Die Lil Nas X-Kontroverse
Warum die Diskussion um "Old Town Road" kein neues Phänomen ist und warum sich die Countrymusik endlich zu ihren "schwarzen Wurzeln" bekennen muss.
Vor einigen Wochen in Chicago beim Bluesfestival traf ich Dom Flemons. Wir kamen auch auf ein Thema zu sprechen, welches das ganze Jahr über schon in der Musikszene für Furore sorgt. Lil Nas X‚ Super-Hit Old Town Road. Gerade eben mit 17 Wochen an der Spitze der US-Charts zum Rekordhalter geworden, wurde er anfangs noch in den Billboard Country Charts geführt. Just als er sich anschickte auf die Pole-Position zu klettern, kam man bei Billboard zu der Expertise, „Old Town Road“ sei gar kein Country-Song und versetzte ihn in die Popcharts. Bumm, das hatte gesessen!
Während viele ob dieser Geschichts- und Gesichtslosigkeit aufstöhnten, freuten sich andere, sich besonders gerne als Traditionalisten verstehende Zeitgenossen. Vor ein paar Tagen, dann das Unvorstellbare, „Old Town Road“ wurde live in der Grand Ole Opry gesungen. Aber nicht von Lil Nas X, sondern vom Remix-Gesangspartner, der Country-Legende Billy Ray Cyrus, und dem Kinderstar Mason Ramsey. Die Aufnahmen belegen, dass das Publikum sicht- und hörbar begeistert war. Warum denn auch nicht? Wenn Musiker wie Keith Urban Musik machen, die früher als Mainstream-Pop-Rock gegolten hätte oder Billy Currington in seine Musik Beats und Bässe einbaut, die ebenso wie manche Gestik oder Sprachfigur von der schwarzen in die weiße Mainstream-Popkultur eingeflossen sind, dann haben sie ja auch ihren Platz auf der Opry-Bühne. Hier jedoch schlug den Protagonisten in den sozialen Medien großer Zorn entgegen und vielerorts wurde wieder einmal das Ende der Countrymusik ausgerufen.
Die Countrymusik wurzelt in der Fusion
Die Geschichte der Countrymusik war schon immer eine Geschichte der Fusionen von weißer und afro-amerikanischer Kultur im Süden. Die „Songsters“, die fahrenden Sänger in den Südstaaten Anfang des 20. Jahrhunderts hatten das gleiche Repertoire aus Hillbilly, Blues, Ragtime und Folk egal ob sie weiß oder schwarz waren. Zwar galten die Jim Crow-Gesetze der Rassentrennung im Süden, aber im praktischen Zusammenleben insbesondere beim Musizieren wurden sie in den 1930er und 1940er Jahren auch schon mal unterlaufen. Hank Williams lernte das Gitarre spielen vom schwarzen Schuhputzer Rufus „Tee Tot“ Payne. A.P. Carter hätte ohne seinen Freund und Gehilfen Lesley Riddle niemals seine Folksong-Sammlung zusammentragen können. Bill Monroe, der Vater des Bluegrass – im Übrigen eine Fusion aus Mountain Music, Blues und Jazz – hat dem schwarzen Gitarristen Arnold Shultz viel zu verdanken. Und Jimmie Rodgers, der Vater der Countrymusik nahm zusammen mit Louis Armstrong auf.
Aber die Countrymusik, die ja erst nach dem Aufkommen der Schallplatte als in Massen reproduzierbarer und verkaufbarer Tonträger möglich wurde, weil in den Plattenläden nun die Sparten Country & Western für die weiße und Race Recorde für die schwarze Hillbillymusik eingeführt wurden, wollte weiß sein. Hört man auf alten Old Time Music-Platten so gut wie keinen Unterschied ob da weiße oder schwarze String Bands spielen, so war nun die Gelegenheit gekommen, durch Labeling, Imagebildung und visueller Markenbildung die Countrymusik vollends weiß zu waschen. Hatte die Grand Ole Opry anfangs noch den begnadeten schwarzen Mundharmonikaspieler DeFord Bailey in ihren Reihen, wurde er Anfang der 1940er auf dem Höhepunkt der Rassentrennung aus der Opry gemobbt. Mehr als 25 Jahre sollte es dauern bis 1967 mit Charley Pride erneut ein schwarzer dort auftrat. Pride wurde 1993 Mitglied der Grand Ole Opry. Der dritte und bisher letzte schwarze „Member Of The Grand Ole Opry“ ist der 2012 berufene Darius Rucker. Sowohl Pride als auch Rucker sind beim Hören nicht als Schwarze zu identifizieren und auch vom Auftreten sind sie für das weiße Publikum kompatibel. Ebenso wie die süße Mickey Guyton, die das Motown-Muster der schwarzen Kindfrau in die Country-Szene überführt. Sie sind hinnehmbar.
