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Croy And The Boys – Protestsongs für Großstadtcowboys

Eine der interessantesten Indie-Country-Bands unserer Tage kommt aus Austin, Texas.

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Croy And The Boys Croy And The Boys. Bildrechte: Barbara FG

Es ist schon schwierig, gleichzeitig komisch und bierernst zu sein. Corey Baum alias Bad Boy Croy von Croy And The Boys gelingt genau das. Von allen Ökonomien westlicher Demokratien ist mit Sicherheit der amerikanische Kapitalismus der unbarmherzigste. Unterhaltsame, ja witzige Songs wie „I’m Broke“ zu schreiben und dabei den Finger tief in die Wunde der Ungleichheit der US-Gesellschaft zu legen ist eine Spezialität Baums.

Croy And The Boys – I’m Broke

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Croy And The Boys‘ zweites Album Howdy High-Rise von 2019 klingt wie der Soundtrack des verschärften sozialen Wandels, der als Kehrseite einer besonders jungen und dynamischen Metropole entsteht. Austin, Texas, mit einer der höchsten Wachstumsraten der USA boomt insbesondere im Tech- und Internetsektor. Dadurch, dass die einstige Livemusik-Hauptstadt der USA immer mehr junge, gut ausgebildete und noch besser verdienende Menschen anzieht, tut sich eine immer größere Schere zwischen Arm und Reich auf. Zahlreiche Musiker, die zwar regelmäßig Gigs spielen, mussten die Stadt schon wegen der immer rapider steigenden Mieten verlassen. Dale Watson ist nur ein prominentes Beispiel.

Corey Baum, bei Tage Elektriker auf dem Bau, sieht täglich, wie die Stadt wächst und wie dabei auch seine Neighbourhood in East Austin sich verändert. Er ist Chronist einer Stadt, die droht zwischen dem beschleunigten Wachstum und ihren liberalen Idealen zerrieben zu werden. Dabei schreibt Baum seine Texte meistens erst einmal aus Wut. Doch die meiste Protestmusik langweilt ihn. Er möchte unterhalten. So bedienen sich Croy And The Boys bei allen Musiktraditionen des Lonestar States: Honky Tonk, Western Swing und vor allem Tex Mex und Conjunto Tejano bereichern ihren Sound und zeigen ihre regionale Verbundenheit. Und natürlich können sie, da ihre Musik durchgängig tanzbar ist, jede Dancehall südlich des Red River eine ganze Nacht lang bei Laune halten. Dabei erinnern Croy And The Boys von Attitude und Humor her immer wieder an Commander Cody and His Lost Planet Airmen oder den Gouverneur der Herzen Kinky Friedman.

Stücke wie „It Seems Like You Can’t Just Be Poor Anymore“ oder „Gentrification“ – der weltweit erste Countrysong über Gentrifizierung – erzählen mit spitzer Zunge und beißender Ironie vom Dasein in der texanischen Hauptstadt.

Croy And The Boys – Gentrification

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Bad Boy Croy nennt die Dinge beim Namen – wenn auch „with a twist“, leicht codiert. Die Worte, die im Song „Gentrification“ so schnell wie sonst nur in einem Sesamstraßensong buchstabiert werden, lauten: Gentrifizierung, kultureller Elitismus und Hegemonie. Darauf reimt Croy „white washing society“ und schließt mit der Feststellung, dass Begriffe wie Safety und Development im Zusammenhang mit dem Thema nur codierter Rassismus seien. Und genau so läuft es in East Austin, wo insbesondere die ärmere schwarze und hispanische Bevölkerung konsequent aus ihren eigenen Vierteln verdrängt wird.

Croy ist nicht in Austin oder Texas geboren. Er stammt aus Bowling Green, Oklahoma, – gelegen zwischen Detroit und Cleveland. Nach Austin kam er 2009, nachdem er fünfeinhalb Jahre regelmäßig am College seine Hauptfächer gewechselt hatte. 2014 gründete er dort Croy and the Boys. Vorher fand er seinen Weg in die örtliche Musikszene, indem er für Leo Rondeau Bass spielte, ein Instrument, das er am College neben Musikethnologie sogar mal studiert hatte.

Nun jenseits der Dreizig, inzwischen verheiratet und Vater eines kleinen Sohnes, schreibt Croy schon mal Titel, die heißen „For The First Time I’m Starting To Think About My Age“. Seinen ersten Song schrieb Croy bereits mit acht. Er lernte Gitarre, dann Bass. Als die schulischen Leistungen in der Pubertät nachließen, nahmen die Eltern ihm die Instrumente wieder weg. Also griff er zum Mikrofon und fing zu singen an. Das konnten die Eltern nicht aushalten und schnell war der Bass wieder da.

