Esther Rose – viel weiter und über alle Grenzen
Esther Roses neues Album "Want" ist eine mutige Reise zu sich selbst. Ende Mai ist die Amerikanerin zum ersten Mal in Deutschland zu erleben.

Ein Stück, das „Handyman“ heißt, klingt für viele Deutsche vom Titel her wahrscheinlich wie ein Helge Schneider Song. Alle des Englischen Mächtigen wissen aber natürlich, dass man „Handyman“ hier eher mit Heimwerker übersetzen sollte und man die denglische Wortschöpfung für Mobiltelefon im angelsächsischen Sprachraum gar nicht kennt. Dort sagt man cell oder mobile phone. Sei’s drum, Esther Roses Song von ihrem zweiten Album – dem 2019er „You Made it This Far“ – ist ein starker Beleg dafür, wie manche Esther Roses Musik beschreiben: eine Mischung von Hank Williams und Joni Mitchell mit einem Schuss Velvet Underground.
Esther Rose ist eine dieser besonderen Indie-Country-Pflanzen, wie sie nur die New Orleans Szene zu voller Blüte bringen konnte. Ursprünglich aus Detroit stammend, lebte Esther mal hier mal da, kellnerte und schrieb Songs und kam, wie sie sagte, 2010 der Liebe wegen nach New Orleans. Die Liebe ging, sie blieb.
Was sie seit ihrem Debüt beredt beschweigt, ist dass sie nicht erst seit dem tollen 2017 völlig independent bei Mashed Potato Records aufgenommenen „This Time Last Night“ Platten macht und auftritt. Esther war für mehrere Jahre in Luke Winslow-Kings Band, ist auf zwei seiner Platten vertreten und war mit ihm von 2013 bis 2015 verheiratet.
Vermutlich wollte Esther zeigen, dass sie es ganz allein schaffen kann und sich von ihrem ehemaligen musikalischen und privaten Partner emanzipieren, gerade auch weil dieser ihre Trennung ganz offensiv und wenig diskret in seiner Kunst ausstellte. So widmete er ihr sogar sein Trennungsalbum „I‘m Glad Trouble Don’t Last Always“ und begann bei der daran anschließenden Tour gerne mal seine Konzerte mit dem aggressiven Blues Song „Esther Please“. Das hat natürlich ein gewisses Geschmäckle und so ist sicherlich eine gewisse Distanz Esthers zur eigenen Vergangenheit mehr als verständlich.
Wanton Way of Loving, den tollen Opener ihres Solo-Debüts, veröffentlichte Esther Rose dann auch schon einmal. Der Song ist erstmalig auf dem 2014 gemeinsam mit Luke Winslow-King veröffentlichten Album „Everlasting Arms“ zu hören.
Auch bei Roses zweitem Album „You Made It This Far“ saß wieder Sam Doores von den Deslondes an den Reglern. Die Band bestand wieder aus Musikern aus New Orleans wie z.B. Deslondes Bassist Dan Cutler und Schlagwerker und Multiinstrumentalist Cameron Snyder. Wer auf vieler der Aufnahmen besonders heraussticht, ist Fiddler Lyle Werner. Werners Spiel ist essenziell für die Arrangements von Roses Songs dieser Zeit. Denn oft sind es seine Melodien, die die Songs – den Gesang gekonnt umspielend – so eingängig und leicht erscheinen lassen.
Auch aufgrund einiger wunderbarer Videos von Gems On VHS wurde Esther Rose bei ihrem zweiten Album erhöhte Aufmerksamkeit zuteil. Daneben ist erwähnenswert, dass Rose auch auf Jack Whites 2018er Solo-Album vertreten ist. Gemeinsam mit ihm intonierte sie den Song „What’s Done Is Done“. Whites „Boarding House Reach“ ist sicherlich alles andere als ein Country-Album, aber der Song hat durchaus einige Genreanleihen und seit Jack Whites Produktion von Loretta Lynns Album „Lear Van Rose“ von 2004 und seinen wiederholten vielversprechenden Ausflügen ins Country-Genre wartet zumindest der Autor dieser Zeilen auf ein echtes Country-Album von White. Denn White liebt und versteht das Genre, wie er zum Beispiel einst mit dem Signing von Margo Price und Joshua Hedley für seine Plattenfirma Third Man und bereits 2011 mit seinem Beitrag für The Lost Notebooks of Hank Williams gezeigt hat.
Zurück zu Esther Rose: Im Shutdown Anfang 2020 veröffentlichte sie auf bandcamp die EP „My Favorite Mistakes“ mit vier schönen Coversongs von Sheryl Crow, Nick Lowe, Roy Orbison und natürlich Hank Williams und dann ein Jahr später ihr drittes Album „How Many Times“. Neben den schon vertrauten Musikern bereichern Lap-Steel-Player Matt Bell und Gitarrist Max Bien Kahn gewohnt routiniert auch auf diesem Longplayer Esthers melodiösen Sound.
