Parker Millsap: The Very Last Day
Parker Millsap - The Very Last Day: Leidenschaftlich interpretiertes Roots-Musikwerk, das neben Country, Blues und Folk von einer tiefen Spiritualität getragen wird.
Vergessen wir für einen Moment mal alles, was wir von einem 23-jährigen Nachwuchsmusiker erwarten dürfen. Hier kommt Parker Millsap und dreht die Gesetzmäßigkeiten des Musikbusiness im Handumdrehen auf Links. Mit einem an Arroganz grenzenden Selbstverständnis fördert der „Wunderknabe“ aus Oklahoma auf seinem Neuling The Very Last Day die Untiefen seiner Seele zu Tage und lässt kommerzielle Ambitionen jeglicher Art konsequent beiseite. Ergebnis ist eines der mitreissensten und kreativsten Americana-Alben, die in den letzten Jahren auf dem US-Markt erschienen sind.
Ein persönlicher Eindruck vorweg: Schon bei seinem Auftritt im Rahmen der Grand Ole Opry am 25. März diesen Jahres durfte ich in die erstaunten Gesichter des countryverwöhnten Publikums blicken, als der „Blondschopf aus dem Indianerstaat“ mit der schrägen Eigenkomposition „Morning Blues“ und dem Blues-Gospel-Standard „You Gotta Move“ eine schaurig-schöne Mississippi-Delta-Stimmung erzeugte. Schon hier wurde klar: Wer selbst vor der ehrwürdigen Opry seinen Stiefel so unbeirrt durchzieht, dürfte sich auch auf seinem neu erschienenen Album künstlerisch kaum einschränken lassen.
Was zeichnet nun diesen abgeklärten Typen, Baujahr 1993, mit dem Hang zu theatralischen Vokalpassagen aus? Bereits im Jahr 2014 hatte Millsap mit dem Song „Truck Stop Gospel“ aus seinem selbstbetitelten Album die Stile Blues, Gospel und Rockabilly lebendig miteinander verquickt. Dazu noch eine Prise Country und Folk – abgeschmeckt mit einem für das Alter ungewöhnlich ausgereiften Songwriting- und fertig ist die Rezeptur für das neue Album.
Demzufolge offenbart sich das 11-teilige „The Very Last Day“ als musikalisches Naturereignis, dessen Wahrnehmung vom Hörer eine gewisse Stiltoleranz erfordert. Vom schwermütigen Bekennersong bis zum explosiven Powertrack bedient Parker Millsap mit ergreifendem Stimmeinsatz die volle Gefühlspalette. Die Genregrenzen werden von Beginn an pulverisiert.
Der Start mit „Hades Pleads“ ist bereits ein Titel, wo alles zusammenkommt, was Musik spannend und unterhaltsam macht. Ein Highspeed-Rockabilly mit leichter Bakersfield-Schattierung, wilden Honkytonkfiddles, hechelnden Breaks und einer Charakterstimme, die die Story von der Reise in die griechische Unterwelt zum Erlebnis macht. Eine echte Bombe zum Auftakt! Auf „Pining“ werden wir Zeuge einer harmonischen Soulfärbung, die Millsap diesem melodischen Rhythm-Tune abringt, bevor auf „Morning Blues“ die nächste Stiltür geöffnet wird. Hier wird eine akustisch eingeleitete Bluesstimmung durch ein wunderbares Fiddlebreak in Richtung Country-Folk abgelöst.
Song Nr. 4 „Heaven Sent“ steht im Zentrum des Albums: songthematisch wie musikalisch. Dieser spirituelle Confessor-Track , der im Intro an Bruce Springsteens „The River“ erinnert, entwickelt mit dem Refrain eine verstörende Anziehungskraft, die ihn zu den stärksten Americana-Titeln des laufenden Jahres machen dürfte. Die Story über das Bekenntnis einer gleichgeschlechtlichen Beziehung gegenüber dem religiösen Vater hätte treffender wohl kaum umgesetzt werden können. Dieser packende Preacher-Style findet sich auch auf dem Titelsong wieder, der dann von dem Rockabilly-Dynamo „Hands Up“ abgelöst wird.
Die Poesie auf dem zärtlichen, kammermusikalisch angehauchten „Jealous Sun“ wird auf „A Little Fire“ durch eine sehnsuchtsvolle Southern-Gospel-Note wundervoll ergänzt. „Wherever You Are“ ist ein energetisch-leidenschaftlicher Love-Song der zugänglicheren Sorte, während das vom Appalachian-Folk gestreifte „Tribulation Hymn“ eine bunt-kreative Sammlung amerikanischer Roots-Music nach nur 36 Minuten abschließt. Der von Fred McDowell besungene Delta-Blues-Standard „You Gotta Move“ macht mit exaltierten Vokalpassagen, die von Led Zeppelin bis zu The Howlin‘ Wolf reichen, Stimmcharakter und Talent dieses außergewöhnlichen Singer-Songwriters unverkennbar.
Fazit: Parker Millsap hat mit „The Very Last Day“ bei Fans und Kritikern der Szene einen tiefen Eindruck hinterlassen. Ein derart leidenschaftlich interpretiertes Roots-Musikwerk, das neben Country, Blues und Folk von einer tiefen Spiritualität getragen wird, ist aufgrund unzureichender Lebenserfahrung von einem 23-jährigen Künstler üblicherweise nicht zu erwarten. Hier ist ein Megatalent am Start, das die Entwicklung der US-Americana-Szene neben Namen wie Jason Isbell oder Ryan Bingham in Zukunft bestimmen könnte.
Titel: The Very Last Day
Künstlerin: Parker Millsap
Veröffentlichungstermin: 25. März 2016
Label: Okrahoma Records
Laufzeit: 35:53 Min.
Format: CD & Digital
Genre: Country, Blues, Roots Music
Trackliste:
01. Hades Pleads
02. Pining
03. Morning Blues
04. Heaven Sent
05. The Very Last Day
06. Hands Up
07. Jealous Sun
08. Wherever You Are
09. You Gotta Move
10. A Little Fire
11. Tribulation Hymn