Jimmy Ellis alias Orion
Sein Leben und seine Karriere sind maßgeschneidert für einen Hollywood-Film, es wundert mich, dass dies bisher nicht umgesetzt worden ist – die Rede ist von Jimmy Ellis. Die Stimme, die ihm mit auf den Lebensweg gegeben wurde, erwies sich als Fluch und Segen gleichermaßen. Karriere und Leben endeten auf tragischste Weise.
Begonnen hatte alles am 26. Februar 1945 in Pascagoula, Mississippi. An diesem Tag wurde Jimmy Hughes Bell dort geboren. Seine Mutter war alleinerziehend und hieß Gladys mit Vornamen. Auch die Mutter von Elvis Presley hatte den gleichen Vornamen. Gladys Bell konnte oder wollte ihren Sohn nicht groß ziehen, sie gab ihn im Alter von 2 Jahren zur Adoption frei. R.F. Ellis und seine Frau Mary Faye wurden die Adoptiveltern des Knaben. Wie seine Kindheit verlief, wann und wie er erste musikalische Ambitionen zeigte, ist nicht bekannt. Hier beginnt bereits das „Verwirrspiel“, das später um ihn als Künstler inszeniert wurde.
Bei einem Besuch in Köln erzählte er mir in den frühen 1980er Jahren, er habe sich früh für Gospel, Country und Rock’n’Roll interessiert. Zu seinen Favoriten gehörten Ray Price, Marty Robbins, Eddy Arnold und natürlich Elvis Presley. Als Sänger sei er erstmals an der High School aufgetreten. Als Beginn seiner Karriere sah er selbst den Gewinn eines Talent-Wettbewerbes in Alabama, mit dem uunter anderen ein „Preisgeld“ von 1000 Dollar verbunden war.
Jimmy Ellis trat während der College-Ausbildung in kleinen, lokalen Clubs auf. Es war seine Stimme, die die Menschen in ihren Bann zog, denn die war nahezu identisch mit der des Elvis Presley. Ob er sprach oder sang, wenn man die Augen schloss, glaubte man, Presley zu hören. Und das war nicht antrainiert oder einstudiert, es war seine ganz normale Stimme. Erste Platten entstanden, sie blieben Ladenhüter. Man griff doch lieber zu den Tonträgern des Originals. Mitte der 70er Jahre veröffentlichte Ellis auf dem Mini-Label „Boblo Records“ den Song „I’m Not Trying To Be Elvis“. Damit deutete er an, dass er den „Kampf“ gegen die „Elvis-Schublade“ aufgenommen hatte, in die man ihn steckte. Ich darf es vorweg nehmen, gewonnen hat er diesen Kampf nie. Mir sagte er damals: „Ich kann ja nichts für meine Stimme, die ist nun einmal mit der von Elvis nahezu identisch. Um nicht so zu klingen wie er, muss ich die Stimme verstellen. Das ist auf Dauer verdammt anstrengend. Ich habe aber durch diese Stimme auch richtig Vorteile, ich bin damit bekannt und populär geworden. Insbesondere nach dem Tod von Elvis. Andererseits sind all meine Versuche gescheitert, eine eigene Identität zu erlangen. Es schmerzt schon, wenn du immer und immer wieder auf einen Elvis-Imitator reduziert wirst. Meine stimmliche Ähnlichkeit zu Elvis ist ein Segen und ein Fluch gleichermaßen.“ Da schwang zwar Resignation mit aber aufgegeben hat er seine Bemühungen danach nicht.
Als es mit Jimmy Ellis nicht recht etwas wurde, trat „Orion“ auf den Plan, in den er sich quasi verwandelte. Über einige Umwege war Ellis bei Shelby Singleton gelandet, dem damals SUN Records gehörte. Singleton hatte sich zu einer der schillerndsten Persönlichkeiten im Country Business entwickelt und war um eine clevere Idee nie verlegen. Sofort erkannte er, dass sich hier etwas anbot, dass für alle Beteiligten lukrativ sein konnte. Jimmy Ellis hatte einige Jahre vorher zwei frühe Presley Titel gecovert, darunter der Bill Monroe Klassiker „Blue Moon Of Kentucky“, eine Anleihe beim Bluegrass also. Diese beiden Aufnahmen packte Singleton 1978 auf eine SUN-Single, dort wo üblicherweise der Name des Interpreten steht, prangte ein Fragezeichen. Fast gleichzeitig schickte er die LP „Duets“ ins Rennen, auf dem Jerry Lee Lewis gemeinsam mit einem nicht genannten Partner sang, der sich verdächtig nach Presley anhörte. Man hatte im Studio den alten Aufnahmen die Stimme von Jimmy Ellis hinzugefügt.
