Weldon Myrick war der „Pedalman“ (1939 – 2014)
Er war eine imposante Erscheinung, imposant ist auch seine Kunst des Steel-Guitar-Spielens gewesen und imposant vor allem sein „Arbeitsnachweis“. Die Rede ist von Weldon Myrick. Als ich ihn 1976 kennen lernte, gehörte er bereits zu den etablierten Studio Musikern in Nashville. Für mich ein besonderes Erlebnis, denn er war einer der ersten Steel Gitarristen, die ich interviewen durfte. Noch dazu in der Grand Ole Opry, zu deren Hausband Myrick mehr als 30 Jahre gehörte. Auch im Studio konnte ich seine Kreativität mehrfach bestaunen.
Weldon Myrick wurde am 10. April 1939 in Jayton, Texas geboren. Lassen wir den hünenhaften Musiker selbst ein wenig erzählen: „Jayton ist ein kleiner Ort etwa 100 Meilen östlich von Lubbock. Musik hat mich begeistert, solange ich mich erinnern kann. Mein deutlich älterer Bruder Tex lebte in Lubbock, und er hatte eine Steel Guitar. Als er zum Wehrdienst einberufen wurde, brachte er das Instrument samt Verstärker zu uns. Das nutzte ich aus. Damals war ich acht Jahre alt. Als ich das Ding leidlich spielen konnte, schloss ich mich einigen Jungs im Dorf an, die auch Musik machten. Als ich 13 war holte mich eine Band aus Stanford dazu, wenn sie samstags eine halbe Stunde im lokalen Radio spielten. Ich konnte dann auch ein wenig normale Gitarre spielen. So entwickelte es sich allmählich. Mit Ben Hall kam ich nach Lubbock und lernte Buddy Holly, Sonny Curtis und Johnny Duncan kennen. Wenn Gaststars kamen, spielte ich mitunter auch bei denen mit. 1955 holte mich Bill Mack für seine damalige TV Show, die aus Wichita Falls, TX gesendet wurde.“
Myrick weiter: „Zum ersten Mal nach Nashville kam ich in den frühen 1950er Jahren. Mit Waylon Jennings, der noch ganz am Anfang stand. Hope Griffith aus Lubbock machte in Nashville einige Demos und nahm uns als Musiker mit dorthin. Ich blieb bei Ben Hall in Big Springs, wo er eine TV-Show hatte. Gemeinsam schrieben wir einige Songs und machten Demos davon. Cliffie Stone verhalf uns zu einem Vertrag mit Capitol. 1958 nahmen Ben Hall, seine Frau Dena und ich in Nashville einige Songs als Ben Hall Trio auf.“
Es waren bescheidene Anfänge, den Lebensunterhalt damit verdienen konnte Myrick damals nicht. „Die Musik brachte zwar ein wenig Kleingeld ein, wenn ich nicht die Leidenschaft dafür im Blut gehabt hätte, wäre vermutlich nichts draus geworden. Ich arbeitete tagsüber bei der Polizei in Big Springs, bis der Musiker in mir die Oberhand gewann. Inzwischen war ich verheiratet, hatte eine Familie und musste eine Entscheidung treffen, wohin es beruflich gehen sollte. 1963 packten meine Frau Kitty, meine beiden Kinder und ich alle Klamotten zusammen und brachen nach Nashville auf. In eine ungewisse Zukunft aber ich wollte es einfach versuchen. Ohne den Rückhalt meiner Familie aber hätte ich den Schritt nicht getan. Und ohne deren Bereitschaft, das Risiko mitzutragen, wäre auch nichts daraus geworden.“
Weldon Myrick ging jenen Weg, der viele in eine Sackgasse führte und scheitern ließ. Er gehört zu denjenigen, die sich durchgebissen haben. Denn ohne irgendwelche Kontakte braucht man Stehvermögen und Glück. Wie erging es ihm in Nashville?