Im sehr schönen Video zu „How Many Times“ sieht man Esther Rose durch die nächtlichen verlassenen Straßen von New Orleans‘ French Quarter spazieren. Sie wird dabei flankiert von Charakteren, die einem Fellini-Film entsprungen sein könnten – allesamt Cameo-Auftritte von befreundeten Musikern wie z.B. Chris Acker und Sam Doores.
Glücklicherweise hat auch Album Nr. 3 – obwohl bereits produzierter und dadurch geschliffener – noch viel von der Leichtigkeit und den tanzbaren laid-back-Arrangements, die die schon die beiden Vorgänger ausmachten und auch wenn How Many Times textlich eine Trennungsplatte ist, sind Schwere und Selbstmitleid nie tonangebend.
Mit „Safe To Run“, ihrem viertem Album von 2023, begibt sich Esther Rose auf eine neue Ebene, so bestechend und catchy ist jetzt ihr Songwriting. Nun beim renomiertem Indie-Label New West zeigt die Künstlerin große künstlerische Reife. So kreiert sie ebenso zerbrechliche wie liebliche Melodien, die süßer Pop wären, würden die Songs nicht trotzdem noch im Kern ihren rauen DIY-Charme behalten. Hank Williams hält Lou Reed beim Hinausgehen die Tür auf, so deutlich zeigt sich der Einfluss des Transformers, dass sie fast schon ein neues Subgenre kreiert: Velvet Underground Country.
Was man Roses Songs stets anmerkt, ist eine positive, ja zum großen Teil fröhliche Grundstimmung. Selbst in einem eher getragenen oder mit mehr textlicher Schwere versehenem Stück blinzelt irgendwo die Sonne durch die geschlossenen Rollläden. So haben selbst ihre Trennungssongs auch immer einen kathartischen Anstrich. Musik, die einen in den Arm nehmen möchte und uns leicht wiegend zu verstehen geben will, dass alles Unglück, erscheint es auch noch so unüberwindlich, auch wieder vergehen wird. Genau die richtige Musik nach einem langen Winter oder einer durchzechten Nacht: Der Himmel bricht auf und auch der Kopf wird wieder durchlüftet und öffnet sich für Neues.
Diese Stimmung und dieser Sound finden sich nun auch auf Esther Roses jetzt erschienenem fünften Album „Want“. Schon in der Pandemie wechselte die Musikerin nach New Mexico. Rose bekennt, die Wüste hätte ihrem Songwriting immer gutgetan. Schon in der Vergangenheit entstanden zentrale Stücke in der weiten Landschaft mit dem trockenen Klima. Heute ist Esther Rose in Santa Fe ansässig. Hier hatte sie dann, wie sie sagt, nach einer ausgiebigen Tour einen mentalen Zusammenbruch. An diesem Tiefpunkt hörte Rose auf zu trinken, began eine Ketamin-gestützte Psychotherapie und begab sich nach ihrer Jahre wärenden musikalischen Reise endlich auf eine Reise zu sich selbst.
So hat nicht nur der erneute Ortswechsel dazu geführt, dass sich die Künstlerin auf ihrem neuen Album abermals neu erfindet und ihr Country-Storytelling u.a. unterstützt von Produzent Ross Farbe und den zwei Deslondes John James Tourville und Howe Pearson nun auch mal in gefälligen 90s Indierock kleidet. Aktuell habe Countrymusik zwar endlich ihren Mainstream-Moment, wie sie sagt, und sie mache eine kleine Rockplatte. Sei’s drum, sie müsse sich gerade neuen Klängen zuwenden. Vielleicht habe sie sich eines Tages so weit entfernt, dass es dann Zeit werde, nach Hause zurückzukehren, heim zur Countrymusik.
Formal hat Rose ihre frühere Komfortzone verlassen und dennoch offenbart jeder Song sogleich seine Autorin, denn nur Esther Rose schreibt Esther Rose Songs. Gerade live allein vorgetragen, nur in Begleitung der eigenen Akustikgitarre, offenbart sich jeder Rose-Song schnell als berührender Country-Song und macht klar, warum Esther Rose Konzerte Pflichttermine ihrer Fans sind.
Und auch Esther Roses aktueller musikalischer Seelenstriptease „Want“ berührt, wie z.B. ihr wunderschönes Duett mit Dean Johnson. Rose präsentiert dabei ihre Verletzlichkeit als Stärke und regt zum Perspektivwechsel an – etwas, was Roses Musik schon immer ausgemacht hat. Wie ein musikalisches Medium lädt sie uns immer von Neuem ein, uns von bedrückenden Gedanken zu befreien und den Fokus auf die Chancen von Veränderung zu setzen. Dass diese Einladung dann live in traditioneller und archaischer Singer-Songwriter-Art erfolgt, ist dabei kein Widerspruch, sondern Haltung.
Esther Rose in Deutschland: Zwei Konzerte – Hamburg und Burghausen
Ende Mai ist Esther Rose das allererste Mal in Deutschland auf der Bühne zu sehen. Am 28. gibt sie in Hamburg ihr Deutschland-Debüt, gefolgt von einem Gastspiel im bayerischen Burghausen am 30. Mai.