Steve Strauss: A Very Thin Wire
Steve Strauss' neues Album passt genau zur Zeit. Das schöne Album sollte man in Ruhe zu Hause hören.
Musik ist ja vor Corona etwas gewesen, das überall erhältlich und konsumierbar war. Als MP3 auf Player oder Smartphone oder auf den vielen Streamingportalen. So konnte man oberflächlich Musik an jedem Ort hören. Beim Joggen, in der Bahn oder heimlich bei der Arbeit oder auf langweiligen Sitzungen. Musik von flachen Audiodateien wird flüchtig gehört und was einem auf dem ersten Reinhören nicht gefällt, wird weggedrückt für den nächsten Song.
Niemand anders als Bob Dylan hat vor wenigen Wochen den ersten ultimativen Corona-Zeit-tauglichen Song veröffentlicht. Er passt nicht nur inhaltlich in die Zeit, in der ein Horrorclown als Präsident in der sich ausweitenden Corona-Krise Pressekonferenzen für seinen Wahlkampf-Mätzchen kapert, demokratische Gouverneure beschimpft und seine Anhänger zum Widerstand gegen Anti-Corona-Maßnahmen aufruft, er ist auch mit 17 Minuten Länge ein Song, den man definitiv im häuslichen Corona-Exil hören muss. Und zwar mit richtig zuhören und Text und Musik auf sich einwirken lassen. Den Song kann man nicht beim Joggen oder in der ratternden U-Bahn zwischen den Stationen hören.
Der New Yorker Singer-Songwriter Steve Strauss hat nun mit seinem neuen Album den ultimativen Longplayer zur Corona-Zeit hingelegt. Eine Platte, die man in Ruhe und mit entsprechendem Equipment zu Hause hören soll. Musikalisch, klanglich und textlich ein Genuss. Seit 22 Jahren veröffentlicht Strauss bei Stockfisch Records in größeren Abständen bemerkenswerte Alben.
A Very Thin Wire ist erst sein viertes Werk. Kein Wunder, denn der jetzt 55-jährige Strauss arbeitete jahrelang als Psychotherapeut mit Kindern und Jugendlichen. Die Erfahrungen daraus hat er hier auch auf einem Song verarbeitet. „Blue“, der nachdenkliche zweite Song, das dem fröhlich hüpfenden Albumstarter „Somebody Tell Me“ folgt.
Dem wiederum melancholischen „A Very Thin Wire“ folgt dann das Midtempo-Stück „Every Broken Glass“. Der Singer-Songwriter erzählt auf unnachahmliche berührende Art und Weise starke Geschichten und das in musikalischer bestechender Form. So ist der letzte Titel „In The Flood“ die Geschichte einer schlimmen Flut in seiner Heimatstadt Binghamton, die im Staat New York fast genau zwischen dem Ontariosee und der Ostküste an der Einmündung des Chenango River in den Susquehanna River liegt. Wie er erzählt, wie der Himmel immer drohender wird und es regnet, regnet, regnet und sie Sohn und Tochter schnappen, um vor der Flut zu fliehen ist eindrückliche Songwriter-Kunst. Man fühlt sich unmittelbar dabei, hört die Regentropfen prasseln.
Es sind allesamt sehr tiefe Songs, textlich wie klanglich. Kongenial begleitet von Saitenvirtuose und Multiinstrumentalist Ian Melrose, lässt er in seinen Songs tiefe Einblicke in sein Gefühls- und Seelenleben zu. Dazu besitzt Steve Strauss eine starke, sonore Stimme. Ein faszinierendes Gesamtpaket. Und so wundert man sich, warum der Musiker immer noch mit 55 Jahren ein Geheimtipp zu sein scheint. Und noch dazu ein bescheidener Vertreter seiner Zunft, der sich auch noch stets vor den Großen der Musik verbeugt. War es beim letzten Album ein Springsteen-Song, der coverte, so ist es nun Tom Waits, dem er mit nun „The Heart of Saturday Night“ auf seine eigene Art und Weise huldigt.
Fazit: Album kaufen, zu Hause in die Anlage legen, Kopfhörer auf und weg bist Du!
Steve Strauss – A Very Thin Wire: Das Album
Titel: A Very Thin Wire
Künstler: Steve Strauss
Veröffentlichungstermin: 24. April 2020
Label: Stockfisch Records
Vertrieb: in-Akustik
Format: Hybrid SACD & Digital
Laufzeit: 50:34 Min.
Tracks: 13
Genre: Singer & Songwriter
Trackliste: (A Very Thin Wire)
01. Somebody Tell Me
02. Blue
03. A Very Thin Wire
04. Every Broken Glass
05. Here Comes Old Splitfoot
06. Please Be With Me
07. Like It Used To Be
08. Bathseba
09. (Looking For) The Heart Of Saturday Night
10. In The Flood
11. Home
12. Sisyphus Jones
13. The Company You Keep