Notebooks über die Jahre, in denen der Verlag mehrmals seine Eigentümer wechselte, stets begleitete, Musibusiness Veteranin Mary Martin sowie Sony/ATV-Managerin Donna Hilley und erörtern beim Lunch, was wohl mit diesen Texten geschehen sollte. Das Damen-Quartett einigt sich schnell: Ein Künstler, der selber ein Songwriter sein sollte und Hank Williams stets als sein Vorbild begriffen haben müsste, würden sie dazu einladen, die Songs zu vertonen. Und ebenso schnell fällt ein Name: Bob Dylan.
Der hatte über die Jahre immer wieder Hank Williams als einen seiner wichtigsten Einflüsse gepriesen: „Vor Woody Guthrie war Hank Wiliams mein bevorzugter Songwriter, wobei ich ihn zuerst als Sänger wahr nahm“, schreibt er in seinen Chronicles. Also nahm Dylan dankend an, entschied jedoch zusammen mit Mary Martin, dass das Projekt nicht alleine auf seiner Schulter ruhen sollte. Also wählten Sie Musikerkollegen aus, die ebenfalls in der Tradition von Hank Williams standen. Texte wurden verschickt, Einspielungen wurden vorgenommen. Mal stockte das Projekt, dann nahm es wieder Fahrt auf, zeitweise hatte man den Eindruck es könnte unvollendet bleiben. So dauerte die Fertigstellung und Veröffentlichung bis zu diesem Jahr. Das Ergebnis sind die 12 Songs dieses Albums.
Mit dabei sind viele bedeutende Künstler: Jack White, der mit der Zusammenarbeit mit Loretta Lynn und Wanda Jackson zuletzt seine Country-Affinität bewies. Bei „You know That I Know“ begibt er sich mit seinem bizarren „Schluchz-Tremolo“ auf Retro-Pfade. Alan Jackson, einer der erfolgreichsten und wichtigsten zeitgenössischen Country-Stars spielt Hank auf sehr traditionelle Weise, so könnte der „Lovesick-Cowboy” „You’ve been so lonemsome, too“ selber vertont haben. Lucinda Williams dagegen, die seit „Car wheels on a gravel road“ sich von Country-Einflüssen etwas entfernt hat, drückt „I’m So Happy I Found You“ ihren eigenen Stempel auf. Kein Wunder, hat sie das Lied doch zu ihrer eigenen Hochzeit eingespielt. Aber Lucinda wäre nicht Lucinda, wenn sie nicht auch einem fröhlichen Lied noch eine dunkle Seite verpassen könnte. Sheryl Crow wiederum, die schon mit den Country-Altmeistern Johnny Cash und Willie Nelson musiziert hatte, macht aus „Angel Mine“ einen wunderschönen zartbitter-süßen Country-Gospel.
Norah Jones dagegen klingt bei „How Many Time You Broken My Heart?“ seltsam verhalten, hier scheint der Respekt vor der Musiklegende zu hemmen. Wieder ganz traditionell eignen sich die Altmeister Vince Gill und Rodney Crowell „I Hope You Shed A Million Tears“ an. Routiniert, eingängig und souverän begeben sie sich auf die traurigen Liebespfade dieses Williams-Songs. Süffig und beschwingt mit trotziger Haltung klagt dann Patty Loveless den Geliebten mit „You’re Through Fooling Me“ an. Einer der Höhepunkte des Albums ist dann ereicht, wenn der große Levon Helm aus „You’ll Never Again Be Mine“ ein denkwürdiges Stück Americana macht. Der Arkansas-Boy Levon kommt dem Alabama-Jungen Hank so nahe wie kaum ein anderer auf dieser Platte.
Danach tritt die vierte Williams-Generation auf den Plan. Holly Williams singt „Blues Is My Heart“ mit genau der richtigen Portion Melancholie, während Jakob Dylan mit einem für seine Verhältnisse fast schon überbordenden Temperament sehnsüchtig „Oh Mama Come Home“ anstimmt. Selten hat uns Dylan Jr. so expressiv seine Stimme hören lassen wie auf diesem wunderschönen Track. Einen weiteren Höhepunkt und den Abschluss des Liederreigens bildet dann Merle Haggard, der als einer der letzten lebenden Country-Klassiker die Idealbesetzung für das meditative „The Sermon On The Mount“ ist.
Und Mr. Dylan Senior? Der alte Fuchs begibt sich auf den Tanzboden und lässt uns bei „The Love That Faded“ im Walzertakt bei schunkeln. Das passt ungemein gut zum Text, den His Bobness mit einer sehr altersweisen, stoischen und augenzwinkernden Haltung – „so ist das Leben, so ist die Liebe“ – singt.
Fazit: Ein sehr gelungenes Projekt und ein hörenswertes Album, das wundervolle, sehr gute und gute Vertonungen der Hank Williams-Texte enthält und eine notwendige Rückbesinnung auf den einflussreichen Singer/Songwriter Hank Williams leistet. „The Lost Notebooks“ ist auf Bob Dylans eigenem Plattenlabel Egyptian Records erschienen und liefert die musikalische Begleitung zur Ausstellung „The Williams Family Legacy“, die in der Country Music Hall Of Fame in Nashville bis zum 31. Dezember 2011 zu sehen ist. Hall of Fame-Mitarbeiter Michael McCall hat denn auch sehr lesenswerte Liner Notes beigesteuert, die Williams Songwriting und seinen Einfluss auf die Country-Musik in der unmittelbaren Nachkriegszeit, als sich erstmals tradierte Haltungen, Rollenverhältnisse und Moralvorstellungen zu verändern begannen, untersuchen.
Dass aber Bob Dylan, der ja quasi die Initialzündung für das Projekt war, so ganz in den Hintergrund tritt – es gibt einen Trailer zum Album mit vielen Beteiligten, in dem aber noch nicht einmal sein Name fällt – befremdet zuerst, ist aber wahrscheinlich wieder ein richtiger Dylan: Der Alte ist bescheidener als Viele denken, ohnehin kamerascheu und wahrscheinlich mit dem Kopf schon wieder bei ganz andere Projekten, auf die wir uns freuen können.
Trackliste:
01. You’ve Been Lonesome, Too – Alan Jackson |