„Meinen ersten Job bekam ich vom Komödianten Pap Wilson. Dadurch konnte ich mich vor Ort umsehen. Ich ging in die Opry und schaute, ob ich bei irgendeinem Sänger oder in einer Band mitspielen konnte. Bill Anderson stellte gerade eine Band zusammen. Er hörte sich an, was ich spielen konnte und verpflichtete mich. Er wollte mich auch bei seinen Plattenaufnahmen dabei haben. So bekam ich den Fuß als Session-Musiker in die Tür.“ Das Vorspielen für Bill Anderson ist den Anwesenden im Gedächtnis haften geblieben, denn „ich wollte einen guten Eindruck hinterlassen und hatte meine Steel Guitar extra neu lackiert. Als ich das Instrument auspackte, klebte der Dämmstoff der Box daran fest. Der Lack war noch nicht ganz trocken gewesen als ich die Steel einpackte. Bill meinte lachend, ich könnte damit ja zum Friseur gehen oder einen Rasierapparat nehmen. Mein Spiel beeinträchtigte das alles nicht, ich habe den Job trotzdem bekommen. Aber es war schon peinlich für mich.“
Rund zwei Jahre gehörte er Bill Andersons „Po‘ Boys“ an. Der hatte eine neue Sängerin namens Connie Smith entdeckt und gefördert, die jetzt groß herauskam. Als sie ihre eigene Band zusammenstellte, gehörte auch Weldon Myrick dazu. Für etwa 8 Monate. Dann musste er sich entscheiden. Myrick: „Ich bekam immer mehr Anfragen für Studio-Aufnahmen. Das ließ sich mit den Tourneen nicht mehr vereinbaren. Ich habe noch kurze Zeit bei Auftritten einzelner Sänger ausgeholfen, bei den so genannten „one nighters“, dann konzentrierte ich mich aufs Studio. Ich war bei den Hits von Bill (Anderson) und auch bei Connie (Smith) dabei, den Produzenten gefiel meine Art zu spielen. Ich hatte Vollbeschäftigung und konnte dennoch die meiste Zeit zu Hause bei der Familie sein. Die Entscheidung gegen die Band habe ich nicht bereut, zumal ich das prickelnde Gefühl live vor einem Publikum zu spielen, in der Opry immer noch bekam.“
Die Grand Ole Opry wurde so etwas wie Myrick’s zweite Heimat. Nie hätte er geglaubt, wie einfach es für ihn war, dort spielen zu können. Er erinnerte sich: „Es war Mitte der 60er Jahre bevor ich Studiomusiker wurde. Zeitweise arbeitete ich noch im Büro der Emmons Guitar Company. Ich ging aus Neugier in die Opry und stellte fest, dass Hal Rugg der einzige verbliebene Steeler dort war, der in der Opry House Band spielte. Man spielte der Ehre wegen, verdienen konnte man da nicht viel, deshalb hatten sich viele Kollegen zurückgezogen, um im Studio zu arbeiten. Hal stöhnte, dass er fast schon in der Opry übernachten würde, er könne Hilfe gut gebrauchen. Wir sprachen mit Ott Devine (damals Opry Manager), der mir fast um den Hals fiel. Ich war einfach zur richtigen Zeit am richtigen Ort, außerdem ging für mich ein Traum in Erfüllung. Ich gehörte der Grand Ole Opry an. Als ich bei Connie Smith in der Band spielte, musste ich in der Opry einige Monate pausieren, kehrte aber danach wieder zurück. Daraus sind 32 Jahre geworden.“
Im Jahr 1998 kurz vor seinem 60. Geburtstag zog sich Weldon Myrick aus dem hektischen Berufs-Alltag zurück. Leider auch aus der Grand Ole Opry. Seither ging er nur noch gelegentlich ins Aufnahmestudio. Mitunter spielte er noch bei der einen oder anderen Show mit befreundeten Sängern, die in Nashville gastierten. Gerne besuchte er Steel Guitar Veranstaltungen und Seminare, um sein Wissen weiter zu vermitteln und mit Liebhabern des für Country Music so typischen Instrumentes zu fachsimpeln. „Auf diese Weise komme ich mit viel weniger Stress auch in der Welt herum. Von Japan bis Europa und Australien. Ich hatte das Glück, mit meinen „Helden“ arbeiten zu dürfen. Das ist mehr als ich je erträumen konnte.“
Weldon Myrick konnte von sich behaupten, dass er nicht viel falsch gemacht hat in seinem Leben, das er noch einige Jahre als aktiver Ruheständler genießen durfte – wenn schon nicht nur mit Musik, dann mit seinen Enkeln oder mit Golfspielen. Am 2. Juni 2014 starb er in einem Krankenhaus in Nashville im Alter von 76 Jahren an den Folgen eines Schlaganfalles. Lloyd Green, ebenfalls einer der besten Steel Gitarristen, trauert um einen guten Freund: „Er war einmalig – als Musiker und vor allem als Mensch. Über ihn wirst du kein schlechtes Wort hören.“
Um einen Eindruck zu vermitteln, woran ein Weldon Myrick beteiligt war, hier einige statistische Fakten:
Rund ein Dutzend Film-Soundtracks
Rund 50 verschiedene TV Shows und Spezial-Produktionen
Jede Menge Werbejingles, die in Nashville und Chicago produziert wurden
Als Autor schrieb er u.a. „It’s Not My Fault“ (Buddy Holly) – „Hangin‘ Around“ (Wilburn Brothers) – „He’s My Baby“ (Jean Shepard) – „The Skin’s Getting Closer To The Bone“ (Penny Dehaven).
Er gehörte der von Charlie McCoy zusammengestellten Band Area Code 615 an, die nur aus Studiomusikern bestand.
Eine kleine, willkürliche Auswahl an Hits, bei denen Weldon Myrick die Steel Guitar spielte:
„She Goes Walkin‘ Through My Mind“ (Billy Walker)
„When A Man Loves A Woman“ (Billy Walker
„She’s A Little Bit Country“ (George Hamilton IV)
„I’m A Lover Not A Fighter“ (Skeeter Davis)
„Harper Valley PTA“ (Jeannie C. Riley)
„Happiest Girl In The Whole USA“ (Donna Fargo)
„Funny Face“ (Donna Fargo)
„I Wish I Was Eighteen Again“ (George Burns)
„Middle Aged Crazy“ (Jerry Lee Lewis)
„Seven Bridges Road“ (Steve Young)
„Mr. Bojangles“ (Jerry Jeff Walker)
„Here’s To You“ (Ian & Sylvia)
„Bitter They Are Harder They Fall“ (Larry Gatlin)
„Victim Of Life’s Circumstances“ (Delbert McClinton)
Außerdem bei vielen der frühen Bill Anderson-Hits sowie denen von Connie Smith. Später auch bei Hit-Alben von Ricky Nelson und in Nashville aufgenommenen Alben von Elvis Presley.
Von ihm selbst sind nur wenige Alben erschienen, wie „Pedalman“ und „The Other Side Of Me“ sowie „Steel Guitars of The Grand Ole Opry“ (mit Sonny Burnette und Hal Rugg).