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George Jones: Eine wilde Legende ist ruhig geworden!

George Jones, der große Star der traditionellen Country Music.

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Seit mehr als vier Jahrzehnten hat George Jones, ungewollt, Maßstäbe in der Country Music gesetzt, an denen alle zeitgenössischen Countrysänger sich messen lassen müssen. Viele sagen, er sei der größte Countrysänger aller Zeiten. Jemand, der eine unverkennbare Stimme und Phrasierung um eine Honky Tonk Ballade wickelt und sein gebeuteltes Herz dabei einbringt.

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In jüngerer Zeit bekennen sich sogar einige Rock- und Soulstars zu George Jones, holen ihn gelegentlich ins Studio und unterstreichen damit, dass die Country Music ihr Underdog-Image abgelegt hat, dass sie mehr Einfluß auch in andere Bereiche hinein gehabt hat als manche lange Zeit zugeben wollten. George Jones, dem solche Huldigungen beinahe unheimlich sind, trug zu dieser Entwicklung sehr viel bei, auch wenn er sich dessen weder bewußt war noch dies im Sinn hatte.

George Jones

Wenn er seine Stimme sich entfalten läßt, dann packt sie den Hörer. Dann bricht die ganze Gewalt der Sorgen mit uferlosem Pathos heraus, die die Honky Tonk Songs mit all ihrer Verzweiflung, die ihnen eigen ist, ausmachen. Daneben aber drückt seine Stimme auch die weicheren, gefühlsbetonten Schattierungen aus wie Hingabe, Leidenschaft und Zärtlichkeit, nur um wenig später in einem rasanten, wilden Song ihre Unbändigkeit und Lebensfreude herauszustellen.

All das und vieles mehr ist George Jones und nie weiß man, welche innere Saite er gerade anklingen läßt. Gesang und Einfluß keines anderen Countrysängers waren von Generationen anderer Musiker schon zu Lebzeiten so uneingeschränkt anerkannt. Tom T. Hall sagte einmal: „Ich kenne niemanden in der Country Music, der George Jones nicht zu seinen Vorbildern zählen würde.“

Die Country-Industrie hat sich lange schwer getan, diesen Künstler voll anzuerkennen und das entsprechend zu dokumentieren. Der oft unberechenbare und mitunter verlorene Sohn hat es ihr auch nicht leicht gemacht. Erst in den 1980er Jahren wurde George Jones mit allen möglichen Auszeichnungen bedacht, der Höhepunkt sicher die Aufnahme in die Country Music Hall of Fame. Da waren bereits mehr als 25 Jahre vergangen, seit er sich aus lokaler Bekanntheit ist Ost-Texas zu nationalem Ruhm hoch katapultiert hatte. Was mit „Why Baby Why“ begann wurde spätestens mit „He Stopped Loving Her Today“ anerkannt, das zwei Jahre nacheinander Song des Jahres wurde.

Aus heutiger Sicht betrachtet wirken die späten Auszeichnungen sogar ein wenig lächerlich und fast wie eine Entschuldigung. Wo es doch heute schon genügt, einen einzigen echten Hit zu haben oder eine gute Saison hinzulegen, um mit Awards dekoriert zu werden. Ein George Jones hat vermutlich nie der Karriere wegen Musik gemacht, wir werden es wiederholt an anderer Stelle erkennen können. Er hat der Country Music dennoch oder gerade deswegen weit mehr gegeben als nur einige Hits. Er hat diese Musik maßgeblich beeinflußt und das immer in ihrem ursprünglichen Sinn.

George Jones hat aus eigenem Antrieb nie etwas anderes gemacht als Country (oder Honky Tonk) Music im Sinne ihrer Tradition. Natürlich schenkte er ihr auch zahlreiche Hits (darunter mehr als hundert selbst geschriebene), von denen manche Klassiker geworden sind. Zu nennen sind hier neben „Why Baby Why“ vor allem „Window Up Above“, „Seasons Of my Heart“, „She Thinks I Still Care“, „The Race Is On“, „White Lightning“ oder „A Good Year For The Roses“. Im Duett mit Ex-Ehefrau Tammy Wynette kommen noch Knüller hinzu wie „We’re Gonna Hold On“, „Near You“, „Golden Ring“ oder „Southern California“. Freilich stammen die nicht alle von ihm selbst.

