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Roy Nichols: Vom Wunderkind zu Merle Haggards Soundmagier

Am 21. Oktober 2022 wäre der Ausnahme-Gitarrist 90 Jahre alt geworden.

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Roy Nichols Roy Nichols. Bildrechte: Capitol Photo Studio. Foto-Credit: Bob Wortham

Johnny Cashs Single „Tennessee Flat-Top Box“ von 1961 ist ein Song über einen dunkelhaarigen Jungen, der eine Stahlsaiten-Gitarre so faszinierend gut spielt, dass die Leute von überall herkommen, um ihm dabei zu zusehen – fast wie bei einem musikalischen Wunderkind. Diese Story passt sehr gut auf Gitarrist Roy Nichols, einen der Väter des Bakersfield Sound. Den Mann also, der bei diesem Johnny Cash-Klassiker die akustische Stahlsaiten-Gitarre mit dem coolen Gitarren-Lick spielt.

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Vor 90 Jahren, am 21. Oktober 1932, wurde Roy Nichols geboren. Ein Grund mehr, auf seine spannende Karriere zurückzuschauen und seinen großen Beitrag für die Honky Tonk- und Countrymusik zu würdigen.

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Roy Nichols war tatsächlich noch ein Junge von 14 Jahren als er anfing, professionell Musik zu machen. Geboren 1932 in Arizona zogen seine Eltern mit ihm früh nach Fresno in Kalifornien. Dort betrieben sie in der Zeit von Depression und Dust Bowl ein Camp für arme Wanderarbeiter, die auf den Obstplantagen arbeiteten. Da ging es mitunter wild zu und zur Unterhaltung der Arbeiter kamen auch immer wieder umherziehende Musiker ins Camp, die den jungen Roy faszinierten. So motiviert, begann er früh, Gitarre zu spielen. Mit 11 war er bereits mit seinem Bass spielenden Vater in einer Band. Drei Jahre später wurde er schon gut entlohnt, wenn er an Wochenenden mit Curly Roberts and the Rangers bei Barndances spielte. Und wenig später, kurz vor seinem 16. Geburtstag, verpflichteten ihn die kalifornischen Lokalmatadoren Maddox Brothers & Rose als Gitarristen, nachdem Fred Maddox den Jungen und seine Künste im lokalen Radio gehört hatte.

Bei „America’s Most Colorful Hillbilly Band“ bekam er $ 90 als Wochenlohn, was damals viel Geld war. Neben seinem höchst professionellen Spiel war er aber einfach ein 16-Jähriger, der verdammt viele Flausen im Kopf hatte. Boss der Truppe war Lula Maddox, die Mutter der wilden Meute. Sie führte ein strenges Regiment und achtete darauf, dass auch Roy sich benahm, aber von Fred Maddox bekam er alle Tricks verraten, um sich heimlich davon zu schleichen und allerlei Unfug zu treiben. So endete das Engagement bereits nach 18 Monaten, als er in Las Vegas, obwohl am Vortag bereits verwarnt, am Folgetag wieder beim Glückspiel erwischt wurde. Da hatte er aber schon auf rund 100 Aufnahmen der Maddox Brothers mitgespielt. Die Innovation, die das für deren wilden Sound bedeutete, lässt sich auch heute noch nachvollziehen z.B bei seinem Gitarren-Solo beim Water Baby Boogie von 1950.

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In seiner Zeit bei den Maddox Brothers & Rose machte Roy Nichols erstmals großen Eindruck auf die späten Bakersfield-Sound-Größen Buck Owens und Merle Haggard, damals ebenfalls noch Teenager: 1950, ein Jahr vor seinen Umzug nach Kalifornien, besuchte Buck Owens gemeinsam mit seiner ersten Frau Bonnie ein Konzert der Maddoxes in Mesa, Arizona. Von ihren Plätzen in der ersten Reihe hatten sie völlig freie Sicht auf die wilde Show. Während Bonnie gebannt ausschließlich Rose Maddox beobachtete, konnte Buck völlig fasziniert nicht die Augen von Roy Nichols wenden und wunderte sich, was dieser alles mit seinem Instrument anstellte. Buck, der bevor seine Karriere wenig später richtig losgehen würde, bei Capitol Records ein gerngesehener Session-Gitarrist wurde, war schwer beeindruckt. Sechs Jahre später spielte jener Roy Nichols dann die Leadgitarre auf Buck Owens dritter Indie-Single „Hot Dog“, die er wegen ihres Rockabilly Sounds vorsichtshalber unter dem Pseudonym Corky Jones veröffentlichte.

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Merle Haggard erkannte die Genialität von Roy Nichols‘ Gitarrenspiel bereits sehr früh. Haggard war erst 12 Jahre alt, als sein älterer Bruder ihn zu einer Maddox Brothers & Rose Show mitnahm. Und ihm erging es ähnlich wie Buck Owens. Er war wie hypnotisiert von Nichols‘ Künsten. Fortan war Nichols sein Idol als Gitarrist. Sein Idol als Sänger war Country-Star Lefty Frizzell. Als er diesen endlich auf der Bühne im Rainbow Gardens in Bakersfield das erste Mal zu Gesicht bekam, war Nichols sein Gitarrist. Jackpot! Haggard, inzwischen 16, nahm seinen ganzen Mut zusammen und fragte Nichols: „What’s it like playing with Lefty Frizzell?“ Nichols antwortete trocken und barsch: „Not worth a shit!“

