Sie nehmen alle mit: Das großartige Jubilee-Konzertprogramm der Old Crow Medicine Show
Thomas Waldherr sah vor einigen Tagen in Kingston, New York, ein fantastisches Konzert der Gruppe rund im Ketch Secor, die seit dem vergangenen Jahr mit einer ausgedehnten Tour ihr 25-jähriges Bestehen feiert.
Im Jahr 1998 gründeten Ketch Secor und Critter Fuqua die Old Crow Medicine Show, so dass die Band im vergangenen Jahr ihr 25-jähiges Bestehen feiern konnte. Ketch und Critter versammelten damals eine verwegene Gang von jungen Musikern um sich, darunter einige noch im Teenager-Alter, die Old Time Music, Country und Folk mit Punk und Indie-Elementen kreuzten. Sie setzten sich in die formale Tradition der alten Medicine- und Countryshows und mischten sie mit Rebellion, Rock’n’Roll-Attitüde und einem ungeheuren Tempo. Der legendäre Doc Watson begeisterte sich für sie, „Wagon Wheel“, das sie aus dem Songfragment „Rock Me Mama“ von Bob Dylan weiterentwickelt hatten, der sich dafür wiederum vom schwarzen Bluessänger Arthur „Big Boy“ Crudup inspirieren ließ, wurde zum Mega-Hit und der Rest ist Geschichte.
25 Jahre Old Crow Medicine Show
Mittlerweile gab es mehrere Umbesetzungen in der Band – Critter Fugua ist nicht mehr dabei und neben Ketch ist nur noch Bassist Morgan Jahnig von der Originalbesetzung an Bord – doch die ausgelassene Spielfreude, die hohe Energie und eine perfekte, rasante Performance sind und bleiben weiterhin die Markenzeichen der Band, die mit ihrem Jubiläumsalbum „Jubilee“ seit dem vergangenen Jahr auf Konzerttour sind.
In den vergangenen Jahren sind die Old Crows – auch angestoßen durch Trump, Corona und Black Lives Matter – gesellschaftlich und historisch noch bewusster geworden. Sie haben sich mit dem Rassismus gegen den frühen schwarzen Opry-Star DeFord Bailey auseinandergesetzt und bilden auch in ihrem Live-Programm die amerikanische Country- und Folkmusik in all ihrer Breite und Vielfältigkeit ab. Davon konnte sich der Chronist am Sonntag, den 14. April 2024, im wunderschönen Kuppelsaal des „Ulster Performing Arts Center“ (UPAC) in Kingston, New York, bei einem begeisternden Konzert überzeugen.
An diesem Abend im bestens gefüllten UPAC-Saal gingen die Old Crows nicht nur zu ihren eigenen Wurzeln zurück – Gründungsmitglied Willie Watson, der die Band 2011 verließ, war Opener für die Gruppe und kehrte in seinem Heimat-Bundestaat auch für ein paar Stücke zurück in den Musikerreigen – sondern auch zu den Wurzeln des Genres.
Eigene Songs und Americana-Klassiker
Neben ihren eigenen Songs und Hits wie „Tennessee Bound“, „Dixie Avenue“, „Flicker & Shine“ und natürlich „Wagon Wheel“ spielen sie auch einige Cover und gehen mit ihnen weit zurück in die Musikgeschichte. Jerry Lee Lewis‘ „Great Balls Of Fire“ erfährt da ebenso eine Reminiszenz wie „White Lightning“, dem legendären „Schwarzbrenner-Song“, den „The Big Bopper“ J.P. Richardson geschrieben und George Jones gesungen hatte.
An die schwarzen Wurzeln der Countrymusik erinnern die Crows durch die Performance von „C.C. Rider“, dem alten Bluessong von Ma Rainey, den von Blind Lemon Jefferson über Ella Fitzgerald bis Ray Charles und Elvis Presley fast alle amerikanischen Musikgrößen schon aufgenommen haben. Dante’ Pope singt ihn mit kraftvoller Stimme am Klavier. Überhaupt hat der schwarze Künstler, der im vergangenen Jahr als Drummer John Pentecost ersetzte, der von Bob Dylan für seine aktuelle Tourband abgeworben wurde, die musikalischen Ausdrucksformen der Band erweitert. Neben dem Blues bringt er auch die Gospel-Wurzeln ein und ist maßgeblicher Akteur beim Medley von „My Bones Gonna Rise Again / Gospel Plow“. Und er spielt Waschbrett und Bones.
Von Vaudeville bis Pete Seeger
Die alte Vaudeville- und Medicine-Show-Tradition wird besonders bei Ketch Secors Version vom Merle Travis, Tennessee Ernie Ford-Hit „Sixteen Tons“ deutlich. Ketch macht aus dem Song über die Ausbeutung der Bergarbeiter eine furchteinflößende, doppelbödige Horror-Burleske – fantastisch. Aber auch eine andere Traditionslinie greifen sie auf. So erinnern die Old Crows auch an die Protestsong- und Folklegende Pete Seeger, der unweit von Kingston, in Beacon lebte. Sie bilden ein Medley seines „I Hear Them All“ und der Hymne des anderen Amerika, „This Land Is Your Land“.
Danach geht es mit „Wagon Wheel“ in die Zielgerade. Sah man von Anfang bereits viele vor allem in den Gängen ausgelassen tanzen, so stehen und tanzen mittlerweile alle im Konzertsaal. Als folgen dann noch der Americana-Klassiker „The Weight“ von The Band, die den Song im ebenfalls nahen Woodstock geschrieben und aufgenommen hatten und am Ende steht dann „I Saw The Light“ von Hank Williams.
Musikalische und gesellschaftliche Brückenbauer
Damit schließt eine rasante, faszinierende Musik-Show, die das Publikum begeistert hat. Diese Shows, dieses Liedgut, die Performance zeigt noch einmal die Ausnahmestellung der Old Crow Medicine Show auf. Sie sind ähnliche Brückenbauer wie es Johnny Cash und Pete Seeger waren oder es heute Marty Stuart ist. Die zeigen, wie alles musikalisch und gesellschaftlich zusammenhängt. Sie wollen alle mitnehmen. Wir tröstlich in diesem gespaltenen Land.