George Jones ist auch in den 1990er Jahren noch sehr populär aber die Zeiten haben sich bereits wieder geändert. Mag von den vielen guten neuen Leuten auch niemand ind er Lage sein, ihm das Wasser zu reichen oder gar in seine Fußstapfen zu treten, Jones hat beim allmächtigen Radio nur noch wenig Chancen, gespielt zu werden. Im Zeitalter der Video-Clips sind junge, unverbrauchte Gesichter gefragt, die Musik wird stärker in den Hintergrund gedrängt. Mit über 60 Jahren ist auch eine Legende wie George Jones dafür zu alt, man holt ihn allenfalls als illustren Gast in ein Video von Newcomern wie Sammy Kershaw. Und es klingt mehr als nur Wehmut mit, wenn George Jones sagt: „Was war das früher doch anders. Da haben wir Musik gemacht, weil wie sie liebten und lebten. An Geld und Karriere habe ich nie gedacht. Ich hätte auch gesungen wenn ich nichts dafür bekommen hätte. Es war sicher ein gutes Nebenprodukt, wenn man von seiner Musik leben konnte aber die Triebfeder war es ganz sicher nicht. Heute geht es doch nur noch um Geld und Ruhm. Man spielt alles mögliche Zeug unter der Fahne der Country Music aber den wenigsten gelingt es, damit wirklich bis zum Nerv der Menschen vorzudringen. Und nur diejenigen, denen das gelingt, werden über eine längere Zeit Erfolg haben.“

Ich denke, eines der Geheimnisse um den Erfolg des George Jones hat er damit selbst angesprochen. Er ist ein Instinkt-Künstler. Er liebt die Country Music und lebt sie für sich selbst, ohne sich darum zu kümmern, wohin das führt. Es hat ihm, wie wir sehen werden, auch eine Menge Unheil eingebracht. Zu seinem Talent kommt hinzu, dass er aus dem Bauch und aus der Seele hinaus singt. Wenn er in einem Punkt jemals konsequent gewesen ist, dann bei dem, was er singt. Von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen hat er sich nie in einen Modetrend zwängen lassen und war dann da auch noch erfolgreich. Mag er auch noch so viele Höhen und Tiefen durchlebt haben, musikalisch blieb ein George Jones sich immer treu und damit ausrechenbar.

Ich habe George Jones während seiner schlimmen Phase und auch danach wiederholt erlebt. Man spürt, es hat eine Veränderung bei dem an sich sensiblen Künstler stattgefunden! Ich meine, ein wenig von der Urwüchsigkeit ist verloren gegangen, ohne dass er ein Yota an Ausstrahlung verloren hätte und vielleicht wirkt er dadurch noch ehrlicher. Man möchte ihm ja glauben, dass er vom Alkohol weg und seit über zehn Jahren trocken ist aber irgendwo bleibt ein Rest an Zweifel, ob er nicht doch wieder schwach wird.

Auch ich gehöre zu denjenigen, die ihn früher schon mal vergeblich zu einem Auftritt erwarteten. George Jones hieß dann sehr bald „No Show Jones“. Wenn er aber auf die Bühne kam, dann legte er in der Regel einen denkwürdigen Auftritt hin, meist positiv, gelegentlich aber auch negativ. Nicht durch die Optik oder Show-Effekte faszinierte er sondern durch die Art seines Vortrages, man merkte dann, dass er seine Songs auf der Bühne durchlebte. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Wer sich ein wenig mit der Materie auskennt, dem entging an der Art, wie er mit dem Publikum sprach nicht, dass dieser Mann Lampenfieber kennt. Aber ich erlebte George Jones auch als er als „Überraschungsgast“ auf die Bühne kam und so betrunken war, dass er sich kaum auf den Beinen halten, geschweige denn singen konnte. Es war schlichtweg ein unmöglicher „Auftritt“, für das Publikum eine arge Zumutung. George Jones tat sich damit keinen Gefallen und den meisten anderen hätten solche Eskapaden auch Abbruch getan – aber was kümmerte es ihn damals?

