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Man with Broken Heart oder die Legende von Hank 3

Country-Punk Hank Shelton Williams III, der Erfinder des Hellbilly, feierte am 12. Dezember 2022 seinen 50. Geburtstag.

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Hank 3 Hank 3. Bildrechte: Curb Records

Im Sommer 2022 erschien das Debütalbum von IV and The Strange Band. Auf Southern Circus findet sich ein Amalgam von Sounds und nur zwei bis drei Songs lassen sich wirklich als Countrysongs bezeichnen. Der Rest rockt zuweilen, als ob eine 90er Jahre Grungeband hier ihre Version von Southern Rock kreiert, so sehr sägen die Gitarren. Hinter der römischen Zahl vier – also „I“ und „V“ – verbirgt sich Coleman Williams. Mit ihm begibt sich bereits die vierte Generation ins Rampenlicht, denn Coleman ist der Ur-Enkel von Hank Williams Sr., Enkel von Hank Jr. und Sohn von Hank 3.

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Dass Coleman als Spross dieser Countrymusik-Dynastie auch einmal Musik machen würde, war hingegen lange keineswegs ausgemacht und mit seinen bereits 30 Jahren ist er für einen Newcomer schon fast betagt. Doch mit seinem Debüt schließt sich nun der Kreis, denn Colemans Existenz auf diesem Planeten war Ausgangspunkt bzw. Auslöser unserer eigentlichen Geschichte:
Alle drei Williams-Männer, die weit vor ihm begannen, der Countrymusik ihren Stempel aufzudrücken, begannen recht jung damit. Bereits Colemans Vater, den wir als Hank Williams III oder Hank 3 kennen, hatte laut eigener Aussage eigentlich gar nicht vor, sich irgendwann einen Cowboyhut aufzusetzen und auf einer Bühne Honky Tonk Songs zu singen. Dass er es dennoch tat, hat jedoch unmittelbar mit Coleman zu tun.

Mitte der 90er Jahre lebte Shelton Hank Williams – wie Hank 3 mit bürgerlichem Namen heißt – von der Hand in den Mund, war Trommler einer Band und hatte als Punkmusiker mit Leib und Seele mitnichten vor, das Genre zu wechseln. Doch eines Tages wurde er damit konfrontiert, Vater eines bereits dreijährigen Sohnes zu sein. Größer als der Schock über dies Resultat eines One-Night-Stands war für den Anfang 20-jährigen aber wohl, dass er dazu verdonnert wurde, fortan nicht nur jeden Monat runde $ 600 Unterhalt zu zahlen, sondern erst einmal auch Ausstände von $ 24.000 zu begleichen. Auch wenn der 1972 – gut 20 Jahre nach Hank Williams‘ Tod – geborene Shelton der Sohn aus Hank Jr.’s erster Ehe war, hatte er finanziell nie von der einen oder der anderen Verwandtschaft profitieren können. Selbst als er sich als Teenager mal ein Schlagzeug vom im Allgemeinen eher fernen Vater wünschte, ließ ihn Hank Jr. wissen, dass das doch sehr kostspielig sei.

Mit derlei finanziellen Sorgen konfrontiert, rannte Shelton nun also nicht als erstes zum Vater, sondern zu einer Künstleragentur und betonte, dass er Hank Williams Enkel sei. Die Vermarktung eines Sprosses aus der Countrymusik-Dynastie konnte man sich in Nashville natürlich nicht entgehen lassen, und im Folgenden begann Shelton zunächst in Branson, Missouri, Songs seines Großvaters für Rentner zum Besten zu geben. Das klappte hervorragend. Nicht nur sah der spindeldürre und bleiche Shelton sowieso schon aus wie die Geisterbahn-Version des Hillbilly Shakespeare, er hatte auch den gleichen nasalen, twangy Gesangston. Das begeisterte das Publikum.

Dazu passt eine Anekdote aus Sheltons Teenager-Tagen: Als er eine Zeitlang mehr über seinen Großvater erfahren wollte, half ihm die Mutter, jemanden zu treffen, der Hank Sr. zu seinen Lebzeiten gut gekannt hatte. Als Minnie Pearl den jungen Mann das erste Mal sah, wurde sie bleich. Weder die langen Haare noch das zerschlissene Punk-Band-Shirt irritierten sie. Es waren die Ähnlichkeit und die gefühlte Präsenz des Großvaters, die sie ausrufen ließ: „Lord! Honey, you’re a ghost!“

