Bryan Hayes – Farther Down The Line
Bryan Hayes ist ein ungewöhnlicher Charakter. Der im südtexanischen Brownsville geborene Singer-Songwriter mit der „Anti-Star-Optik“ verkörpert viel von dem Idealismus, der die großen Vorbilder des Genres einst ausgezeichnet hat. Dass es in mehr als 10 Jahren Musikerkarriere nur zu drei echten Longplay-Alben gereicht hat, ist keineswegs Ausdruck mangelnder Kreativität, sondern den besonderen Umständen seines Lebensweges geschuldet.
Hayes, der in der Kleinstadt Moscow in Tennessee ansässig ist, konnte mit den Alben „Just A Man“ im Jahr 2004 und „Long Hard Look“ zwei Jahre später einen verheißungsvollen Karrierestart hinlegen und dabei den ein oder anderen regionalen Songwriteraward abräumen. Was danach folgte, war ein selbst gewählter Karriereknick, als der tiefreligiöse Songstilist bei der Nationalgarde anheuerte, um den US-Truppen im Irak zu dienen.
Nach drei Jahren militärischem Stahlbad kehrte Bryan Hayes im Jahr 2010 in die USA zurück – mit neuen Erfahrungen, neuer Inspiration und ungebrochener Musikalität. „Es besteht kein Zweifel, dass die Zeit im Irak mein Songwriting beeinflusst hat“, stellt der Armyrückkehrer heute fest. „Vielleicht ist ‚gereift‘ nicht das richtige Wort, aber es ist fast unmöglich, in einem fremden Land in Kriegshandlungen verwickelt zu sein, ohne sich dabei zu verändern. Diese Zeit gab mir das Selbstvertrauen, Themen anzufassen, die ich mir zuvor nicht im Entferntesten zugetraut hatte.“ Nach einem Re-Recording seines Debütalbums und dem Kurzläufer „Tangled Up In You“ im Jahr 2013 hat der Mann, der die texanischen Urgesteine Guy Clark und Robert Earl Keen als Vorbilder bezeichnet, nun den dritten, echten Fullsizer nachgelegt. Herausgekommen ist ein Machwerk, das vor Musikalität nur so sprudelt und das Prädikat „countrylike“ verdient hat.
Farther Down The Line heißt der 12-Teiler, der von dem grammydekorierten Soundtüftler Andy Hunt in Nashville produziert wurde. Er beschreibt eine schnörkellose Country-Americana-Rundreise, die sich vom ersten Moment an warm, harmonisch und zugänglich präsentiert. Dies ist umso erstaunlicher, wenn man bedenkt, dass ein Großteil der Songs während Hayes‘ Stationierungszeit im irakischen Mossul entstanden ist. Die aktuelle Radiosingle „I Wanna Run“ ist so ein Musterbeispiel für eine positiv dynamische Vertonung einer an sich nachdenklichen „Far-Away-From-Home-Story“. Als Zeichen seiner Verbundenheit hat Hayes die Einnahmen aus diesem Singleverkauf einem Projekt für verwundete Kriegsheimkehrer gewidmet.
Zu Beginn des Albums wird der Hörer erst mal von dem kraftvollen „Let’s Ride“ abgeholt, das modernen Ansprüchen eines hitverdächtigen Countrysongs genügt: melodisch, rhythmisch und inhaltlich im Genre verwurzelt. „Small Town Amazing Grace“ ist ein patriotischer Song der angenehmen Sorte, der die Singer-Songwriterqualitäten seines Interpreten in den Vordergrund stellt, ohne auf dezente Honkytonkelemente wie Steel und Banjo zu verzichten. Der lyrische Titelsong erinnert in seiner Interpretationsweise ein wenig an den großen John Denver, während „Tangle Me Up In You“ schon fast ausgelassene Gassenhauerqualitäten à la „Wagon Wheel“ an den Tag legt. Das folkig-stimmungsvolle „Our Love Is Like A Tractor Tire“ sticht gemeinsam mit dem melancholischen „The Other Side“ aus dem High-Level-Kanon nochmals heraus. Auf dem „Heimweh-Sing-A-Long“ „Southern Rain“ lässt Hayes mit Tom Petty einen weiteren Großen der amerikanischen Musikszene durchscheinen, bevor es auf „In The USA“ im transparenten Countryrockgewand nochmals patriotisch wird.
Die letzten drei Songs – das zärtlich-emotionale „Woman“, die tiefgründige Ballade „Long Black Veil“ und der finale Happy-Country-Folk „Everything Will Be Okay“ – können das hohe Niveau dieser bemerkenswerten, musikalischen Visitenkarte problemlos halten. In gerade Mal 45 Minuten hat es Bryan Hayes geschafft, sich quasi aus dem Nichts zu einem Geheimtipp der Americana-Songwriterszene hervorzutun.
Fazit: Der Tennessee-Singer-Songwriter Bryan Hayes lässt mit einem Album aufhorchen, das jenseits des Chartradars für Musikfreunde von Folk bis Country einen bunten Blumenstrauß bereithält. Was „Farther Down The Line“ insbesondere auszeichnet, ist seine organische Einfachheit mit einer liebevollen Verpackung autobiographisch beeinflusster Geschichten. Vergleiche zu aktuellen Szenekünstlern fallen schwer. Ein John Denver in der Blüte seines Schaffens hingegen könnte heute in der Tat wie Bryan Hayes klingen.
Titel: Farther Down The Line
Künstler: Bryan Hayes
Veröffentlichungstermin: 26. Mai 2015
Label: Bryan Hayes
Laufzeit: 43:53 Min.
Format: Digital
Tracks: 12
Genre: Country, Americana
Bewertung: 4,5 von 5 möglichen Punkten!
Trackliste:
01. Let’s Ride
02. Small Town Amazing Grace
03. Farther Down The Line
04. Our Love Is Like A Tractor Tire
05. I Wanna Run
06. Tangle Me Up In You
07. The Other Side
08. Southern Rain
09. In The USA
10. Woman (You’re Amazing To Me)
11. Long Black Veil
12. Everything’ll Be Okay