Roadhouse Favorites Vol. 1 & 2
Drunk Again In Cowboy Boots. Countryklassiker der 1950er & 1960er Jahre.
Unter dem Namen Roadhouse Favorites hat das kleine französische Indie-Label Doghouse and Bone Records unlängst eine schöne Complilation-Reihe ins Leben gerufen. Die geschmackvolle erste Folge mit Titel Cowboy Boots kommt als cool aufgemachte LP in transparentem himbeerfarbenem Vinyl daher und enthält 14 Country-Knaller der 60er Jahre und ist ein ansprechend gemachtes Liebhaberprodukt.
Und wer liebt Musik mehr als andere Menschen? Richtig: DJs, Musikjunkies, Süchtige – die jeden Euro umdrehen, um sich immer noch mehr Platten kaufen zu können. Verantwortlich für die Musik auf diesem Sampler ist folgerichtig der Kasseler DJ Cousin Choo Choo, der bereits in den frühen 90ern anfing, Rockabilly und Hillbilly aufzulegen. Vor etwa 20 Jahren entflammte dann seine Leidenschaft für 60s Honky Tonk. Musik für Erwachsene, wie er sagt, die man auch gerade wegen der Texte erst dann zu schätzen weiß, wenn man selbst schon etwas Leben hinter sich hat, also einem mindestens schon ein, zwei Mal das Herz gebrochen wurde.
Da es relativ wenige Compilations mit 60er Jahre Honky Tonk auf Vinyl gibt, erwachte in ihm der Wunsch, diese Lücke zu schließen und er fing, an Musik für ein solches Projekt zu sammeln. Schließlich fand er den richtigen Partner für das Projekt in dem französischen Musiker und Vinylenthusiasten Rod Guiheux, der das kleine Label betreibt. Ausgesucht wurden die Songs aus Cousin Choo Choos über 2500 Singles großer Plattensammlung. Allen Songs zugrunde liegen ihre Original Mono-Singles, die größtenteils zum allerersten Mal nach ihrem Original-Release hier wieder auf Vinyl erschienen sind. Lediglich zwei Songs waren damals nur auf LP veröffentlicht worden.
Die erste Folge der Roadhouse Favorites beginnt schwungvoll mit Sanford Clarks „They Call Me Country“. Kenner hören es schon am Sound des Stücks: Bei dem Song hatte Produzenten-Legende Lee Hazlewood seine Hände mit im Spiel: Twangige Gitarre und harter Beat, da ist es nicht mehr weit zu „These Boots Are Made For Walkin'“. Und tatsächlich wurden beide Stücke 1966 aufgenommen. Und natürlich schrieb Lee Hazlewood auch dieses Stück.
„They Call Me Country“ war Ende der 60er genau der richtige Song für Sanford Clark. Nach seinem ebenfalls von Hazlewood geschriebenen und produzierten Hit „The Fool“ von 1956 war Rockabilly nun zehn Jahre später wieder von gestern und Country-Musik mit dem Erfolg des Bakersfield Sounds gerade wieder deutlich populärer. Nomen est Omen hievt sich hier ein Künstler selbst von einer Schublade in die nächste. Erfolgreich waren der Song wie auch die zwei Jahre später erschienene gleichnamige LP für Sanford Clark indes nicht. 1970 zog sich Clark aus dem Musikgeschäft zurück. Der Hörer des Stücks mag sich fragen, wer denn hier das coole Gitarrenlick spielte: Tatsächlich war es kein geringerer als Waylon Jennings, der damals allerdings noch weitgehend unbekannt war.
Benannt ist der erste Teil der Compilation-Reihe nach Dave Dudleys Hit „Cowboy Boots“. Leider denken Unkundige oft, wenn der Name Dave Dudley fällt, erst einmal nur an Truck Stop und die ZDF-Hitparade oder Ähnliches. Das wird dem Mann aber nicht gerecht, denn auch sein eigenes Werk – insbesondere seine Aufnahmen der 60er Jahre doch bis weit in die 70er – ist durchgehend großes Kino. Dass sich Dave Dudley zum Ende seiner Karriere über eine erhöhte Aufmerksamkeit aus Germany freuen konnte, sei ihm rundum gegönnt, wurden doch alte Recken wie er in den USA seit Ende der Siebziger Jahre eigentlich immer weniger bis schließlich gar nicht mehr nachgefragt. Hierzulande ist Dave Dudley, wie nirgendwo sonst auf der Welt, dank des Country-Schlagers mit seinem Namen, womöglich immer noch der bekannteste Country-Sänger neben Johnny Cash.
