Drew Holcomb & The Neighbors: Medicine
Mit „Medicine“ von Drew Holcomb & The Neighbors richten wir den Blick auf ein bemerkenswertes Album eines ungewöhnlichen Künstlers. Auf dem Albumcover erscheint der vollbärtige Interpret in wohlbehütetem, traditionellem Aufzug, der ihn als klassisch orientierten „hand-made artist“ einordnet. „Unsere Musik ist einfach und kommt von Herzen. Wir spielen, um dem Alltag der Menschen ein Zuhause zu geben. Genauso wie ich es auf vielen meiner Lieblingsalben erlebt habe“, gibt der 32-jährige Mann aus Tennessee seine musikalische Bestimmung preis.
Stilistisch passt der Sammelbegriff Americana wohl am besten auf den Musikworkaholic, der in den letzten 10 Jahren mehr als 1.700 Liveauftritte absolviert hat. Grundgerüst ist eine dezent instrumentierte Folkstilistik mit einer radiofreundlichen, populären Melodieführung, der vereinzelt härtere Elemente des Alternative Rock beigefügt werden.
Auf seinem fünften Studioalbum „Medicine“ kann der in Nashville lebende Holcomb seine Herkunft nicht ganz verhehlen und gibt dem Country an der ein oder anderen Stelle seine Aufwartung. Doch mit Abhören des 12-teiligen Machwerks rückt die Stilfrage zunehmend in den Hintergrund, weil es sich im Endeffekt ohne tiefere Analyse schlicht und ergreifend um gute Musik handelt. Holcombs Stimme hat etwas berührend Lyrisches und bündelt die verschiedenen Strömungen in seiner eigenen Person zu etwas Neuem zusammen.
Auf den ersten beiden Stücken, dem schon fast lieblichen „American Beauty“ und dem etwas tiefergehenden „Tightrope“, präsentiert er sich mit sparsamer Instrumentierung als Singer-Songwriter par excellence. Diese klassisch anmutende Art Geschichten zu erzählen, bringt er auf „Avalanche“ mit einer geschmeidigen Melodie gekonnt in Verbindung. Doch der kauzige Storyteller kann auch „modern“. Auf „Here We Go“ lässt er uns mit einer poppigen Sommerbrise einen Hauch von Jimmy Buffett spüren, während er auf „The Last Thing We Do“ mit Hilfe von Autotunes den Punkrocker andeutet. „Shine Like Lightning“ ist absolut singleverdächtig und fügt sich mit einer unwiderstehlichen Hook perfekt in das gängige New-Countrymuster ein. Auf dem ungezähmten „Sisters Brothers“ dominieren die Drum Sets und zerlegen die anfänglich heimelige Folkstimmung in ihre Einzelteile.
Doch dann sind es wieder die zärtlich vertonten Geschichten, die hinter dem Pop-Rock-Gewand den ernsthaften Songwriter hervorholen. Perfekte Beispiele dafür sind das an die ebenfalls singende Ehefrau Ellie gerichtete „You’ll Always Be My Girl“ oder das bluesige, an Simply Red erinnernde „Ain’t Nobody Got It Easy“. Auch „Heartbreak“ ist eine warmherzige Countryballade, sehnsuchtsvoll und mit viel Tiefgang performt.
Nach dem finalen Bekennersong „When It’s All Said And Done“ darf man sich einig sein, dass Drew Holcomb auf „Medicine“ mit einer umwerfenden Wandlungsfähigkeit agiert und für jeden Stil und Geschmack die passende Rezeptur bereithält. Stimme, Arrangement und Melodieführung präsentieren sich auf durchweg hohem Niveau und machen dieses Album ohne einen Anflug von Langeweile hörenswert.
Fazit: Drew Holcomb zeigt sich auf „Medicine“ als musikalisches Chamäleon, indem er Musikfans und Kritikern eine außergewöhnliche stilistische Bandbreite aufbietet. Damit lässt sich der eigenwillige Americana-Poet weder eindeutig einer stilistischen Schublade noch einem festen Hörerkreis zuordnen. Dass er es dennoch erstmalig unter die Top 50 der Billboard-Albumcharts geschafft hat, bestärkt uns in der Annahme, einen originellen Künstler auf seinem vorläufigen Karrierehöhepunkt zu erleben.
Künstler / Albumtitel: Drew Holcomb & The Neighbors: Medicine
Format / Label / Veröffentlicht: CD, Vinyl & Digital (Magnolia Music 2015)
Bewertung: 4,5 von 5 möglichen Punkten
Bestellen / Download:
Trackliste:
01. American Beauty
02. Tightrope
03. Here We Go
04. Shine Like Lightning
05. Avalanche
06. Heartbreak
07. You’ll Always Be My Girl
08. Sisters Brothers
09. The Last Thing We Do
10. Ain’t Nobody Got It Easy
11. I’ve Got You
12. When It’s All Said and Done