Sheltons Manager verhalf ihm zu einem Plattenvertrag bei Nashvilles Curb Records, der Firma, bei der auch Hank Jr. bereits unter Vertrag war. Und so ließ sich Curb dann für Sheltons allererste Veröffentlichung etwas ganz Besonderes einfallen. Im aus heutiger Sicht eher geschmacklosen Machwerk Three Hanks – Men with Broken Hearts von 1996 ließ Curb ähnlich wie bereits 1988 mit der Hitsingle „There’s a Tear in My Beer“ Urvater Hank Sr. wiederauferstehen, um mit Sohn und Enkel im Duett zu singen. Nicht nur war dies ein zweifelhaftes Unterfangen, auch war die Umsetzung technisch eher schwach und kommt an die Single mit dem wieder entdeckten Drinking Song Demo des damals 27-jährigen Lovesick Bluesboy nicht heran.

So stand Hank 3’s Countrykarriere rein künstlerisch schon gleich unter keinem guten Stern. Man brauchte nicht erst Shelton mit seinem forever twentysomething Großvater singen zu hören, um zu verstehen, dass es transgenerationale Weitergabe – im Guten wie im Schlechten – auch in der Countrymusik gibt. Wenn man Shelton ins Gesicht blickte, und auf der Bühne sah und mitbekam, dass er außerdem immens viel trank und andere Drogen konsumierte, war schnell klar, dass er nicht nur herausragendes Talent geerbt hatte. Mancher Kritiker schrieb, dass die künstlerische Begabung zuweilen eine Generation überspringe, um den Finger tief in Hank Jr.’s Wunde zu legen. Doch auch Trauma wird zuweilen weitergegeben und hier war Shelton ebenso väterlicherseits von der Familie mehr als ausreichend bedacht worden. Die Parallelen zu Hank Sr. traten somit schnell offen zu Tage: beeindruckendes Talent, ein mit immenser Sturheit gepaarter Wille sowie so viel seelisches Leid, dass es scheinbar nur mit massivem Alkohol- und Drogeneinsatz zu dämpfen war. Es lag ein Fluch darauf, ein echter Williams zu sein.

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Vor dem Erscheinen seines Debütalbums Risin‘ Outlaw von 1999 ließ Shelton bereits jeden Journalisten wissen, wie sehr er die Platte hasse. Später betonte er, dass er sein Folgealbum Lovesick, Broke & Driftin‘ von 2002 als sein eigentliches Debüt ansehe, denn hier hatte er durchgesetzt, nur selbst verfasste Stücke aufzunehmen. Als Ausnahme bestätigte lediglich das dort ebenfalls zu findende Cover von Springsteens „Atlantic City“ die Regel.

Von Anfang an rebellierte Shelton gegen seine Plattenfirma und torpedierte eigentlich alles, was diese mit ihm vorhatte. Doch an Erfolg im Mainstream Countryradio, einem Platz am Tisch des Country Establishments der erfolgreichen Superstars wie Garth Brooks, Shania Twain und Co. war Hank 3 nie interessiert. Er wollte lieber mit einem Knall, eine Motorsäge schwingend auf diesen Tisch springen und herausschreien, was er alles an diesem verlogenen Musikbusiness hasste.

Zwar wollte die Plattenfirma ihn als wilden Outlaw inszenieren, er sollte sich zugleich jedoch an ihre Spielregeln halten. Aber sich anzupassen kam für Shelton Hank Williams III nie in Frage, im Gegenteil: Kaum hatte er seine ersten Gehversuche im Countryfeld gemacht, wollte er seine Punkwurzeln nicht mehr verstecken, denn Punk wie Country waren für ihn sowieso zwei Seiten einer Medaille. Beide würden sich gleichermaßen aus Elend, Depression, Herzschmerz und Dunkelheit speisen. Er liebte den alten Sound von Hank Sr. und respektierte Hank Jr.s Style, doch er suchte nach einem eigenen Ausdruck. Die Kombination aus Punk und Country würde seinen Sound definieren. Spielte sein Großvater einst Hillbilly, nannte der Enkel seinen Sound nun Hellbilly und erhöhte dabei nicht nur Tempo und Lautstärke. Auch textlich nahm Hank 3 kein Blatt vor den Mund, was seinen Platten als den ersten Countryalben überhaupt einen Parental Advisory Warnhinweis auf dem Cover einbrachte. In Songs wie The Grand Ole Opry (Ain’t So Grand) oder Dick In Dixie ging er in unverblümter Sprache die Countrymusik-Industrie und ihre Institutionen ganz direkt an. Ein Hank 3 machte keine Gefangenen.

