Willie Nelson: Last Leaf On The Tree

Der Mann ist ein Phänomen. 91 Jahre alt ist Willie Nelson mittlerweile und auch trotz des ein oder anderen Zipperleins: Der Mann ist unermüdlich, rastlos und produktiv. Im Sommer verpasste er zwar anfangs einige Konzerte seiner mit Bob Dylan, Robert Plant & Allison Krauss, John Mellencamp und anderen hochkarätig besetzten Outlaw Festival Tour, sorgte dann aber wieder für große Momente, als er zum Konzerttross stieß und ungebremste Spielfreude zeigte. Und kurz vor der Präsidentschaftswahl ließ er sich auch nicht nehmen, bei einer Wahlkampfveranstaltung für Kamala Harris aufzuspielen. Willie, der sich öffentlich für Flüchtlinge und Cannabislegalisierung einsetzte, bleibt der aufrechte Liberale und Humanist im Country Music Business. Ihn und den neuen US-Präsidenten trennen Welten.

Produziert von Sohn Micah

Nun ist vor kurzem Willies 76. Studioalbum und sein 152. Longplayer überhaupt erschienen. Produziert von seinem Sohn Micah, legt Willie ein sehr altersweises und würdevolles Werk vor. Eines, das zeigt schon der Titel Last Leaf On The Tree, das, so sagt es Micah, „dem Tod mit Würde begegnet“. Willie weiß um seine Endlichkeit und dass er sich im Spätherbst seines Lebens und seiner Karriere befindet.

Auf diesem Album befindet sich eine Sammlung von Liedern von Rocklegenden, eigenwilligen Singer & Songwritern, Altrock-Helden und Indie-Folk-Künstlern, die Willie kongenial interpretiert. Etwas, das ohnehin in der Bewertung seines Werkes etwas zu kurz gekommen ist. Der Texaner ist nicht nur Sänger, Gitarrist, Songwriter und Komponist, sondern auch ein hevorragender Interpret der Werke von anderen. Hier hat er sich u.a. Werke von Größen wie Nina Simone, Neil Young, Warren Zevon oder Keith Richards ausgesucht.

Songs von Nina Simone bis Neil Young

Das Album beginnt rührend und berührend mit Willies Interpretation von „Last Leaf“ von Kathleen Brennan und Tom Waits. Seine brüchige Stimme lässt eine starke Melancholie entstehen. Selten wirkte Nelson so zerbrechlich wie auf dieser Aufnahme. Nina Simones „Come Ye“ ist ein Plädoyer für Liebe, Frieden und Hoffnung. Der Song wirkt angesichts der politischen Entwicklungen in den USA fast schon prophetisch und könnte tatsächlich so etwas wie Willies Vermächtnis für die Jüngeren sein. „Are You Ready For The Country“, den Klassiker von Neil Young”, macht Nelson zu einer klaren Ansage: Er ist bereit für das, was da nach dem Leben kommen möge. Mit „Broken Arrow“ hat er einen weiteren Song von Neil Young aufgenommen, der nachdenklich auf den Umgang Amerikas mit den indigenen Ureinwohnern eingeht. Als letzten Song intoniert Nelson dann „The Ghost“, einer der ältesten Songs von ihm, den er 1962 veröffentlicht hat. Da geht es darum, wie der Geist der alten Liebe dahingeht. Und schließt damit den Kreis seiner Songs, ehe als Hidden Track dann Willie mit „Looking For Trouble“, die ganze Melancholie und Herbstzeitstimmung des Album in seiner typischen Weise bricht. „Leg‘ Dich nicht Geisteskranken an“, sind Willies augenzwinkernde letzte Worte auf diesem Album.

Fazit: Ein faszinierendes Werk. Ein puristisches Country-Album, das jedoch bei der Songauswahl weit darüber hinausgeht. Sparsam instrumentiert und spartanisch produziert, steht Willies brüchige Stimme und sein Freund Trigger, die Gitarre im Mittelpunkt der Aufnahmen. Es könnte ein würdevoller Abschied sein, muss es aber nicht. Wir dürfen gespannt sein.

Willie Nelson – Last Leaf On The Tree: Das 2024er Album

Titel: Last Leaf On The Tree
Künstler: Willie Nelson
Veröffentlichungstermin: 1. November 2024
Label: Sony Music Catalog (Sony Music)
Formate: CD, Vinyl, Stream & Download
Tracks: 13 + Hidden Track
Genre: Country, Americana

Trackliste: (Last Leaf On The Tree)

01. Last Leaf (Kathleen Brennan, Tom Waits)
02. If It Wasn’t Broken (Sydney Lyndella Ward)
03. Lost Cause (Beck, David Hansen)
04. Come Ye (Nina Simone)
05. Keep Me In Your Heart (Jorge Calderón, Warren Zevon)
06. Robbed Blind (Keith Richards)
07. House Where Nobody Lives (Tom Waits)
08. Are You Ready For The Country? (Neil Young)
09. Do You Realize? (Wayne Coyne, Steven Drozd, Michael Ivins, David Fridmann)
10. Wheels (Micah Nelson)
11. Broken Arrow (Neil Young)
12. Color Of Sound (Willie Nelson, Micah Nelson)
13. The Ghost (Willie Nelson)

Hidden Track: Looking For Trouble