Musikalisch ursprünglich im Punk verwurzelt, kam Croy recht spät zur Countrymusik. Gerade Outlaw Country und die Songs von Waylon Jennings und Willie Nelson waren der Einstieg ins Genre und auch Grund, schließlich in die Stadt am Colorado River zu ziehen. Nachdem sich Croy im ersten Corona-Jahr erst einmal an amerikanischer und texanischer Pandemie-Politik im Besonderen musikalisch abgearbeitet hat – u.a. mit seiner Solo-Veröffentlichung The Covid Tapes: A World In Croysis, hat die Band 2021 die EP „Of Course They Do“ mit sechs Coversongs veröffentlicht. Originell ist die Songauswahl, haben wir es doch hier mit zumeist textlich explizit politischen Punksongs zu tun. Diese werden jedoch mit großer Ernsthaftigkeit – ganz ohne Ironie – als Countrysongs gespielt. Den Auftakt macht das gelungene „Negative Approach Cover Ready To Fight“, das als polkahaftes Norteño-Stück daherkommt.

Ganz besonders gelungen ist die Croy and the Boys Version von „Do They Owe Us A Living?“ der britischen Anarcho-Punker Crass von 1979. Geschickt haben Croy und die Band aus der ursprünglich im Stakkato-Sprechgesang höchstens angedeuteten Melodie eine gefällige Hymne mit Tejano-Einschlag gegen soziale Ungerechtigkeit gemacht. Beißende Sozialkritik, die äußerst einnehmend klingt.

Croy And The Boys – Do They Owe Us A Living?

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Selten haben Folk- oder Countrymusiker engagierter die Realität des amerikanischen Traumes beschrieben und die Verantwortlichen von Rassismus und Klassismus klar benannt und kamen dabei so leichtfüßig und gefällig daher. Wenn Woody Guthrie auch musikalisch weit entfernt zu sein scheint, haben Croy And The Boys und Amerikas singender Faschisten-Killer der 1930er und 1940er mehr gemeinsam als man auf den ersten Blick vermuten könnte.

Croy sagt, Amerikaner hätten mit dem Klassenbewusstsein zu kämpfen. Allen sei peinlich, wenn sie nicht reich seien. Aber viele seien nicht reich und das sei keine Schande. Wer für soziale Ungleichheit verantwortlich sei, das müsse man ansprechen. Und so runden Blaze Foleys „Officer Norris“ – bei Croy nach dem ehemaligen Polizeichef von Austin in Officer Manley umbenannt – und die Cover von „Fugazis Cashout“, von Dicks Hate the Police und Billy Braggs „Between the Wars“ die Platte ab.

Croy möchte die Inhalte seiner Songs weniger als Protest, sondern vielmehr als gesunden Menschenverstand präsentieren – schlicht und einfach, weil er sie dafürhält. Seinen Hörern müsse er nicht die Wahrheit so lange um die Ohren hauen, bis sie sie glaubten. Sie wüssten schon längst, dass alles stimme. Er habe einmal ein Zitat gelesen, nachdem es bei Protestmusik weniger darum gehe, jemanden auf seine Seite zu ziehen. Es gehe vielmehr darum, jemandem ein Lied zu geben, das er singen könne, während er für die gute Sache kämpfe. Er mag den Gedanken, dass mancher durch seine Musik über etwas nachdenke, das er so noch nie betrachtet habe, aber er sei auch glücklich, wenn er mit seiner Musik Soundtrack der Menschen sei, die die Dinge bereits verstanden hätten. Und so passiere es des Öfteren, wenn Croy And The Boys in anderen Städten spielen, die stark von Gentrifizierung und Wirtschaftsproblemen betroffen seien, dass ihn nach der Show Leute ansprächen und betonen, dass die Lieder sie sehr berühren würden. Das tue ihm dann eigentlich immer leid, da er wisse, was diese Leute durchmachen.

Aber Croy kann auch anders. Mit dem wunderbaren „Leavings The Last Thing“ von Croy And The Boys‘ erstem Album Hey Come Back von 2016 beweist Bad Boy Croy, dass er auch unglaublich schöne Liebeslieder schreiben kann. Zu diesem Song gibt es ein witziges Video, das auch die Yuppisierung Austins thematisiert und das man auf YouTube finden kann.
In diesem Sinne kann das Private gerne politisch sein.

Croy And The Boys – Leavings The Last Thing

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Über Oliver Kanehl (55 Artikel)
Redakteur. Fachgebiet: Traditionelle Countrymusik von vorgestern und heute (Indie Country, Hillbilly, Honky Tonk u.a.) Rezensionen, Specials.
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