Gail Davies
Gail Davies zog aus, um in der Country Music-Industrie etwas zu bewegen. Sie wurde kein großer Gesangsstar aber sie setzt seit geraumer Zeit wichtige Akzente in der Country Music. Es war ein langer aber auch erfolgreicher Weg. Wies es dazu kam?
Die Wiege der am 5. Juni 1948 geborenen Patricia Gail Dickerson stand in Broken Bow, Oklahoma. Ihr Vater war bereits Countrysänger und trat gelegentlich beim „Louisiana Hayride“ auf. Von ihm hatte sie jedoch nicht viel, denn die Ehe der Eltern wurde kurz nach ihrer Geburt geschieden. Die Mutter zog in den Bundesstaat Washington und nahm ihre drei Kinder natürlich mit. Fünf Jahre alt war die Tochter als sie vom Stiefvater wie ihre Geschwister adoptiert wurde und den Familiennamen Davies bekam.
Sie habe eine recht unbekümmerte und unauffällige Kindheit gehabt, erzählte Gail Davies. Das „Musik-Gen“ habe sie wohl doch vom leiblichen Vater geerbt, denn sie könne sich nicht erinnern, ohne Musik gewesen zu sein. Auch ihre Geschwister hätten schon als Kinder Musik gemacht.
„Nach dem High School-Abschluss ging ich nach Los Angeles, lernte einen Jazz-Musiker kennen und heiratete ihn. Die Jazz Music, das merkte ich bald, war nichts für mich. Auch die Ehe nicht, sie wurde geschieden. Ich habe mich dann in den Studios von Los Angeles über Wasser gehalten. Diese Zeit hat mir wertvolle Einblicke und Erfahrungen gebracht über das Music Business. Mich interessierte das, was so hinter den Kulissen passiert, ich lernte, wie man ein Album produziert. Und ich lernte Künstler kennen, Leute wie Joni Mitchell. Damals waren die Studios von A & M Records voll im Trend. Dort konnte ich Stars wie Joe Cocker, die Carpenters und Carole King bei der Arbeit beobachten. Ich war sogar bei einer Session von John Lennon dabei, habe bei Neil Young und Hoyt Axton mitsingen dürfen. War das eine aufregende Zeit, da saß ich zwischen John und Phil Spector (Erfinder des Wall of Sound) am Mischpult. Eine bessere Lehre konnte man gar nicht haben. Frank Zappa lud mich ein, mit seiner Band auf Tournee nach Europa zu gehen. Ich habe mich aber für Roger Miller entschieden, der mich als seine Partnerin mit in die Merv Griffin TV Show nahm.“
Ihr Bruder Ron gab einen weiteren wichtigen Impuls als er sie überredete, es ihm gleich zu tun und Songs zu schreiben. Gail Davies kaufte sich eine Gitarre und machte sich ans Werk. 1975 gab EMI ihr einen Autoren-Vertrag, für sie war das mit dem Umzug nach Nashville verbunden. Hier zahlten sich ihre Erfahrungen aus L.A. sofort aus. Ava Barber feierte mit „Bucket To The South“ ihren einzigen wirklichen Hit – es sollten noch zahlreiche Hits aus der Feder von Gail Davies für sie selbst und andere Interpreten folgen.
Davies erwarb sich als Produzentin die Hochachtung sogar der Kollegen. Aber sie wollte sich auch als Sängerin beweisen. Beim CBS Label Intersong bekam sie dazu die Chance. „No Love Have I“ brachte sie 1978 auf Platz 26 der Charts. Mit ihrem unverkennbaren Timbre und einer angenehm warmen Stimme wusste Gail Davies zu beeindrucken. „Someone Is Looking For Someone Like You“, ein wundervoller Love Song, schob sich auf Platz 11 und mit „Blue Heartache“ stand Davies erstmals in den Top Ten (Nr. 7). Letzterer Song war ihre erste Single für Warner Brothers. Dort erlebte sie ihre erfolgreichste Zeit mit so gefühlvollen Songs wie dem ehemaligen Everly Brothers Hit „Like Strangers“, mit „Good Lovin‘ Man“ und vor allem den Top Ten Singles „I’ll Be There (If You Ever Want Me)“ (Nr. 4), „It’s A Lovely Lovely World“ (Nr. 5), „Grandma’s Song“ (Nr. 9) und dem faszinierenden „‚Round The Clock Lovin'“(Nr. 9).