In diesem Zusammenhang kann man gleich mal mit zwei Mythen aufräumen: Dave Dudley hat weder die Truckdriving Country Musik erfunden, noch hat er „Six Days On The Road“ geschrieben. Er ist aber sicher einer der wichtigsten und ausdauerndsten Interpreten von Trucking Songs gewesen. Sein Song „Cowboy Boots“ ist wie zuvor schon „Six Days On The Road“ 1963 erstmals auf dem Indie Label Golden Wing erschienen. Erst nach dem Erfolg beider Singles wurde Dudley von Mercury unter Vertrag genommen wurde. Beide Songs sind somit reinster Indie-Country.
Interessant in diesem Zusammenhang ist auch, dass es Singles des Songs gibt, die vom Golden Wing Label stammen und dass es auch welche gibt, wo das Label Golden Ring heißt. Hintergrund ist, dass Mercury den Vertrieb der Hits übernommen hatte und ein eigenes Sub-Label besaß, das Wing Records hieß und da man keine Verwechselungen wollte, musste sich Golden Wing in Golden Ring umbenennen. Die Geschichte, dass Dave Dudley Golden Wing bzw. Ring gehörte, ist hingegen wohl falsch. Er arbeitete lediglich für kurze Zeit als Produzent für das Label und hatte höchstens einen kleineren Anteil an der Firma.
Auf Cowboy Boots Roadhouse Favorites Vol. 1 finden sich neben einigen Freunden dieser Musik sicherlich bekannten Interpreten und Stücken auch andere obskurere bzw. größtenteils unbekannte, wie z.B. das coole 1966 erschiene „What A Way To Go“ von Jerry Inman, eine echte Rarität. Jerry Inman wurde einst eine große Karriere vorausgesagt. Das sieht man auch daran, dass er nach und nach bei einigen namenhaften Plattenfirmen unter Vertrag war. Seinen größten Erfolg hatte er 1968, als er bei Columbia war, mit einem echt gelungenen Beatles-Cover-Album, natürlich ein richtiges Country-Album.
Neben heute leider nicht mehr so populären Klassikern wie Warner Mack oder Hawkshaw Hawkins finden sich auch bekanntere Namen wie Jerry Lee Lewis oder sogar Willie Nelson auf dem Cowboy-Boots-Sampler. Aber natürlich nicht mit Stücken, die jeder kennt. Jerry Lee Lewis lehrt mit seiner Nummer „Just Dropped In“ sogar Ray Charles das Fürchten und Willie Nelsons Erstaufnahme von „I Never Cared For You“ wäre auch auf jedem Italo Western oder Tarantino-Film-Soundtrack genau richtig. So ist die Compilation durch und durch abwechslungsreich und hält sogar für den Bluegrass-Freund ein paar Nuggets bereit.
Nicht minder unterhaltsam ist Folge zwei der Roadhouse Favorites, die nach Lattie Moores Honky-Tonk-Hymne „Drunk Again“ benannt wurde. DJ Cousin Choo Choo macht nahtlos da weiter, wo er bei Folge eins aufgehört hat. Er präsentiert wieder 14 original Vinyl-Recordings – meist Singles – der späten 50er und 60er Jahre aus der eigenen Plattensammlung auf einer LP. Die Dienstleistung einer solchen liebevollen Zusammenstellung besteht darin, dass man nicht selbst viel Zeit und mitunter auch viel Geld investieren muss, um die schwarzen Nuggets zu finden und sein Eigen zu nennen. Und wie bei einem schönen DJ-Set sind zudem Auswahl und Reihenfolge tadellos. Da nimmt man gerne in Kauf, auch ab und an ein wenig zu hören, dass einige der zugrunde liegenden Platten bereits 60 Jahre und älter sind, denn genau so klingen alte Schallplatten.