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Shelton wollte nicht nur seine eigene Art von Honky Tonk machen. Ebenso interessierten ihn Punk und Heavy Metal auch ohne Countryelemente. Selbstredend eine undenkbare Kombi für eine Plattenfirma, die Hank 3 am Rand des Mainstream etablieren wollte und daher zunächst auch ein No-Go für Curb. Zwar veröffentlichte Curb im jahrelang erbittert geführten Streit noch während des bis 2010 laufenden Vertragsverhältnisses durchaus auch Genreuntypisches von Hank 3, wie z.B. sein Grindcore Album Assjack. Doch die Musik wurde so gut wie nie wann und wie es Hank 3 wollte herausgebracht. Viele Aufnahmen erschienen erst wesentlich später und selbst heute noch bringt Curb immer mal wieder Zusammenstellungen von altem unveröffentlichtem Material heraus, die Shelton so nie autorisierte. Das führte bizarrer Weise schon in der aktiven Vertragszeit dazu, dass Shelton selbst vom Plattenkauf abriet oder Fans ermunterte, seine Alben lieber zu kopieren als zu kaufen.

Über die Jahre bis 2014 erspielte sich Shelton gemeinsam mit seiner Damn Band über die ganze USA hinweg eine treue Fangemeinde, die zu seinen Live-Shows pilgerte. Was er dort aufführte, war so einzigartig wie seine treue Gefolgschaft. Der wilden Menge bescherte er jeden Abend einen Kraftakt, der seinesgleichen suchte: Vier Stunden Livemusik – drei Konzerte in einem! Den Auftakt machte seine Country-Show, danach folgte eine einstündige Punk-Show und am Ende spielte er noch einmal etwa genauso lang Heavy Metal. Damit nicht genug: Vor der Show war er sein eigener Roadie und nach getaner Arbeit stand er noch für Autogramme, Selfies etc. seinen Fans zur Verfügung. In guter Country-Entertainment-Tradition würde niemand unzufrieden nach Hause gehen. Denn jeder Fan konnte vor Ort entscheiden, welche Facetten von Sheltons Repertoire er sich ansehen wollte. Vielleicht war diese volle Hingabe bis zur Selbstaufgabe irgendwann einfach zu viel, denn Hank 3 zog sich vollständig zurück und veröffentlichte nach 2013 bis 2021 nichts mehr und ging zuletzt 2013/2014 auf Tour. Erklärungen zu den Umständen seines Rückzugs gab es nicht.

Schon früher hatte Shelton bekannt, dass er in seinem Leben mit einigen Problemen auch jenseits der schon genannten zu kämpfen hatte: In den Interviews, die er für das 2011 erschiene Buch Family Tradition, The Three Generations of Hank Williams gegeben hatte, berichtete er u.a. davon, dass er mit acht Jahren sexuell missbraucht worden war. Ein Thema, das er schon 2008 auf Damn Right, Rebel Proud in seinem Song Candidate for Suicide verarbeitet hatte. Andere Songs wie z.B. „3 Shades Of Black“ vom gleichen Album komplettierten das äußerst dunkle Bild, einer von Depression und mangelndem Selbstwert getrieben antisozialen, suizidalen Existenz. In Sheltons Leben scheint der Ausnahmezustand lange der Normalzustand gewesen zu sein. Ein solches Leben fordert sicherlich irgendwann seinen Tribut. Doch glücklicherweise folgte Sheldon dabei nicht dem in Candidate Of Suicide beschriebenen Weg. Hank 3 lebt und obwohl er nicht mehr im Licht der Öffentlichkeit steht, war es in den letzten Jahren immer offensichtlich, dass er noch da ist, weil er sich regelmäßig in den sozialen Netzwerken mit kleinen Beiträgen in Erinnerung rief.

Seit dem Spätsommer 2022 hat sich Shelton auf seinem YouTube-Kanal massiv zurückgemeldet und inzwischen mehr als sechs dutzend Videos mit bisher unveröffentlichter Musik gepostet: Längst nicht alles Countrymusik, aber das war ja auch nicht zu erwarten.

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Am 12. Dezember 2022 wurde Shelton Hank Williams 50 Jahre alt. Niemand weiß, was er gerade plant oder die Zukunft für ihn noch bereithält. Auch falls er nie wieder etwas aufnehmen oder veröffentlichen sollte, er ist selbst längst ein Country Hero und kann sich einreihen in den Kreis derer, die er in einem seiner besten Stücke besungen hat.

Happy Birthday, Hank 3!

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Über Oliver Kanehl (55 Artikel)
Redakteur. Fachgebiet: Traditionelle Countrymusik von vorgestern und heute (Indie Country, Hillbilly, Honky Tonk u.a.) Rezensionen, Specials.
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