Matraca Berg: Love’s Truck Stop
Seit geraumer Zeit zählt sie zu den ersten Adressen in Sachen Songschreiben. Singen kann sie auch noch. Was wirklich fasziniert ist ihre Fähigkeit, die Emotionen und die Gefühlswelt derjenigen, über die sie schreibt, so überzeugend in Wort und Gesang umzusetzen. Erfreulicherweise ist Matraca Berg zumindest als Autorin erfolgreich.
Wer kann von sich schon behaupten, in einem Kalenderjahr gleich fünf Nummer-Eins-Hits geschrieben zu haben? Als Sängerin steht bisher zwar eher weniger auf der Habenseite, vielleicht sind ihre Aufnahmen letztendlich zu anspruchsvoll. Und vielleicht ändert sich das mit diesem überaus grandiosen Album!
Bevor ich darauf eingehe, möchte ich die Künstlerin ein wenig näher vorstellen. Als sie am 3. Februar 1964 in Nashville geboren wurde, war ihr Weg ins Show Business bereits vorgezeichnet. Denn ihre Mutter Icee Berg war, vorher aus dem Harlan County nach Music City gezogen, wollte dort Karriere als Sängerin machen. Einige Verwandte von Matraca Berg waren ebenfalls im Country Music Business beschäftigt. Ihre Mutter kam über den Job einer Chorsängerin nicht hinaus und verdiente sich dann als Krankenschwester den Unterhalt. Überzeugt, dass die Tochter talentierter war als sie selbst, unterstützte Icee Berg diese als Matraca begann, Songs zu schreiben. Songschreiber-Ass Bobby Braddock hörte einige von Matraca Berg geschriebene Lieder und bot ihr spontan an, gemeinsam zu schreiben. Ergebnis: „Faking Love“, aus dem T.G. Sheppard im Duett mit Karen Brooks 1983 eine Nr. 1 machte. Matraca Berg: „Wenn ich Jemandem Dank schulde, dann Mutter. Als ich Teenager war, nahm sie mich zu all den Musikverlagen mit und spielte denen meine Songs vor, die ich damals schon schrieb. So kam ich auch mit Bobby Braddock zusammen. Was anfangs wie Spielerei aussah, wurde dann zum Erfolg.“
So reibungslos wie man vermuten könnte, verlief das Leben der Matraca Berg nicht. 1985 starb ihre Mutter an Krebs. Jetzt fiel ihr die Aufgabe zu, die Familie zusammen zu halten und für den jüngeren Bruder zu sorgen. Der Vater war längst über alle Berge. Mit der Entschlossenheit und Zielstrebigkeit, die auch aus ihren Liedern spricht, packte Matraca Berg die Aufgaben an – es musste weitergehen. Und zwar hinein in ein tiefes Tal!
Nach dem ersten Hit war sie plötzlich gefragt – und stieg aus. Sie hielt dem Druck einfach nicht stand und verschwand zwei Jahre nach Louisiana, wo sie sich der Rock Formation „Kevin Stewart Band“ anschloss. Als sie zurück kehrte, hatten sich die Wellen geglättet, sie konzentrierte sich nun ganz aufs Songschreiben. Tanya Tucker, Highway 101, Ray Price, Randy Travis, Marie Osmond, Michelle Wright und viele andere wurden ihre Kundschaft. Reba McEntire steuerte „The Last One To Know” auf Platz 1.
Nebenbei schulte Matraca Berg ihre Stimme. Es reichte, um die Aufmerksamkeit von RCA zu wecken. Gott sei Dank – es wäre schade gewesen, wenn diese ebenso kräftige wie ausdrucksstarke und wandlungsfähige Stimme im Verborgenen geblieben wäre. Mit dem Album „Lying To The Moon“ feierte sie ihr Debüt als Plattensängerin. Der kommerzielle Erfolg stellte sich nicht ein. Für ihre ausdrucksstarken Songs bekam sie große Komplimente aber davon allein kann eine Sängerin nicht leben. Im Jahr danach sollte ein neues Album mit dem Titel „Bittersweet Surrender“ folgen, doch das Label stoppte die Angelegenheit, weil es an der nötigen Kommerzialität gefehlt habe. Dafür erfreuten sich ihre Songs bei Kollegen großer Beliebtheit. Trisha Yearwood machte aus „Wrong Side Of Memphis“ vom gestoppten Album immerhin eine Top Ten.
Einige weitere Alben folgten bis 1999, dann trat eine mehr als zehnjährige Pause ein. Erst 2011 machte Matraca Berg mit der CD „The Dreaming Fields“ wieder auf sich aufmerksam. Anlass sei eine Tour nach England mit ihren Freundinnen Suzy Bogguss und gewesen. Berg sah die Tour als feine Abwechslung und eine Gelegenheit an, mit Freundinnen einige interessante Orte zu besuchen. Doch erstaunlicherweise hätten die Fans scharenweise nach einem Album von ihr gefragt.