Wieder versammelt Choo Choo Klassiker und Raritäten: „Lookout Heart“ kennen viele Musikfreunde sicherlich in der Version von The Country Side of Harmonica Sam. Hier können wir das Original von Coy Jackson genießen. Tom T. Hall ist mit seiner eigenen Fassung seines Hits „That’s How I Got To Memphis“ vertreten, die sich auf seiner allerersten LP von 1969 befindet. Und Hall ist nochmals dabei – als Autor von Dave Dudleys 1964er Single Mad. Denn wie Choo Choo in den Linernotes treffend schreibt, ist eine Roadhouse Favorites Compilation ohne ihn wohl kaum denkbar. Dem schließe ich mich an. Ich möcht‘ auch gern Dave Dudley hören!
Auf Drunk Again – Roadhouse Favorites Vol. 2 stimmt wie bei der ersten Folge Cowboy Boots auch die Gesamterscheinung: Artwork und Infos verraten die liebevolle Herangehensweise der Macher. Erwähnt werden sollten auch die zwei Bierdeckel im Drunk Again Design, die der Platte beigelegt sind – ein schönes Gimmick.
Zurück zur Musik: Keineswegs sind auf der Scheibe nur Songs, die Alkohol und das Nachtleben verherrlichen. Die thematische Range geht viel weiter. Sogar „Highway Man“, ein klassischer Truck Driving Song, ist mit der Erstveröffentlichung von Curtis Leach enthalten, auch wenn sich Trinken und Autobahnfahren so schlecht vertragen. Sehr gut gefällt mir außerdem das von Ott Stephens gesungene „Enough Man For You“, eine echte Rarität von 1965. Toll ist, dass Choo Choo seine Barmusik nicht nur auf beinharten Honky Tonk beschränkt, denn mit Jimmy Martins „Night“ von 1959 ist z.B. auch ein Riffgetriebener rockin‘ Bluegrass-Klassiker vertreten.
Fazit: Die Roadhouse Favorites liefern eine rundum gelungene Auswahl, bei der man mit oder ohne Stiefel sowohl sehr gut die Nacht durchzechen als auch den nachfolgenden verkaterten Tag vortrefflich genießen kann. In dieses Roadhouse ziehe ich ein.
Roadhouse Favorites Vol. 1 & 2: Die Alben
Titel: Roadhouse Favorites Vol. 1 & 2
Künstler: Various Artists
Veröffentlichungstermin: 2020/2021
Label und Vertrieb: Doghouse & Bone
Formate: CD & Vinyl
Tracks: 28
Genre: Traditional Country
Roadhouse Favorites Vol. 1 bestellen bei Amazon oder JPC
Roadhouse Favorites Vol. 2 bestellen bei Amazon oder JPC
Trackliste: (Roadhouse Favorites Vol. 1)
01. (They Call Me) Country – Sanford Clark
02. Sittin‘ In An All Night Cafe – Warner Mack
03. Just Dropped In – Jerry Lee Lewis
04. Deep River – Paul Williams
05. Working Girl – Conway Twitty
06. I Never Cared For You – Willie Nelson
07. Long Black Train – Daaron Lee
08. Cowboy Boots – Dave Dudley
09. A Rambler And Rover – Jim McCall & The Country Royals
10. Just Bluesin‘ – Sanford Clark
11. What A Way To Go – Jerry Inman
12. Thunder ’n‘ Lightnin‘ – Hoyt Axton
13. Twenty Miles From Shore – Hawkshaw Hawkins
14. Bury The Bottle With Me – Dick Curless
Trackliste: (Roadhouse Favorites Vol. 2)
01. Drunk Again – Lattie Moore
02. Lookout Heart – Coy Jackson
03. Big Eyes – McCormick Brothers
04. I Used To Own That Train – Earl Curry
05. Mad – Dave Dudley
06. Enough Man For You – Ott Stephens
07. I’m Gonna Be Gone – Bob Fry
08. Just About That Time – Roy Drusky
09. That‘ How I Got To Memphis – Tom T. Hall
10. I’ve Got The Time – Joke & The Jokers
11. Night – Jimmy Martin
12. Hud – Darrell Mc Call
13. Highway Man – Curtis Leach
14. A Member Of The Blues – Skeets Mc Donald