Der „Wacko From Waco“ – Billy Joe Shaver
Man könnte meinen, Outlaw Country würde nur seinetwegen so heißen und tatsächlich hat Billy Joe Shaver dieses Genre mitkreiert. Am 16. August 2024 wäre der legendäre texanische Singer & Songwriter 85 Jahre alt geworden.
Bevor Billy Joe Shaver mit 30 nach Nashville kam und Bobby Bare und Kris Kristofferson seine Songs aufnahmen, er dann 1973 mit „I Been to Georgia On a Fast Train“ und seinem Debütalbum Old Five and Dimers Like Me schließlich selbst als Künstler auf der Bildfläche erschien, war im Leben des Texaners schon so Einiges passiert: Da seine Mutter im Honky Tonk arbeitete, hatte er vor allem dort seine Kindheit verbracht. Die Highschool hatte er abgebrochen, er hatte als Baumwollpflücker gearbeitet und war dann zur Navy gegangen. Obendrein hatte er bei einem Unfall im Sägewerk zwei seiner Finger verloren. Langweilig geht anders.
Als Waylon Jennings anno 1972 Shaver zum ersten Mal einen seiner Songs spielen hörte, war er so beeindruckt, dass er sogleich meinte, er würde gerne ein ganzes Album mit dessen Stücken aufnehmen. Später konnte sich aber nur Shaver an dieses Versprechen erinnern, was zum Problem wurde, denn Shaver verfolgte Jennings daraufhin für Monate, bis er ihn schließlich bei einer Aufnahmesession abpasste und konfrontierte: “I got these songs and if you don’t listen to them, I’m going to kick your ass right here in front of everybody.” Und selbst als er sich schließlich nach einigem hin und her durchgesetzt hatte, fuhr er Waylon bei den Aufnahmen zum Album „Honky Tonk Heros“ an, weil ihm dessen Interpretation missfiel: “What are you doing to my song?”
Ja, Billy Joe Shaver war das, was man im Englischen einen Character nennt: eine Type, ein Kerl, eine echte Persönlichkeit, vielleicht auch bisweilen ein Stinkstiefel – aber immer ein beeindruckender Songschreiber. Selbst Bob Dylan hat ihn in einem seiner Stücke verewigt.
Es gibt fast so viele Geschichten über Billy Joe Shaver wie es Country-Songs gibt. Und eine der Besten ist die, die u.a. in der großartigen Animationsserie von Mike Judge Tales From The Tour Bus aufgegriffen wurde und die auch gleich mehrere tolle Songs hervorgebracht hat: 2007 schoss Shaver in einer texanischen Bar im Streit auf einen Mann. Der Mann wurde am Kopf verletzt und Shaver wurde angeklagt. Ihm drohten 20 Jahre Haft. Zu Beginn des Prozesses schrieb Dale Watson einen Song über den Vorfall. Watson, der mit Shaver befreundet war, bot dann „Where Do You Want It?“ Whitey Morgan an, der es später mit seiner Band aufnahm.
Das Ereignis, das diesem Song zugrunde liegt, erinnert sehr an Berichte von historischen Schießereien – Schilderungen aus Frontierstädten wie Dodge City, Deadwood oder Tombstone aus der Zeit des Wilden Westens. Der Vorfall ereignete sich jedoch nicht Achtzehnhundert-schieß-mich-tot, sondern am 31. März 2007. Aber immerhin in Texas, da gehen die Uhren wohl bis heute ein wenig anders.
Tatort ist Papa Joe’s Texas Saloon in Lorena, einem kleinen Vorort von Waco. Nach eigener Aussage war Billy Joe Shaver dort mit seiner – Zitat: „not yet ex-wife“, um ein paar Fotos für ein Albumcover zu machen. Shaver sagte, er wäre vom späteren Opfer Billy Bryant Coker provoziert worden, da dieser Whiskey in sein Bier geschüttet und dann drin rumgerührt habe. Daraufhin habe er Coker aufgefordert, sich zu entschuldigen und als dieser das nicht tat, schlug er ihm vor, vor die Tür zu gehen. Draußen habe Coker, der ein Messer in der Hand führte, dann auch auf ihn geschossen und er habe sich nur verteidigt. Zeugen wollen gehört haben, wie Shaver vor der Bar zu Coker sagte „Where do you want it?“ und dann nach dem Schuss: „Tell me you are sorry!“
Später sagte Shaver “I returned fire and hit him between the mother and the fucker right in the mouth. That was the end of that.” Dann ließ Coker die Waffen fallen und habe gesagt, dass es ihm leidtue. Shaver entgegnete trocken „Well, if you had said that inside, there would have been no problem.”
Vor Gericht sagte Billy Bryant Coker aus, dass er Shaver nicht angegriffen habe. Shaver hingegen blieb bei seiner Aussage, dass er in Selbstverteidigung gehandelt habe.
Shaver hatte vor Gericht prominente Fürsprecher wie Willie Nelson und Robert Duvall, die bezeugen sollten, dass Shaver keiner Fliege etwas zuleide tun könne. Schließlich wurde er überraschenderweise von der Jury freigesprochen. Er musste nur eine Geldstrafe von gerade mal 1000 Dollar zahlen und konnte noch am gleichen Abend wieder auftreten. Das gibt es nur in Texas.
Natürlich musste auch Billy Joe Shaver ein Lied über diese Geschichte machen. Später nahm er „Wacko From Waco“ gemeinsam mit Willie Nelson auf. Das Stück wurde so sehr zu seinem Markenzeichen, dass er damit fortan gerne mal seine Shows eröffnete, denn nun wusste es jeder, dass Shaver der Wacko From Waco war.
Bereits 1993 hatte Shaver gemeinsam mit seinem im Jahr 2000 im Alter von 38 Jahren tragisch ums Leben gekommenen Sohn Eddy einen Song geschrieben, der wie kein anderer sein musikalisches Vermächtnis vorwegnimmt: Live Forever
Darin heißt es:
You’re gonna miss me when I’m gone
Nobody here will ever find me
But I always be around
Just like the songs I leave behind me
I’m gonna live forever now
Nach längerer Krankheit verstarb Billy Joe Shaver am 28. Oktober 2020 im Alter von 81 Jahren. Seitdem ist Texas‘ Countrymusik um ein weiteres Original ärmer.
Billy Joe Shaver – Long In The Tooth: Das 2014er (letzte) Studioalbum
Künstler: Billy Joe Shaver
Album: Long In The Tooth
Veröffentlichung: 5. August 2014
Label: Lightning Rod Records (Rough Trade)
Formate: CD, Vinyl & Digital
Tracks: 10
Genre: Outlaw Country
Trackliste: (Long In The Tooth)
01. Hard To Be An Outlaw
02. Long In The Tooth
03. The Git Go
04. Sunbeam Special
05. I’ll Love You As Much As I Can
06. Last Call For Alcohol
07. Checkers & Chess
08. American Me
09. I’m In Love
10. Music City USA