Chet Atkins: Country Gentleman und Gitarrenvirtuose
Am 20. Juni 2024 wäre der große Gitarrist und Produzent 100 Jahre alt geworden. Ein Grund mehr seiner Rolle in der Geschichte der Countrymusik einmal nachzuspüren.
Country Gentleman ist nicht nur ein Instrumental von 1953, nein, es ist auch einer der Spitznamen des Gitarristen und legendären A&R-Manns Chet Atkins. Chet Atkins, der vor nun mehr 100 Jahren geboren wurde, hat für Fans des „Golden Age of Country“ ganz unterschiedliche Bedeutung. Ja, man kann sagen, an ihm scheiden sich die Geister: Die einen sehen in ihm einen bedeutenden Plattenproduzenten, die anderen sehen ihn als treibende Kraft hinter der Kommerzialisierung von wahrer Countrymusik hin zu seichtem Easy Listening Pop.
Beides ist nur eingeschränkt richtig. Das Erste wohl deshalb, weil er bei den unzähligen Platten, bei denen er unter den Producer Credits geführt wird, längst nicht immer die Aufnahmen im heutigen Sinne produziert hat, d.h. diesen seinen Stempel in Arrangement und Sound aufgedrückt hat. Daran haben Arrangeure und Musiker ebenso großen Anteil. Seinerzeit war es bei den Plattenfirmen aber gang und gäbe, die Verantwortlichen, d.h. diejenigen, die man gemeinhin A&R Manager nennt, auch als Produzenten der Sessions zu führen. Wer also die Country-Sparte einer Plattenfirma verantwortete, landete auf jeden Fall auf dem Rücken der Schallplatte. Bei Capitol Records war dies Ken Nelson, bei Columbia Records Don Law und bei RCA in den 1960ern Chet Atkins.
In Wahrheit produzierten die Musiker des Nashville A-Teams meist ihre Sessions selbst, wenn nicht Owen Bradley insbesondere bei Decca die Fäden zog, der aber auf Platten wiederum selten Erwähnung findet. Atkins war wohl aber genau wie Ken Nelson meist vor Ort im Studio. Seine Production Skills wurden sicherlich von Owen Bradley maßgeblich geprägt, denn bevor Atkins bei RCA Karriere machte, gehörte er zu dem Club der Studiomusiker, die auf allen Aufnahmen aus Nashville spielten, und er hatte oft Gelegenheit, Bradley bei seiner Arbeit zu beobachten.
Dass Atkins die Kommerzialisierung vorangetrieben habe, ist ebenfalls ein Vorwurf, der ins Leere führt, da Countrymusik sobald sie auf Platte gepresst wurde oder im Radio und z.B. bei der Grand Ole Opry stattfand, kommerzielle Musik war. Der Pop-Vorwurf zieht auch nur bedingt, weil eine von Profitstreben getriebene Musikindustrie natürlich stets bestrebt war, neue Käuferschichten zu erschließen und der Country-Markt war begrenzt. Also machte man Popmusik und nannte sie Country. Denn Pop wurde damals bereits sowieso schon mit dem gleichen Personal in Nashville produziert und es war natürlich effizienter, nicht mehr von einem Stück sowohl eine Country- als auch eine Pop-Version produzieren zu müssen.
Ein Stück für zwei Märkte zu nutzen, war eine sehr effiziente Produktionsweise. Daran hat Atkins sicherlich mitgewirkt. Deswegen wird sein Name auch immer genannt, wenn es um den Begriff des Nashville Sounds oder von Countrypolitan Music geht. Aber es handelt sich dabei nicht um eine moralische Frage von Gut und Böse. Atkins machte als Manager seinen Job und vermehrte dadurch das Vermögen seines Arbeitgebers. Darüber hinaus geht es um eine Frage des Geschmacks – also darum, was man ganz subjektiv als schlechte oder gute Musik beurteilt.
Worauf sich aber sicherlich alle einigen können, ist, dass Chet Atkins ein großartiger Instrumentalist war – und hier setzt auch schon die nächste Kritik an, die besagt, dass Atkins eigentlich kein Countrymusiker war und vermeintlich dieses Genre sogar hasste – auch Blödsinn!
Atkins ist wie einige verdiente Country-Gitarristen seiner Zeit – z.B. Grady Martin und Hank Garland – von Merle Travis und maßgeblich von Jazzmusik beeinflusst, wie namentlich durch das Spiel von Gitarren-Genie Django Reinhardt, was man bei seinem Stück Canned Heat besonders gut direkt nach dem Fiddle-Solo hören kann.
Canned Heat, Chet Atkins‘ erste Aufnahme für RCA von 1947 markiert dann auch den Beginn seiner Karriere bei der Plattenfirma. Das jazzig angehauchte und von Django Reinhardt beeinflusste Gitarrenspiel von Chet Atkins und anderen Country-Gitarristen – zu nennen wäre heute natürlich auch Willie Nelson – ist ein musikalisches Element, mit dem Musiker wie Atkins den Sound der Countrymusik bereichert haben.
Aus heutiger Sicht ist es vielleicht schwer vorstellbar, dass gerade dieser Mann eine Zeit lang Rhythmus-Gitarrist von Mother Maybelle & the Carter Sisters war, der Neuinkarnation des archaischen Sounds der Carter Family. Aber genau das ist auch immer wieder Countrymusik: die Mischung von scheinbar gegensätzlichen musikalischen Kulturen. Und ohne es zu wollen hat Atkins gemeinsam mit dem Nashville Studio System, in dem stets die gleiche Gruppe von Musikern die Aufnahmen erstellte, großen Anteil daran, dass Countrymusik in den 70er Jahren zu ganz neuen Ufern aufbrach:
Schon bei seinem ersten Album für RCA 1966 forderte Waylon Jennings mehr Kontrolle ein und wollte mit eigenen Musikern seine Platten einspielen, ja seinen eigenen Sound bestimmen, und beim ersten Mal erlaubte Atkins es ihm auch noch. Später wurde dies schwieriger. Über Jahre kämpfte und zermürbte sich Jennings mit Atkins und anderen RCA-Verantwortlichen, bis er sich 1973 endlich durchgesetzt hatte und mit Honky Tonk Heroes sein erstes Album unter eigener voller kreativer Kontrolle bei RCA herausbringen konnte. Chet Atkins verlies im gleichen Jahr das Management, hatte aber indirekt und ohne jegliche Absicht mitgeholfen, das, was man dann Outlaw Country nennen sollte, zu kreieren.
Neben seiner Produzenten- und A&R-Tätigkeit veröffentlichte Chet Atkins allein in den 1960ern sage und schreibe gute 40 Instrumentalalben, die sich zahlreich verkauften. Auf späteren Alben spielte Atkins auch mit Waylon Jennings, da diese trotz allem Zwist ein freundschaftliches Verhältnis pflegten. So sagte Jennings später über ihn:
„Chet loved artists. He did. But he was caught up in the system.
He had two hats. He had to have ‚em because he did two things:
he was an artist, and he was an executive.“
Eines bleibt unbenommen: Chet Atkins hat die Countrymusik der 1960er Jahre stark mitgeprägt und nicht nur durch die von ihm mitentwickelten Gitarren-Modelle der Firmen Gretsch und Gibson zahlreiche Gitarristen nach ihm beeinflusst. Sein Stil wie viele seiner Stücke sind Teil der amerikanischen Musiktradition geworden. Das gilt auch für seinen größten Hit – seiner Coverversion von Yakety Sax, das bei ihm folgerichtig umbenannt in Yakety Axe, natürlich der Gitarre huldigt.