Vor 50 Jahren liefen erstmals die „Waltons“ im deutschen Fernsehen. Eine Hommage
Eine Serie wie ein guter Country-Song.

Sie ist vielleicht eine der unterschätztesten Serien der TV-Geschichte: „The Waltons“. Die Familiensaga rund um eine Farmerfamilie aus Virginia während der großen Depression, während New Deal und zweitem Weltkrieg war auch für den Schreiber dieser Zeilen kein großer Favorit. Er sah lieber Bonanza und Rauchende Colts. Erst vor kurzem, rückte die Serie wieder in meinen Fokus und bei der Beschäftigung mit ihr stieß ich dann auf das Datum der deutschen Erstausstrahlung: 12. Januar 1975. Es ist also 50 Jahre her, dass die Serie hierzulande anlief. Grund genug, um dieser Serie die Ehre zu bereiten, die sie verdient.
Gar nicht so bieder und konservativ
Bis heute haben die Geschichten rund um John Boy Walton und seine Familie auf Waltons Mountain bei uns eher das Image einer biederen Familienserie. Und das ist natürlich leicht zu erklären. Denn die 1970er waren – in Folge der 1960er Jahre – in Deutschland ein nach vorn gewandtes, „poppiges“ Jahrzehnt. Aber auch immer noch eines, in dem kritische Jugendbewegungen eine große Rolle spielten. Da erschien vielen die Serie als konservativ und rückwärtsgewandt und eine heile Welt vorspielend.
Das ist keine Wunder, erzählt die Serie doch unterhaltsam von früher. Aber nicht von kultigen Western-Helden wie Marshal Matt Dillon oder den „Leuten von der Shiloh Ranch“, die zu dieser Zeit auch große TV-Erfolge waren. Sie erzählt von einer Farmerfamilie, die sich in bescheidenen Verhältnissen in schwierigen Zeiten durchschlägt, die rund 40 Jahre vor dem Beginn der Erstausstrahlung liegen.
Die literarische Vorlage
Die Fernsehserie fußt auf dem Leben und dem zweiten Roman von Earl Hamner Junior. Hamners Buch „Spencers Mountain“ erschien 1961. Hier geht es um den Sohn einer armen Familie, der auf das College geht. Es ist durchaus biographisch, da Hamner Junior selbst aus einer armen Familie stammt und in der Depressionszeit aufgewachsen ist. Stoff genug, um eine Fernsehserie daraus zu machen.
Trotz starker TV-Konkurrenz wurde die Serie ein Erfolg. Die Macher schienen die richtige Rezeptur gefunden zu haben. Eine Serie, die viele Menschen ansprach, die kaum Anlass zu Kontroversen gab. Aber war sie wirklich so harmlos? Erinnern wir uns an den Zeithintergrund. Als die Serie 1972 anlief war Amerika ähnlich polarisiert wie heutzutage. Auf der einen Seite die progressiven Kräfte: die junge Protestgeneration, die Kriegsgegner, die Bürgerrechtsbewegung und die Black Panther. Auf der anderen Seite: die Konservativen, die Frömmelnden und die von Nixon so genannte „Silent Majority“.
Eine TV-Serie um die Lager wieder zu verbinden
Doch bei aller Polarisierung war der Unterschied, dass es auf beiden Seiten Menschen gab, die eben keinen Kulturkampf wollten, sondern die verbindenden Elemente in den Mittelpunkt rückten. So war es Johnny Cash, der in seiner TV-Show Bob Dylan, Pete Seeger, Neil Young und Joni Mitchell auftreten ließ, während die „langhaarigen“ kalifornischen Musiker der Nitty Gritty Dirt Band in Nashville mit alten Country-Heroen wie Bill Monroe, Maybelle Carter oder Roy Acuff ins Studio gingen.
