Tish Hinojosa
Zwar tritt sie bei Country-Veranstaltungen auf, aber so richtig in diese Musik hinein passt die zierliche Texanerin mit mexikanischen Wurzeln nicht. Zwar enthält ihre Musik deutliche Elemente der Country Music aber ebenso starke aus Folk, Tex Mex und sogar Bluegrass.
Obwohl sie bereits rund 20 Alben gemacht hat und seit einem Vierteljahrhundert unterwegs ist, wurde sie längst nicht so bekannt wie sie es verdient hätte. Ein Konzert mit ihr ist schon ein besonderes Erlebnis. Da entfaltet Hinojosa viel von ihrer Persönlichkeit, mit Charme, Herzlichkeit, hoher Musikalität und sehr viel Herzblut trägt sie ihre oft selbst geschriebenen Songs vor.
Leticia „Tish“ Hinojosa kommt aus einer kinderreichen Familie (13 Kinder); sie ist in San Antonio zur Welt (geboren am 9. Dezember 1955). Ihre Vorfahren waren dorthin aus Mexico eingewandert. Wer einmal in San Antonio gewesen ist und das anheimelnde Flair am „River Walk“ erleben konnte, der weiß, dass man sich dem nicht entziehen kann, schon gar nicht, wenn man dort lebt und musikalisches Talent mitbekommen hat.
In der stark latinisch geprägten Kultur der Gegend fand Tish Hinojosa von Kindheit an reichlich Nährboden für ihre Ambitionen. Neben dem, was in den 1960er Jahre im Radio und live gespielt wurde vermittelten die Eltern ihr die traditionelle Musik ihrer Heimat. All das sog Hinojosa wie ein Schwamm in sich auf, verarbeitete es und ließ es schon als Teenager noch ungeschliffen wieder zutage treten.
Erste öffentliche Auftritte bei kleinen Feierlichkeiten gaben ihr Bestätigung, dass sie auf einem richtigen Weg war. Sie erinnert sich: „Als Kind habe ich aus Neugier beobachtet, wie meine Geschwister reagierten, wie sie handelten und ihre eigenen Familien aufbauten. Da ging es oft multikulturell zu. Ich habe so das ganze Spektrum des Zusammenlebens mitbekommen: das Heranwachsen und Heiraten, Kinder bekommen, geschieden werden. Wie es eben vielen Familien im Laufe der Zeit ergeht. Auf gleiche Weise bin ich in die Musik hereingewachsen, die man halt in San Antonio machte und hörte. Nach der Schulzeit habe ich neben meinen kleinen Auftritten auch Werbe-Jingles für Latin Radio und einige Singles gemacht.“
Die waren regional sogar durchaus erfolgreich. 1979 ging sie nach Taos, New Mexico, wo sie von der dortigen facettenreichen Kultur weiter geprägt wurde, musikalisch befand sie sich dabei schon auf dem Weg nach Austin. Noch in Taos arbeitete sie mit Michael Martin Murphey zusammen, damals der wichtigste Sänger in Taos. Inzwischen hatte sie geheiratet und war Mutter geworden. Kurzzeitig weilte Hinojosa in Nashville, ihre Welt war das schlicht und einfach dort nicht. Ihren Lebensmittelpunkt fand die Familie dann in Austin, dem vielleicht kreativsten kulturellen Schmelztiegel der USA. 1987 erschien ihr erstes Album „Taos To Tennessee“, dem 1989 „Homeland“ folgte. Von Beginn an vertraute sie auf eigene Lieder, denn sie hat sich längst als first class Autorin etabliert. Und sie fing früh damit an, zweisprachig nicht nur live zu singen sondern auch auf ihren Alben. Diese beiden Komponenten ziehen sich wie ein roter Faden durch all ihre 19 Studio-Alben, die sie bisher gemacht hat.
Tish Hinojosa ist aber nicht nur eine einfühlsame Künstlerin sondern auch eine selbstwusste Frau, die mit offenen Augen durch’s Leben geht und zur Tat schreitet. Bei der Stadt, der Gemeinde und beim Staat ist sie geschätzt wegen ihrer Initiativen im politischen und vor allem im Wohltätigkeitsbereich. Vieles von dem, was sie im Alltag bewegt, fließt in ihre Lieder ein. Zwei Beispiele sollen dies verdeutlichen. Beide stammen vom Album „Homeland“. Da ist zunächst „Saying You Will“, über das Hinojosa sagt: „Das ist ein so spielerischer Song, da kann man sogar ein Spielzeug-Klavier hören, das wir eingebaut haben. Die Aussage des Liedes aber ist viel tiefer, es geht um Selbstverantwortung, um Verantwortungsbewusstsein Mitmenschen gegenüber. Mir bedeutet das sehr viel und es zeigt auch, was ich von der Musik der 1960er Jahre halte.“
Und dann ist da noch der spanische Song „Noche Sin Estrellas“, über den sie sagt: „Das Lied handelt von Brüdern, die gemeinsam aufwuchsen, um dann auf verschiedenen Seiten in den Krieg ziehen zu müssen, geführt von Männern, die weit weg von allen Konsequenzen für die Menschen sind. Ich hatte die damalige Unruhe in Zentral-Amerika im Sinn, das Thema aber passt überall in unsere Welt, zu allen Zeiten. Ich habe Spanisch verwendet, um einige Elemente latinischer Instrumentation verwenden zu können.“
Seit den Anfängen in San Antonio hat sich vieles getan für die kleine Künstlerin. Sie kann auf das, was sie bisher erreicht hat, mit Recht stolz sein. Immerhin wurde sie vom damaligen Präsidenten Bill Clinton für ein Konzert ins Weiße Haus eingeladen. Sie hat mit solchen Stars wie Kris Kristofferson, Los Lobos, Dwight Yoakam, Joan Baez, Nanci Griffith, Pete Seeger und Flaco Jiminez zusammen gearbeitet. Und sie ist von uns gar nicht so weit weg. Ihre erste Ehe war leider nicht für immer bestimmt. Dieses einschneidende Erlebnis ebenso wie weitere Erlebnisse hat sie im Album „Sign Of Truth“ aus dem Jahr 2000 verarbeitet. Es dürfte das wohl persönlichste ihrer Alben sein mit starken autobiographischen Inhalten. Seit 2007 ist sie mit einem Deutschen verheiratet und hat neben ihrem Wohnsitz in Austin einen zweiten in Hamburg. An ihrem Beispiel zeigt sich, dass die Musik auch heute noch in der Lage ist, ihren eigenen Weg zu gehen und ans Ziel zu kommen, das da „Herz des Zuhörers“ heißt. Welch gutes Gefühl für Tish Hinojosa – die Gewissheit zu haben, dass das, was einst am „River Walk“ begann auch die Menschen am Ijsselmeer, am Rhein, an der Themse und an Spree und Havel begeistert.
Konzert-Tipp: Wer sich für ihre Art von Musik interessiert, der hat am kommenden Sonntag Gelegenheit dazu in Berlin. Tish Hinojosa wird am 19. Februar 2012 ab 20:00 Uhr in der Alten Bahnhofshalle von Friedenau auf der Bühne stehen, begleitet von Uli Rademacher.