Linda Martell: Ein Opfer des Rassismus im Nashville der 1970er Jahre
Vor 50 Jahren erschien ihr erstes und leider einziges Album - Color Me Country.
Vor ziemlich genau 50 Jahren kündigt Roy Clark, Sänger und Moderator der damals populären Fernsehshow Hee Haw ohne große Einleitung eine Linda Martell an. Dann singt eine hübsche, junge Frau im ebenso hübschen, grünen Kleid „Bad Case Of The Blues“ und sie jodelt dabei gekonnt. Das wäre nichts Besonderes, wäre sie nicht die erste schwarze Frau, die 1969 in Nashville einen Plattenvertrag bekam. Drei Singles und ein Album konnte sie in den Country-Charts platzieren. Sie trat zwölf Mal in der Grand Ole Opry auf, die übrigens darüber keine schriftlichen Aufzeichnung hat. 1974 verschwand sie plötzlich aus der Öffentlichkeit. Im Musikmagazin Rolling Stone wurde kürzlich ein Interview mit der nun 79-jährigen Linda Martell veröffentlicht, in dem sie erzählt, wie letztlich die rassistischen Vorurteile sie um ihre Karriere brachten.
Als Thelma Bynam wurde sie am 4. Juni 1941 in Leesville in South Carolina geboren. Die Rassentrennung war zu dieser Zeit noch Gesetz und mit ihrem Vater, einem Kleinbauern, ging sie in die schwarze Kirche, in die weiße durften „Neger“ nicht. Von frühester Kindheit spielte Musik und Gesang für sie eine große Rolle und ganz natürlich war es, dass sie sich einer Gospelgruppe anschloss. Schon als Kind hörte sie ihren Vater Country-Songs singen, wie Hank Williams‘ „Your Cheatin‘ Heart“, doch sie entschied sich als Teenager für Rhythm & Blues. Sie gab sich den Künstlernamen Linda Martell und mit ihrer Gruppe, den Angelos, nahm sie diverse Songs auf, die alle floppten. So machte sie alleine in Clubs weiter, heiratete mit 19 und bekam drei Kinder. Die Ehe hielt genau sechs Jahre. 1968 geschah, was für sie wie ein Wunder war. Sie sang in ihrem Heimatort auf einer Veranstaltung der Air Force, wo sie ein Unternehmer aus Nashville namens William „Duke“ Rayner sah. Als er ihre Coverversionen von Country-Songs hörte, war er so begeistert, dass er ihr einen Plattenvertrag mit dem erfolgreichen Produzenten Shelby Singleton Jr. besorgte.
Singleton überzeugte sie, dass sie Country singen sollte, wozu sie nach etlichem Zögern einwilligte. In einem 12 Stunden Studio-Marathon wurde ihr erstes (und leider einziges) Album eingespielt. Color Me Country ist ein kleines Meisterwerk geworden, ihre tolle Stimme wurde allen Songs gerecht. Sie ist heute noch von der Qualität ihrer Studiomusiker begeistert. Das Album ist übrigens heute wieder als CD erhältlich. Ihre erste Single „Color Him Father“ erreichte Platz 22 in den Charts und mit „Before The Next Teardrop Falls“ landete sie auf Platz 33. Dieses Lied wurde sechs Jahre später von Freddy Fender gesungen und zu einer Nummer 1 in den Country- und Popcharts. Singleton hatte sie als weibliches Pendant zu Charley Pride gesehen, der zu dieser Zeit als erster und bislang einziger schwarzer Countrysänger Erfolg hatte. Ein letzter kleiner Chartserfolg gelang ihr mit erwähntem „Bad Case Of The Blues“ auf Platz 55.
Ihre ersten Liveauftritte machten ihr schnell klar, dass es so einfach nicht sein würde, als Schwarze vor einem immer ausschließlich weißen Publikum aufzutreten. Oft kamen es zu herabsetzenden, rassistischen Beleidigungen, auf die sie sich nicht getraute zu reagieren und auch manche weiße Kollegen waren unfreundlich zu ihr. Ein Promoter in Beaumont, Texas, setzte ihre Show einfach ab, als er ihre Hautfarbe sah und „Fans“ meinten, ihre Musik sei kein Country. Charley Pride riet ihr damals, das einfach zu ignorieren und wie er einfach gut zu singen, doch Linda Martell kamen erste Zweifel. Die Unterstützung von Shelby Singleton für sie ließ nach, als er sich vor allem für seinen Nummer 1 Act Jeannie C. Riley (Harper Valley P.T.A) einsetzte. Sie versuchte zu einer anderen Plattenfirma zu wechseln, was – wie sie sagt, von Shelby Singleton Jr. mit Tricks blockiert wurde. Eine Karriere in Nashville erschien ihr nicht mehr machbar, wofür sie Singleton, der 2007 starb, auch heute noch verantwortlich macht.
Frustriert gab sie auf und zog zurück nach South Carolina, wo sie zwar in Clubs auftrat, aber auch jobbte (sie fuhr eine Weile Schulbusse!) und eigentlich vergessen wurde. Daran änderte sich nichts, als ihr „Color Him Father“ auf dem Sampler „From Where I Stand: The Black Experience in Country Music“ dabei war. 2004 besiegte sie Brustkrebs und lebte dann in einem Wohnmobil, bis sie zu ihrer Tochter zog. 2013 wurde Linda Martell im Museum der Country Music Hall Of Fame mit einer (kleinen) Ausstellung geehrt und der Film „A Country Christmas“ beschreibt sich an Lindas Geschichte orientierend das Schicksal einer jungen, schwarzen Countrysängerin und in dem Dolly Parton mitspielt. Ihre Musik konnte aus Copyright-Gründen im Film nicht gespielt werden. Aber ihre Kollegin Rissi Palmer hat in ihrem Podcast „Color Me Country“ vom Ende August Lindas Songs gesungen. Die seit Jahren um Anerkennung kämpfende schwarze Sängerin Mickey Guyton hat Linda Martell kürzlich gewürdigt: „Egal, wie erfolgreich oder erfolglos Linda war, sie war eine Wegbereiterin für uns“, so Guyton. „Klar ist ihre Geschichte traurig und doch motiviert mich sie mich, nicht aufzugeben.“
Linda verfolgt die moderne Countrymusik kaum und was sie hört, gefällt ihr nicht sehr. Über Songs wie „Old Country Road“ kann sie nur den Kopf schütteln, weil sie das nicht für Country hält. Ihre Lieblingssängerin ist die Kanadierin Anne Murray, die in den 1970er und 80er Jähen mit Country Pop sehr erfolgreich war. Auf die Frage, ob sie denn stolz sei, für schwarze Countrysängerinnen und Sänger ein Vorbild zu sein, sagt sie dem Reporter von Rolling Stone ein zögerndes „Manchmal“ und schweigt.
Linda Martell – Color Me Country: Das Album
Titel: Color Me Country
Künstler: Linda Martell
Veröffentlichungstermin: August 1970
Label: Plantation Records (1970)
Label: Real Gone Music (H’Art)
Formate: CD & Digital – ursprünglich Vinyl
Laufzeit: 27:16 Min.
Tracks: 12
Genre: Country
Trackliste: (Color Me Country)
01. Bad Case Of The Blues
02. San Francisco Is A Lonely Town
03. The Wedding Cake
04. Tender Leaves Of Love
06. Almost Called Your Name
07. Color Him Father
08. There Never Was A Time
09. You’re Crying Boy, Crying
10. Old Letter Song
11. Then I’ll Be Over You
12. Before The Next Teardrop Falls