Auch die Waltons stellten solch ein verbindendes Element dar. Die Serie spielte in der Zeit von Depression und New Deal, als Präsident Franklin D. Roosevelt und seine Administration mit staatlichen Investitionsprogrammen, Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und dem Ausbau der öffentlichen Infrastruktur eine Koalition aus weißen Arbeitern, Südstaatlern, Schwarzen, Italienern, Juden und Iren zimmerten, die für ein gesellschaftlich fortschrittliches Amerika stand. Weil Roosevelts Politik sich auch für die weißen Südstaatler auszahlte, verehrten auch sie den Präsidenten im fernen Washington. In einer Folge der Waltons wird gezeigt, wie die Familie sich zur Eisenbahnstrecke aufmacht, um den Präsidentenzug mit dem Leichnam des verstorbenen Roosevelts auf der Durchfahrt zu sehen und ihm eine letzte Ehre zu erweisen.
Auch der Schauspieler des Opa Walton, Will Geer war so ein die Gräben überwindendes Element. Er selber war in den Zeiten des New Deal politischer und gewerkschaftlicher Aktivist und mit Woody Guthrie und Pete Seeger befreundet. Und er war queer. In der Serie setzte er mit seinem Sohn, dem Vater Walton, den weltlichen Gegensatz zu den frömmelnden Frauenfiguren der Oma und der Mutter.
Mal geschönt, mal realistisch und auch kritisch
Interessant ist die Serie auch, weil sie das Leben der einfachen Leute im Süden darstellt. Sicher ist da vieles geschönt, aber auch vieles durchaus realistisch dargestellt. So geht es in der Folge „Hundertausend Dollar“ um den Verkauf von Land in schweren Zeiten, in „Der „Hühnerdieb“ wird die Tauschökonomie während der Depression aufgespießt und in „Der Ausreißer“ wird die Abwanderung in die Großstädte thematisiert.
Es werden die Werte der Familie, der Gemeinschaft, der Nächstenliebe und der Barmherzigkeit in der Serie gelebt. Das Christentum der Waltons hat noch nichts mit den heutigen evangelikalen Kirchen des Kapitals und des Erfolgs zu tun. Und dennoch sind die Waltons auch aufmüpfig, wenn sie sich bevormundet oder gegängelt fühlen. So schließt sich Vater Walton in der Folge „Die Bekehrung“ nicht der allgemeinen religiösen Euphorie an, als ein hochrangiger Erweckungsprediger ins Ort kommt. Dessen für den Zuschauer und für den Vater deutlich sichtbaren unsympathischen Fanatismus, lächeln die anderen Waltons weg. Der Opa geht in quasi in die innere Emigration und schläft während der Erweckungstiraden ein, der Vater verlässt die Kirche, weil er sich nicht anschreien lassen will. „Warum behandelt der, der mich retten will, wie einen Todfeind?“, fragt er. Durchaus eine Kritik an den damals aufkommenden Evangelikalen.
Und auch fragwürdige Regeln im College (Folge „Das Ehrenwort“), die Probleme deutschstämmiger Amerikaner während des zweiten Weltkriegs (Folge „Das Gerücht“) oder die Nachteile, die mancher bei durchaus sinnvollen Infrastrukturmaßnahmen erlitt (Folge „Blutsbande“) finden in der Serie Erwähnung. Aber immer so, dass eben nicht polarisiert wird. Man versucht, möglichst alle mitzunehmen.
Farbige Menschen, aber keine Rassentrennung
Auch beim Thema Schwarz und Weiß versuchen die Macher der Serie fortschrittlich zu sein, ohne andere zu sehr zu verprellen. Zum Stammpersonal der Serie gehört auch das schwarzes Schwesternpaar Grant. In der Folge „Die Schülerin“ bringt John Boy Verdie Grant Foster das Schreiben und Lesen bei. Als Verdie zur College-Abschlussfeier nach Richmond fährt, umarmen sich die beiden vor dem wartenden Bus. Verdie steigt ein und setzt sich vorne hinter den Fahrer. Sicher wurden gerade in abgelegenen Gebieten wie den Blue Ridge Mountain die Jim Crow-Gesetze zur Rassentrennung oftmals unterlaufen – wir denken an die Entstehung der Countrymusik und des Bluegrass. Doch in der Öffentlichkeit – wir denken an A.P. Carter und Leslie Riddle – hielt man sich daran. Die öffentliche Umarmung eines weißen Mannes und einer schwarzen Frau waren in den Südstaaten in den 1930er und 1940er Jahren schlichtweg undenkbar. Das hätte man inhouse gemacht, nicht an der Bushaltestelle. Und Verdie Grant Foster hätte sich im Bus nicht nach vorne gesetzt, sondern hätte in den hinteren, den Schwarzen zugewiesenen Reihen, Platz genommen.