Durch den damals von seinem Arbeitgeber frustrierten Gitarristen konnte Merle dann aber den Star treffen, ihm vorsingen, und da dieser mochte, was er hörte, sogar drei Songs mit der Band spielen. Nichols und Haggards Wege kreuzten sich erneut 1962, als Haggard, der inzwischen fast drei Jahre im Gefängnis gewesen war, in Las Vegas Wynn Stewarts Band sah, in der Roy Nichols nun seit 1960 spielte. Haggard schilderte das so: „Roy wanted to get off and go to the restroom or something. He said, ‘Here, play this thing,’ and handed me his guitar. I sung ‘Devil Woman’ and Wynn Stewart saw me and hired me on the spot.“

Für kurze Zeit spielte Haggard Bass in Wynn Stewarts Band, bis auch dem Letzten klar war, dass dies nicht sein größtes Talent war. In dieser Zeit freundete er sich aber mit Nichols an und als es daran ging, 1965 seine eigene Begleit-Band zu formieren, war Roy Nichols der erste, den er für die Strangers verpflichtete. Am Geld lag das freilich nicht, dass Nichols bei Haggard anheuerte. In Wynn Stewarts Band bekam Nichols $ 250 die Woche. Haggard konnte nicht einmal die Hälfte bezahlen. Und so stellte Nichols drei Bedingungen:
„I don’t drive, I carry my own amplifier, and I know where my bed is every night.“

Nichols sah viel Potenzial in Haggard, so dass er den Pay Cut gerne in Kauf nahm. Er sollte recht behalten. Merle Haggard hat nie aufgehört, große Stücke auf Roy Nichols zu halten. Er betonte, dass ohne ihn seine Karriere gar nicht erst begonnen hätte. Für Merle Haggard waren Chet Atkins und Roy Nichols die zwei einflussreichsten Gitarristen des 20. Jahrhunderts und er betonte stets: „Roy Nichols was and still is my idol.“

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Roy Nichols spielte die meiste Zeit seiner Karriere – wie z.B. Don Rich oder James Burton – eine Fender Telecaster. Als einer der Urväter des Honky Tonk Gitarrenspiels gilt er bis heute als einer der unübertroffenen Meister auf diesem Gitarren-Modell. 22 Jahre lang spielte er in Merle Haggards Band, bis er sich 1987 aus gesundheitlichen Gründen aus dem aktiven Musikgeschäft ganz zurückziehen musste. 1996 erlitt er einen Schlaganfall in dessen Folge er tragischer Weise wegen einer Lähmung der linken Hand gar nicht mehr Gitarre spielen konnte. Infolge einer Infektion kam Roy Nichols 2001 ins Krankenhaus und erlitt dort am 3. Juli einen Herzinfarkt und verstarb. Er wurde 68 Jahre alt.

Haggard sagte, dass er wusste, dass er einen eigenen Gitarrensound brauchte, um mit seiner Musik erfolgreich sein zu können. Roy Nichols prägte diesen Sound. Spielten auf den allerersten Capitol-Aufnahmen noch Studio-Gitarristen wie Phil Baugh, formte Haggard auf seinen klassischen Alben der 60er Jahre dann seinen Sound in erster Linie aus der Synthese zweier musikalischer Konkurrenten: Sessionplayer James Burton und Strangers-Mitglied Roy Nichols. Burton steuerte sein charakteristisches Chicken Pickin‘ bei und Roy Nichols neben seiner vom Jazz eines Django Reinhardt geprägten und über den Westernswing erlernten Spielweise sein besonders Bending, dem wir auch das sogenannte Merle Haggard Signature Lick verdanken. Nichols spielte seine Bendings oft so, dass er die Saite erst dehnte und dann anschlug, wieder löste und so den Ton sanft absenkte. Das mag an sich keine große Sache sein, war aber zu seiner Zeit recht ungewöhnlich und wurde von Lula Maddox einst mit dem Sound eines Pferdefurzes verglichen.

Die meisten Gitarristen schlagen die Saite an, schieben sie dann hoch und dehnen sie dann stark, so dass der Ton nach oben schnellt. Bei dem für den Haggard-Sound markanten Lick endet er nach dem Saitenziehen dann zusätzlich auf der verminderten Septime. Schön zu hören im Haggard-Hit Mama Tried, einem Stück, bei dem sich beide für Haggard wichtigen Gitarrenmeister fantastisch ergänzen: James Burton spielt hier auf einer Dobro die für den Song charakteristischen Banjo Rolls und Roy Nichols spielt das Signature Haggard Lick sowie ein cooles Solo.

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In seinen letzten Jahren wurde Nichols einmal von Marty Stuart besucht, der mit ihm über sein Spiel und seine Karriere reden wollte. Zum Ende ihres Gesprächs verstimmte Nichols seine Gitarre stark und griff dann kraftvoll einen Akkord, indem er die Saiten recht ungewöhnlich mit den Fingern der linken Hand zusammenzog mit dem Ergebnis, dass trotz Verstimmung ein reiner Akkord zu hören war. Dabei schaute er Stuart herausfordernd an und fragte: „Can you do that?! Marty, can you do that?“
Wer es auf jeden Fall konnte, war Roy Nichols.

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Über Oliver Kanehl (55 Artikel)
Redakteur. Fachgebiet: Traditionelle Countrymusik von vorgestern und heute (Indie Country, Hillbilly, Honky Tonk u.a.) Rezensionen, Specials.
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