Wer hat Angst vorm schwarzen Mann?
Im Gegensatz zu Stars der Back Community wie Beoncé Knowles oder eben Lil Nas X. Die selbstbewusste, schon einmal mit Dresscodes der Black Panter spielende Beoncé erntete für ihren gemeinsamen Auftritt mit den Dixie Chicks – alle vier sind stolze Texanerinnen – bei den Country Music Awards 2016 einen Shitstorm, der zur Folge hatte, dass das Video des Auftritts von der Veranstaltungswebsite getilgt wurde. Und Lil Nas X mit seinem offensiven Rapper-Auftreten, wollte man dem Grand Ole Opry-Publikum wohl auch nicht zumuten.
Dom Flemons hat gesagt, wenn weiße Musiker wie Schwarze klingen würden, würde das bewundert. Wenn aber Schwarze „weiße Musik“ spielen würden, dann wäre das nicht gern gesehen und gehört. Doch viele Schwarze hören liebend gern Countrymusik. Wenn man im Süden aufwächst kommt man nicht an ihr vorbei. Doch davon wollen die Weißen nichts wissen. Es gibt die schöne Szene in dem Biopic „Ray“ als Ray Charles in einer Country-Kapelle anheuern will. Seine beiden Countrymusik-Alben sind mittlerweile legendär, werden aber sicherlich in weißen Haushalten in Alabama wohl eher nicht zu finden sein.
Wenn also selbst ernannte Traditionalisten jede Neuerung der Countrymusik durch Einflüsse moderner Schwarzer Musik ablehnen, dann ist das nur vordergründig eine musikalische Geschmacksfrage. Rap ist die Musik des aufmüpfigen „Negers“ aus der Großstadt. Solche Einflüsse stören die ewige „Waltons Mountain-Idylle“ nur. Dass die Geschichte der Country und Western-Kultur eine einzige Geschichte der Übernahme schwarzer Einflüsse bei der gleichzeitigen Auslöschung der Erinnerung an diese Herkunft ist – Dom Flemons hat es mit „Black Cowboys“ großartig exemplarisch nachgewiesen – ist politisch und kommerziell gewollt und fällt auf sozialpsychologisch fruchtbaren Boden.
Für ein modernes und offenes Verständnis von Countrymusik
Denn Countrymusik ist der „Blues des weißen Mannes“. Das Ventil der armen Weißen. Mal intelligenter, weil sich mit den Lebensbedingungen auseinandersetzend – Johnny Cash, Kris Kristofferson, mal weniger intelligent, wenn nur noch Pick Up, Party und Patriotisms den Soundtrack zum Delirium im Trailerpark bilden. Sie bedient ein weißes Publikum und eint es. Schwarze dürfen da nur begrenzt mitspielen. Dieses Verständnis von Countrymusik ist überholt und jede Neuerung durch Anreicherung mit zeitgenössischer schwarzer Musik führt zur Gefahr eines Kulturkrieges. Aber es gibt keine Alternative zu einer Öffnung. Das verwandte Americana-Genre praktiziert sie schon. Und große Künstler wie Johnny Cash haben dies zeitlebens auch getan. Der aus einer armen weißen Pflanzer-Familie in Arkansas stammende „Man in Black“ hat zusammen mit Ray Charles, Louis Armstrong oder den Staple Singers musiziert.
Die alten weißen Männer führen ihre letzte Abwehrschlacht. Die Countrymusik darf sich nicht von ihnen instrumentalisieren lassen. Gerade in den Zeiten, in denen das „Othering“ in den USA, die Spaltung und Rassentrennung, von höchster Stelle aus befördert wird, wünsche ich mir noch viele Auftritte von Dom Flemons oder Rhiannon Giddens, die sich ja selbstbewusst als „Southern Country Girl“ definiert, in der Grand Ole Opry. Und ein wirklicher Fortschritt wäre dann auch ein gemeinsamer Auftritt von Billy Ray Cyrus mit Lil Nas X. Mit „Old Town Road“, dem größten Country-Hit des Jahres.