Gail Davies ließ bis zum Ende der 1980er Jahre immer wieder mit gehaltvollen Songs aufhorchen, auch wenn die nicht mehr in die Top Ten kletterten. Zunächst mit „You Turn Me On I’m A Radio“, „You’re A Hard Dog (To Keep Under The Porch)“, „Boys Like You“ und „It’s You Alone“ (mit Ricky Skaggs) noch bei Warner Brothers. Nach dem Wechsel zu RCA ging es weiter mit „Jagged Edge Of A Broken Heart“, „Nothing Can Hurt Me Now“, „Lovin‘ Me Too“ (mit Vince Gill) und „Unwed Fathers“ (mit Dolly Parton).
1985 war Gail Davies auf Tournee in England. Dort kam sie auf die Idee, eine Country Rock Band zu gründen, die sie „Wild Choir“ nannte. Es entstand dann allerdings nur ein Album mit Musik, die für Country-Verhältnisse wohl zu progressiv ausfiel. Jedenfalls löste sich die Band bald wieder auf. Immerhin waren zwei Single in die Charts gekommen, „Heart To Heart“ sogar bis auf Platz 40. Experten bezeichnen die Musik von „Wild Choir“ als eine Art Vorläufer zu dem, was heute unter „Americana“ vermarktet wird. Bemerkenswert: das Album enthielt den Davies-Song „Safe In the Arms Of Love“, mit dem Martina McBride 1995 einen Top Five Hit verbuchte.
1988 wechselte Gail Davies zum MCA und verabschiedete sich 1989 mit den beiden Singles „Waiting Here For You“ und „Hearts In The Wind“ aus den Charts. Nicht aber aus dem Music Business. Bei Capitol versuchte sie es vergeblich noch einmal als Sängerin, dann konzentrierte sie sich auf das, was sie in L.A. gelernt hatte. Liberty Records verpflichtete sie als erste Produzentin, im Männer-Haifischbecken Nashville. Von 1990 bis 1994 trat sie den Beweis an, dass nicht nur sie selbst den Job ebenso gut machen konnte wie Männer, sie brach damit in eine Männer-Domäne ein und öffnete für künftige Kolleginnen wichtige Türen. Damit nicht genug, 1995 startete sie mit Little Chickadee Productions ihre eigene Plattenfirma, wo sie seither ganz nach eigenem Gusto sich selbst und andere Künstler aufnehmen kann. Was sie mit Bravour tut. Einige höchst bemerkenswerte und von der Kritik hoch gelobte Alben haben das unterdessen bewiesen, wie „Eclectic“, „Live At The Station Inn“ und „The Songwriters Sessions“.
Zu ihren bemerkenswertesten Produktionen gehört das 2002er Tribute Album an Webb Pierce: „Caught In the Webb“. Die Einnahmen fließen der Minnie Pearl Cancer Foundation zu. Mit von der Partie war mehr als ein Dutzend Stars der Country- und Bluegrass-Szene.
2011 trat Gail Davies dann noch als Buch-Autorin in Erscheinung und veröffentlichte ihre Biographie mit dem Titel „The Last oft he Outlaws“. Damit einher ging auch eine Art teilweiser Ruhestand, denn sie schraubte ihre Aktivitäten deutlich zurück. So ganz ohne die Musik und ihre Fans kommt sie dann aber doch nicht aus. Gelegentlich lässt sich Gail Davies noch für Auftritte verpflichten, wobei sie besonders gern nach Europa – auch nach Deutschland – kommt, denn in der alten Welt kann sie sich auf viele treue Fans verlassen.