Collin Raye
„Anfangs wollte ich Hits und all das Drumherum. Heute denke ich anders darüber, ich weiß, es ist mehr dahinter. Es geht darum, Menschen zu unterhalten und ihnen vielleicht sogar etwas mit auf den Weg zu geben. Das hatte ich zunächst unterschätzt“, sagt der Mann mit dem starken Tenor. Hits hat er einige sammeln können, auf der Bühne liefert er immer noch eine ungemein intensive Show. Da fühlt er sich fast wie ein Missionar, der dem Publikum mit seiner Musik etwas ganz Bestimmtes sagen will.
Der am 22. August 1959 in De Queen, Arkansas als Floyd Collin Wray zur Welt gekommene, immer noch blendend aussehende Bursche hat beim Publikum einen Stein im Brett. Er gehörte zu den erfolgreichsten Vertretern der „neuen Traditionalisten“, die in den 1990er Jahren die Country-Szene veränderten.
Ein Grund war sicher seine Bereitschaft, größten Wert auf die Inhalte seiner Songs zu legen, sich Texte auszusuchen, die deutlich tiefer gehen als der übliche Herz-Schmerz-Kram oder rein rhythmische, eigentlich inhaltslose Tanznummern. Drei Beispiele sollen dafür stehen.
„The Eleventh Commandment“ prangert den Kindesmissbrauch in unter die Haut gehender Weise an. Der Song stellt die Unantastbarkeit des Kindes quasi als 11. Gebot dar. „All My Roads“ und „Survivors“ stellen Beziehungen in den Mittelpunkt, die Probleme und Sorgen überstehen, die zwangsläufig auf Verliebte zukommen. Noch einmal Raye: „Ich beziehe gern Stellung zu wichtigen Dingen, auch und vor allem in einem Song.“ Kinder liegen ihm besonders am Herzen, nicht nur die eigenen.
Collin Rayes Kindheit war von Musik geprägt. Seine Mutter Lois Wray galt im östlichen Texas und in Louisiana als lokaler Star, sie stand im Vorprogramm von Elvis Presley, Johnny Cash und Jerry Lee Lewis als diese begannen, die Musikwelt aus den Angeln zu heben. Ihren Sohn nahm sie mit auf die Bühne seit er 7 geworden war. Wenn man so will, wurde er schon in diesem Alter Berufssänger. Als Teenager tat er sich mit seinem Bruder zusammen, als „The Wray Brothers“ machten sie in Texas und Portland, Oregon Furore. In den Spielcasinos von Reno fand er eine gute Schule als Entertainer.
Für „The Wrays“ gab es in den 1980er Jahren einige Singles, Mitte des Jahrzehnts bei Mercury Records. Zu dem Zeitpunkt hatte Collin Raye längst geheiratet und war Vater zweier Kinder. Ihnen zuliebe zog er erstmals im Leben in Erwägung, die Musik als Broterwerb aufzugeben als das Duo 1987 auseinander ging. Geholfen hat es leider nichts, die Ehe wurde später geschieden, allerdings blieben Collin Raye und seine Ex-Frau Connie gute Freunde.
Den Ausstieg aus der Musik verhinderte 1990 Epic Records. Dort hatte man Vertrauen in den versierten Entertainer mit der gnadenlos makellosen Tenorstimme. Zu Recht. Die erste Single „All I Can Be“ endete noch auf Platz 29, danach marschierte „Love Me“ durch bis zur Nr. 1 und hielt sich drei Wochen dort. Bis Ende 2000 folgte Hit auf Hit, wobei „In This Life“, „My Kind Of Girl“ und „I Can Still Feel You“ ebenfalls die Spitze eroberten. Mit nur einem Platz darunter vorlieb nehmen mussten „Every Second“, „Little Rock“, „One Boy, One Girl“, „On The Verge“ und „What The Heart Wants“.
Nach der Jahrtausendwende aber ging seine Zeit als Hitsänger zu Ende. Nicht aber die Zeit des Entertainers Collin Raye, der weiterhin in dieser Eigenschaft unterwegs ist. Auf der Bühne hat er nichts von seinem Charisma verloren. Geschickt spickt er seine Darbietungen mit Liedern aus anderen Bereichen, Songs, die man von den Beatles, Elton John, Rod Stewart, Bruce Springsteen oder Bryan Adams kennt, kommen auch bei ihm gut. Als leidenschaftlicher Balladensänger setzt er nach wie vor auf hochkarätige Songs, die auch aber nicht nur kommerziellen Ansprüchen genügen und auf eine ausgefeilte, ganz auf ihn zugeschnittene Live Performance.
Zwar konnten sich seine letzten Alben nicht in die Hitlisten einbringen, sie beinhalten aber exzellente Unterhaltung: „Fearless“ von 2006, „Never Going Back“ aus 2009 sowie „His Love Remains“ mit Gospel Songs, veröffentlicht im Jahre 2011.