1978 gab Singleton Ellis den Künstlernamen „Orion Eckley Darnell“ in Anlehnung an eine Kurzgeschichte, die ein Jahr vorher erschienen war. „Orion“ handelte von einem Rock’n’Roll-Star gleichen Namens, der seinen Tod vortäuscht. Damit gab Singleton Raum und Nahrung für Spekulationen, die immer mehr ins Kraut schossen. Er schürte diese Spekulationen mit immer neuen Aktionen, erst recht, nachdem Elvis Presley 1979 gestorben war. Das erste Album von „Orion“ erschien danach mit dem vielsagenden Titel „Reborn“. Singleton verpasste seinem Schützling eine Art „Zorro-Maske“, hinter der er sich in der Öffentlichkeit verbarg, die er natürlich auch bei seinen Auftritten trug. Auch wenn heftig diskutiert wurde, ob Elvis Presley doch noch unter den Lebenden weilte, blieb es für die meisten Menschen offenkundig, dass es sich hier um ein Verwirrspiel handelte, konnte man bei nicht genauem Hinhören durchaus glauben, den Superstar singen zu hören.
Shelby Singleton hatte das richtige Näschen gehabt, denn einige Jahre klappte es zumindest live. Orion trat mit Stars der Country-Szene auf, darunter Jerry Lee Lewis und Reba McEntire, aber auch mit Entertainment-Größen wie Dionne Warwick. Mehr als 10 Alben wurden von Orion veröffentlicht, er kam mehrere Male nach Europa, nur ein richtiger Hit wollte ihm nicht gelingen. Zwischen 1979 und 1982 brachte er zwar 11 Singles in die Charts, keine davon schaffte die Top Fifty. Allmählich verblasste der Überraschungs-Effekt und Ellis tat das, was er bei unserem ersten Interview angedeutet hatte. Er versuchte, sich vom „Elvis-Stempel“ zu befreien. Besonders gewurmt hatte es, dass man ihn als Elvis-Imitator bezeichnete. Ellis dazu: „Es tut nicht nur weh, es ist auch total falsch. Ein Imitator verstellt seine eigentliche Stimme, er versucht, eine Karriere aufzubauen, indem er Titel des Stars covert, sich wie der kleidet und bewegt. Das habe ich nie getan, ich singe mit genau der Stimme, die mir angeboren ist. Um nicht wie Elvis zu klingen, müsste ich sie verstellen.“
Das Verwirrspiel hatte zwar für wenige Jahre geklappt und vielleicht auch Spaß gemacht aber Ellis hatte zu Recht die Befürchtung, seine eigene Identität zu verlieren. Er wollte endlich als Künstler Jimmy Ellis ernst genommen werden. 1983 nahm er bei einem Konzert die Maske ab und erklärte öffentlich, diese nie wieder tragen zu wollen, „Orion“ gehöre somit der Vergangenheit an. Auch gingen er und SUN Records getrennte Wege.
Ironie des Schicksals: Jimmy Ellis sollte es nicht vergönnt sein, ähnlich populär zu werden wie „Orion“ es gewesen war. Im Gegenteil, das Schicksal hatte Schlimmes mit ihm vor. 1997 wurde er in Alabama, wo er lebte, Opfer eines Raubüberfalles, er kam gerade mit dem Leben davon. Im Jahr danach hatte er weniger Glück. Am 12. Dezember 1998 wurde er im „Alabama Pawn Shop“, den er betrieb überfallen. Dem Polizeibericht zufolge hatte Jimmy Ellis keine Chance. Ein Gangster hatte sofort um sich geschossen und Ellis tödlich verletzt. Er habe sich zwar noch hinter einen Tisch retten können, sei wenig später aber der Schussverletzung erlegen. Elaine Thompson, die Ex-Frau von Jimmy Ellis, wurde durch einen Kopfschuss ebenfalls getötet. Eine Angestellte überlebte das Blutbad mit leichten Verletzungen. Die drei Täter wurden wenig später gefasst und abgeurteilt. Jimmy Ellis, der mit einer Reihe von Pseudonymen versucht hatte, den „Elvis-Stempel“ loszuwerden, war nur 53 Jahre alt geworden.