Sammi Smith: Ein Nachruf
Einer der großen Stars der Country Music war sie nicht, vielleicht weil sie gar zu ungewöhnlich gewesen ist. Zumindest was ihre Stimme anbetraf. Leider wurde Sammi Smith nur 61 Jahre alt. Die Meldung über ihren Tod stand meist im Kleingedruckten, wenn es für die Medien überhaupt wichtig genug war. Zu lange schon war sie nicht mehr im Rampenlicht gewesen und dennoch – sie hat Spuren in der Country Music hinterlassen. Schon Anfang der 1970er Jahre sagte kein Geringerer als Kris Kristofferson über sie: „Eine kleine Miss mit großer Stimme, mit sehr viel Talent und nicht viel Glück!“ Damit traf er den berühmten Nagel auf den Kopf In seiner Karriere spielte Sammi Smith eine nicht unbedeutende Rolle.
Die Stimme war es, ihre Stimme, die mir immer wieder eine Gänsehaut verschaffte. Nie wieder habe ich eine ähnliche Stimme gehört, so ausdrucksstark, so mit Emotion beladen und für eine Frau so tief. Wenn dazu dann noch der richtige Song kam, dann entstand eine unter die Haut gehende Aufnahme. Wer ihre Version des Roger Miller Hits „The Last Word In Lonesome Is Me“ hört oder die Ballade „Days That End In Y“ und davon nicht bis ins tiefste Innere berührt wird, der muss aus Stein sein. Sammi Smith verstand es, mit dieser etwas rauchigen aber ungeheuer gefühlvollen, warmen Stimme aus jeden Lied ein Kunstwerk zu machen. Was bei anderen Interpreten rasch zur Schnulze abgeglitten wäre, sie machte daraus ein Erlebnis. Kunst aber ist oft nichts viel die breite Masse. Sammi Smith konnte oder wollte sich aber auch nicht mit dem Nashville Establishment abfinden, sie blieb immer eine Außenseiterin. Einmal allerdings schlug ihre Stunde. Und das mutet fast schon sensationell an, denn mit „Help Me Make It Through The Night“ schaffte sie einen Millionseller. Was man allzu schnell vergessen hat, Sammi Smith war es, die den längst zum Klassiker gewordenen Kristofferson Song zuerst zum Hit machte. Das öffnete dem Autoren auch wichtige Türen, ihm fiel es dann wesentlich leichter, seine Songs an Stars zu verdealen.
Während Kristofferson seither auf Erfolgskurs ist, blieb es für Sammi Smith (* 5. August 1943 – † 12. Februar 2005) der einzige echte Glanzpunkt. In der Folgezeit hatte sie zwar weit über 30 weitere Chart-Platzierungen aber nur noch einmal tauchte sie in den Top Ten auf („Today I Started Loving You Again“). Es kam, was kommen musste, Sammi Smith versank nach und nach wieder in der Anonymität und war bald schon fast vergessen. Das einzig Gute daran ist, dass sie sich davon nicht schocken ließ, denn sie war durch härtere Zeiten gegangen und hatte die einigermaßen heil überstanden.
Orange in Kalifornien war am 5. August 1943 Schauplatz der Geburt von Jewel Fay Smith. Sehr früh schon war sie auf sich allein gestellt, sie erzog sich praktisch selbst. Bis sie ihren ersten Plattenvertrag bei Columbia Records bekam, verlief ihr Dasein in guten und schlechten Bahnen, meist in schlechten; erlebte sie Höhen und Tiefen, meist waren es Tiefen. Sie sagte mir dazu: „Sicher hatte ich ein schweres Leben aber ich würde es nicht für ein leichteres eintauschen. Ich habe viele Dinge getan, viel gelernt, ich bin durchaus zufrieden. Man muss immer nach vorne blicken, alles andere ist vorbei und abgehakt.“
Gut möglich, dass diese Schule des Lebens auch ihr Talent geformt hat, Dinge in Songs auszudrücken, die andere gar nicht in ein Lied umsetzen können. Ein US Kritiker brachte es so auf den Punkt: „Bisher hat es niemand geschafft, die Ausstrahlung dieser Sängerin voll auf Platte festzuhalten. Sammi kann dich auf eine spezielle, sehr persönliche Weise berühren mit ihrer aufregenden und ehrlichen Stimme.“ Sammi Smith beendete mit 11 Jahren die Schule und wurde Sängerin und verdiente sich damit in Clubs in Kalifornien und Oklahoma City ihren Unterhalt. Schon mit 15 heiratete sie, aus dieser ersten Ehe hatte sie 3 Kinder. Bald erwies es sich, dass der Beruf einer Sängerin sich nicht mit einem normalen Familienleben vereinbaren ließ. Die Ehe ging in die Brüche und Sammi Smith nach Nashville. Das war Mitte der 60er Jahre. Sie hatte bei einem Gastspiel von Johnny Cash mit ihm und dessen Band Kontakt bekommen – die waren so begeistert von ihrem Gesang, dass sie sie einluden, nach Nashville zu kommen. Bei Columbia Records bekam sie einen Plattenvertrag und dort gab es einen Hausmeister, der auf den Namen Kris Kristofferson hörte. Erst einmal begann eine Phase des Lernens und Suchens. Bald aber wurde offenkundig, dass sie nicht nur gute Songs schreiben sondern auch das Passende für sich heraussuchen konnte. Einer ihrer ersten eigenen Titel hieß „Sand Covered Angels“. Bei Columbia aber blieben die erhofften Hits aus. Immerhin deuteten ein flotter Titel wie „So Long Charlie Brown“ und vor allem die ungemein gefühlvolle Version von Carl Perkins‘ „Turn Around“ ihre Möglichkeiten an.
