Run Woman Run: Ann Booth, Duke Goff, Dan Hoffman
Tammy Wynette, einer der größten weiblichen Stars in der Geschichte der Country Music, forderte immer wieder einmal die Kritik heraus. Aus einfachsten Verhältnissen stammend behielt sie zeitlebens eine erstaunliche Naivität bei, wenn es um die Thematik ihrer Songs ging. Dennoch oder gerade deswegen war sie mit derartigen Songs ungeheuer erfolgreich. Ihr größter und zeitloser Hit „Stand By Your Man“ steht bis heute immer wieder im Mittelpunkt von Diskussionen. Run Woman Run greift die gleiche Thematik auf. Der Song ist ein weiterer Beweis dafür, worauf man bei Veröffentlichungen mitunter achten sollte.
Zum besseren Verständnis muss man die gesellschaftliche Situation kennen zur Zeit der Veröffentlichung eines solchen Songs. Wir schreiben das Jahr 1970. Das Thema Gleichberechtigung der Frau war in den USA ein heiß diskutiertes. Tammy Wynette hatte mit „D-i-v-o-r-c-e“ und vor allem „Stand By Your Man“ die Frauenrechtlerinnen auf den Plan gerufen, die ganz und gar nicht damit einverstanden waren. Denn – so der Vorwurf – mit derartigen Inhalten würden die Bemühungen um Gleichberechtigung konterkariert. So kann man es durchaus sehen.
Auch „Run Woman Run“ geht in diese Richtung. Beschrieben wird eine Frau, die aus dem Ehe-Alltag ausgebrochen ist und den Ehemann verlassen hat. In der festen Absicht, ihm klar zu machen, dass er sie frei geben muss. In dieser Situation erhält sie den Rat, sich zu besinnen, schleunigst zu ihm zurückzukehren und ihm zu sagen, sie habe ihn vermisst. Schließlich wisse sie, was sie bei ihm und an ihm habe – das solle sie nicht wegwerfen zugunsten einer ungewissen Zukunft. Ihr wird suggeriert, sie sei ein „gutes Mädchen“ und müsse begreifen, dass sie den idealen Mann, einen ohne Seitensprünge, nie finden werde. Es fällt nicht schwer, die Botschaft so zu interpretieren, dass man dem Ehemann Untreue als normal zugestehen müsse. Umgekehrt darf sich eine Ehefrau dies nicht erlauben.
Für Tammy Wynette waren solche Songs normal. „Ich habe mir nichts dabei gedacht, denn das war die Welt, in der ich aufgewachsen bin. So kannte ich es aus dem Umfeld. Deshalb konnte ich die Aufregung darum zunächst nicht verstehen. Vielen anderen Frauen ging es offenbar auch so, denn trotz der widersprüchlichen Inhalte wurden die Aufnahmen zu Hits“, sagte sie dazu. Dazu beigetragen haben sicher auch ihre eigene Persönlichkeit und ihre überzeugende, glaubwürdige Interpretation.
Aus den Erfahrungen früherer Veröffentlichungen hatte Epic Records gelernt, man war gewarnt und befürchtete heftige Proteste der „Women’s Lib“. Einer Bewegung, die eine Single durchaus zu einem Rohrkrepierer werden lassen konnte – Beispiele dafür gibt es einige. Also schaltete man ganzseitige Anzeigen, um allen Protesten schon im Vorfeld den Wind aus den Segeln zu nehmen. Mit Erfolg,. Denn „Run Woman Run“ wurde Tammy Wynette’s neunte Nummer 1 in nur 4 Jahren.