Die Haltung der Serienmacher ist hier quasi gut gemeint und doch ambivalent. Ganz selbstverständlich sind hier schwarze Menschen Teil der Leute rund um Walton‘s Mountain. Aber dass das Leben für die Schwarzen damals in der Wirklichkeit eben seine klaren Grenzen und auch seine Gefahren hatte, wird unterschlagen. Auch hier gilt: Fortschrittlich sein zu wollen, ohne zu provozieren.
Auch die Musik spielt eine wichtige Rolle
Und ganz realistisch spielt auch die Musik eine wichtige Rolle. Im Laufe der Serie entdeckt Jason Walton seine Liebe zur Musik und studiert am Konservatorium. Als die Stipendien gestrichen werden, arbeitet er als Hausmusiker in einem Honky Tonk. Dorthin lotst er schließlich in der Folge „Das Comeback“ Red Turner – gespielt von Merle Haggard – der ein im Süden erfolgreicher Musiker war, aber nach dem Tod seines Sohnes mit der Musik aufgehört hat. Jason bringt Red am Ende dazu ein paar Lieder zu spielen und Red beginnt wieder Musik zu machen.
Denn die Musik war in einer Zeit voller Armut und Entbehrungen und außer dem Radio und der Zeitung auch keinen Massenmedien für die Menschen im Süden mehr als ein Zeitvertreib, es war eine wichtige Stütze, ein Ventil und eine Ausdrucksform ihrer Sorgen und ihrer Hoffnungen gleichermaßen. Der alte Dreiklang des Südens „Work Hard, Play Hard, Pray Hard“ findet sich auch in der Serie wieder. Am Tag wird hart gearbeitet, am Samstag kräftig auf die Pauke gehauen, am Sonntag geht es in die Kirche. Dass das alles zusammengehört, zeigt die Serie richtig auf. Und wenn der bereits oben erwähnte Prediger im „Dew Drop Inn“, dem Honk Tonk, in dem Jason spielt, einen lautstarken Verdammnis-Furor entfacht, dann wirkt das bedrohlich und falsch. Hier war die Serie eindeutig.
Fazit: Am 12. September 1972, kurz vor der Wiederwahl Nixons und der allumfassenden Aufdeckung des Watergate-Skandals wurde die erste Serienfolge in den USA ausgestrahlt, die letzte Folge lief am 4. Juni 1981, also wenige Monate nach dem Amtsantritt Ronald Reagans. Die Serie ist zu vergleichen mit der Politik Jimmy Carters – auch er ein gläubiger Südstaatenfarmer und dennoch gesellschaftlich progressiv, ohne polarisieren zu wollen. Die Serie transportierte die Werte der Gemeinschaft, der Verbundenheit und das Erbe des New Deals in die Fernsehstuben der 1970er Jahre. Wie ein guter Countrysong erzählt die Serie von den Menschen und ihren Sorgen und predigt Liebe und Zusammenhalt, keinen Hass und keine Ausgrenzung. Mit Ronald Reagan wurden die letzten Ausläufer des New Deal getilgt, Neoliberalismus, Neokonservatismus und Evangelikale predigten fortan Egoismus und Ausgrenzung. Die Folgen bekommen wir heute im ungezügelten egomanischen Oligarchen-Kapitalismus von Trump und Musk zu spüren. In diesen Zeiten haben die Werte, die die Waltons vertreten, durchaus etwas subversives. Anschauen lohnt sich!
Alle Staffeln und alle Folgen kann man kostenlos auf www.joyn.de streamen. Weitere Infos und Zahlen, Daten, Fakten zur Serie gibt es auf www.die-waltons.de
Vielen Dank an Christine Feldmann für Idee, Hinweise und die wichtigen Diskussionen.