1970 wechselte Sammi Smith zum neuen Label Mega Records und hatte mehr Glück. „He’s Everywhere“ wurde ihre bis dahin beste Notierung in den Charts. Und dann folgte „Help Me Make It Through the Night“. Das wurde eine Goldene, brachte ihr 1971 auch einen Grammy ein und den CMA Award für die Single des Jahres. Für Mega Records bedeutete der Song das Überleben für einige weitere Jahre. Ach ja, auch für Kristofferson’s Karriere bedeutete der Knaller die beste „Vitaminspritze“. Auch wenn es danach sehr viel weniger aufregend für Sammi Smith in den Charts weiter ging, möchte ich einige Aufnahmen ansprechen, die sie als absolute Ausnahmesängerin darstellen, es fehlte lediglich der kommerzielle Erfolg. Ich denke an Shel Silverstein’s „For The Kids“, ihr eigenes „Jimmy’s In Georgia“, an „Manhattan, Kansas“, „The Deepening Snow“, „The Rainbow In Daddy’s Eyes“ und vor allem ihre fantastische Version von Steve Goodman’s „City Of New Orleans“. Diese Aufnahmen lassen mich auch heute nicht unberührt. Ebenso wie „Saunder’s Ferry Lane“, „When Michael Calls“, „I’ve Got To Have You“ und das düstere „Long Black Veil“. 1976 wechselte Sammi Smith zu Elektra Records – mehr Erfolg stellte sich allerdings nicht ein. Danach erschienen bei mehreren kleineren Labels noch Alben, die eines offenbarten: Sammi Smith hatte nichts von ihrer Ausstrahlung eingebüßt. 1986 tauchte sie ein letztes Mal in den hinteren Regionen der Charts auf, danach verliert sich ihre Spur. Sie wurde zunehmend ins Privatleben gedrängt, das sie zuletzt in Oklahoma verbrachte.
Bisher war nur von ihren Platten die Rede – ich habe sie aber auch live erleben können. Ein Entertainer mit großer Show, das war sie nicht. Sammi Smith wirkt allein durch ihren Gesang. Dazu bedarf es eines Publikums, das bereit ist, zuzuhören und eines Auftrittsortes, wo dies möglich ist. Beides war damals nicht der Fall. Eine US Militärclub konnte nur schwer den Rahmen abgeben für die Musik dieser Künstlerin. Es war zu laut dort und die Band, die man ihr mitgegeben hatte, passte nicht so recht zu ihrer Musik. So trat ich den Heinweg etwas enttäuscht an – vielleicht aber waren meine Erwartungen zu hoch gewesen. Lebhaft erinnere ich mich noch an das Gespräch, das ich mit ihre führen konnte. Sie hatte feste Vorstellungen und war nicht leicht zu erschüttern. Vor allem trug sie ihr Herz auf der Zunge. So kritisierte sie, dass man ihr Mitte der 70er Jahre zu viele Strings in ihre Aufnahmen mischte: „Ich mag Strings nicht sonderlich, habe mich aber dem Druck von Produzent und Plattenfirma gebeugt. Ich betrachte es nicht als Fehler aber es war eben nicht nach meinem Geschmack“. Es mag überraschen, dass sie nicht unbedingt den Erfolg als Sängerin suchte: „Nie hatte ich das Verlangen, dass mich viele Leute singen hören sollten, ein Star wollte ich nicht werden. Ich mache Musik, weil ich Spaß daran habe und weil ich gerne singe.“ Deshalb war es ihr wichtig, Lieder der eigenen Wahl und in eigener Interpretation zu singen. Irgendwie erinnerte sie mit ihrer Einstellung an Willie und Waylon. Nicht von ungefähr, denn mit Beiden war sie sehr gut befreundet. Gleich nach ihrer Ankunft in Nashville hatte sie die kennengelernt. Als Nelson sein erstes Picnic abhielt, waren nur Waylon Jennings und eben Sammi Smith dabei Sie erinnerte sich: „Ich vermisse diese Zeiten sehr. Keiner von uns verdiente richtiges Geld aber wir hatten eine schöne Zeit.“ Sie war irgendwie ein weiblicher Outlaw, nicht von ungefähr nannte Jennings sie liebevoll „girl hero“. Der hatte übrigens auch mit dem Sammi Smith Song „Cedartown Georgia“ auch einen passablen Hit.
Sammi Smith hatte gelernt zu lächeln, auch wenn ihr danach eigentlich nicht zumute war. Wenn schlechte Zeiten kamen, war sie darauf vorbereitet. Man könnte sie mit einer jener Frauen vergleichen, die bei der Besiedlung des Westens beteiligt waren. Noch einmal auf Waylon und Willie angesprochen, sagte sie: „Ob sie richtig oder falsch liegen, sie sind auf jeden Fall ehrlich und entschuldigen sich nicht für das, was sie tun. Ich bin stolz auf das, was ich mache und stolz auf das, was sie machen.“ Zu Wort kommen lassen möchte ich auch Bill Walker, der ihre Alben arrangierte: „Sie hat ein sehr seltenes, von Gott gegebenes Talent, die Menschen nur mit ihrer Stimme in Atem zu halten. Sie braucht dazu keine Tricks, keine Äußerlichkeiten.“ Seit dem 12. Februar 2005 ist diese Stimme verstummt. Sie starb in Oklahoma City nach längerer Krankheit.