Als Autorin freilich ist sie seit nunmehr fast 30 Jahren präsent und erfolgreich. Ihr „Strawberry Wine“ , gesungen von Deana Carter beispielsweise wurde mit dem Award als Single des Jahres 1997 ausgezeichnet. Wenn sie dann mal wieder ein eigenes Album aufnimmt, kann sie es sich leisten, ganz auf ihr eigenes Feeling zu setzen und sich nicht in ein Mainstream-Schema pressen zu lassen. Damit sind wir bei „Love’s Truck Stop“, ihrem brandneuen Album.
Das Album ist größtenteils melancholisch und bitter-süß und es hat Tiefgang, es lebt von seinen Songs und von der unter die Haut gehenden Interpretation. Im Mittelpunkt der Geschichten stehen der Mensch und seine Gefühle, aus unterschiedlichen Gründen starke Frauen. Berg macht deutlich, dass es sich lohnt zu leben, auch wenn es manchmal schwer ist zu überleben. Dazu passt die sehr akzentuierte, feinfühlige Instrumentierung. David Henry (bekannt von den Cowboy Junkies) und Jason Goforth (Berg: „Er spielt alles, was Musik macht!“) und Matraca Berg selbst sorgen dafür. Hinzu kommen Gastspiele von Künstlern wie Mindy Smith, Emmylou Harris, Kim Carnes, Pat McLaughlin, David Mead und Yo La Tengo sowie Berg’s Ehemann Jeff Hanna (Nitty Gritty Dirt Band).
Was sie auch singt, die Worte sind wohlüberlegt, alles kommt überzeugend rüber. Wohl deshalb, weil sie genau weiß, was und worüber sie schreibt und singt. Berg dazu: „Ich brauchte einige Zeit, um dahin zu kommen. Ich kann all das, was ich sehe und erlebe, in Lieder umsetzen.“
„Love’s Truck Stop“ ist vollgepackt mit Geschichten und Botschaften. Wen das Schicksal des Kindes eines Alkoholikers in „Fistful Of Roses“ kalt lässt, hat nicht hingehört. „I Buried Your Love Alive“ will knallhart sagen: Komm drüber hinweg oder du gehst kaputt! „Sad Magnolia“ handelt von einem in Kalifornien gestrandeten Mädchen, das ihren zu Hause gebliebenen Freund vermisst. Die Folgen der Öl-Katastrophe im Golf von Mexico greift Berg in „Black Ribbons“ auf. Es würde zu weit führen, auf jeden Song einzugehen. Matraca Berg zeigt Herz und Verständnis für die, auf denen herumgetrampelt wird, für die Ausgegrenzten. Sie greift Schicksale auf, die, gemessen an der Allgemeinheit keine große Bedeutung haben müssen, für die Betroffenen selbst aber kaum zu meistern sind. Matraca Berg: „Mich inspirieren die Geschichten, die an den meisten Menschen unbeachtet vorbeigehen. Menschen, die es ungeachtet aller Widerstände dennoch schaffen. Diese Situation kennen wir alle – es ist einfach gut zu wissen, wir sind nicht alleine damit.“
Gefragt, was Erfolg für sie bedeutet, antwortet sie lächelnd: „Ich hoffe, das Album gerät an die richtigen Leute. An diejenigen, die die Kraft spüren, die in diesen Songs steckt und die daraus selbst Kraft schöpfen können. Mich bewegt es, wenn Menschen mir erzählen, was die Musik für sie bedeutet – wenn mir das mit diesem Album gelingt, dann ist das Erfolg, dann hat sich all die Arbeit dafür gelohnt.“ Ihr Ziel? „Ich möchte, dass die Menschen die Songs hören, sie aufnehmen und nicht nur die Produktion gut finden. Ich habe ganz bewusst ein Album gemacht, keine Aneinanderreihung von Singles. Die Charts sind nicht mehr unbedingt mein Ziel sondern die Menschen. Denn von denen erzähle ich.“
Fazit: Wenige andere Orte als einen Truck Stop gibt es, an denen sich die Wege unterschiedlichster Menschen mit ebenso vielen Schicksalen für kurze Zeit kreuzen, ohne dass wir uns dessen bewusst werden. Machen wir also getrost Station am „Rasthaus der Liebe“ und lauschen den Geschichten der Matraca Berg. Das ist spannend, anrührend und unterhaltsam.
Trackliste:
01. Love’s Truck Stop |