Anfang der 1980er Jahre, er hatte gerade wieder mal eine Entziehungskur hinter sich, tauchte er hinter der Bühne der Grand Ole Opry auf. Schlecht sah er aus, erschreckend schlecht. Und irgendwie wirkte er auch geistesabwesend. Er zeigte sich zwar den Fans auf der Bühne aber sang nicht. So als ob er sagen wollte, ich bin noch da und werde es wieder packen. Wir wissen heute, dass er damals noch längst nicht über den Berg war. Im Gegenteil. Im Frühjahr 1986 gehörte er endlich einmal zu den Europa-Festivals von Mervyn Conn und die Fans erlebten ihn u.a. in Frankfurt und Zürich. Aber man hörte viele Stimmen, die von seinem Auftritt enttäuscht waren. Für mich keine Überraschung. Jones ist einfach kein Mann für solche Festivals, schon gar nicht in der Phase, in der er sich seinerzeit sowohl physisch wie auch seelisch befand. Er braucht mehr Zeit, um sich auf der Bühne entfalten zu können, mit 30 Minuten kann er nicht viel anfangen. Da wirkt alles gedrängt, da fühlt er sich eingezwängt. Ein George Jones braucht die ungeteilte Aufmerksamkeit des Publikums. Wenn er die hat und das fühlt, geht er in der Show auf und ruft bei manch einem die sprichwörtliche Gänsehaut hervor.

Im kulturellen Bereich wird oft behauptet, große Kunst komme oft aus großem persönlichen Schmerz. Inwieweit diese These allgemein gültig ist, sei dahingestellt. Auf George Jones scheint sie zuzutreffen. Wenn seine verschiedenen Biographien richtig sind – und daran besteht eigentlich kein Zweifel – dann befand er sich die meiste Zeit seines Lebens sowie praktisch seine ganze Karriere über in persönlichen Konflikten. Oft stand er sich dabei selbst im Weg. Da bekam er seine ausgeprägten und explosionsartig ausbrechenden Emotionen ebensowenig unter Kontrolle wie sein zweifellos vorhandenes außergewöhnliches Talent. Situationen, die er in Songs so überzeugend darstellt, sind ihm oft zumindest in ähnlicher Weise widerfahren, was vielleicht dazu führte, dass es für ihn zuweilen unmöglich schien, Kunst und Realität auseinander zu halten. So erzählte er selbst einmal: „Wenn du eine traurige Ballade singst, mußt du dieses Gefühl selbst mitgemacht haben. Du mußt dich an alles erinnern, was dich traurig gemacht hat. Vielleicht ist dein kleiner Hund gestorben und du denkst daran, wenn du singst und dann bist du selbst in richtig trauriger Verfassung. Ich verliere mich dann in einem Song und bin bald so, wie die, über die ich gerade singe.“ Dieses Sichhineinsteigern gelingt ihm meisterhaft und deshalb klingt George Jones fast beängstigend überzeugend.

Blickt man auf die Vergangenheit des George Jones zurück, dann wird die gekennzeichnet von akuten Ehen, Bankrotten, Sauftouren und Sichaufgeben. Und immer wieder tappte er in die Fallen, die der Status eines Stars vor ihm aufbaute. Ein von Statur her relativ kleiner Mann sorgte er für große Skandale, machte er nahezu alle Fehler, die möglich waren. Trotzdem hielten und halten immer noch viele Kollegen zu ihm. Das Business kann wohl auch ohne einen wie ihn nicht auskommen. Fast von Geburt an hat die Musik sein Leben geprägt. Ebenso aber begleiteten ihn schlimme Zeiten, von denen er auch regelmäßig singt. „Es hat den Anschein als ob ich mein Leben lang vor etwas weggelaufen wäre“, sinnierte Jones vor einigen Jahren. „Wenn ich wüsste, vor was, dann könnte ich vielleicht in die richtige Richtung laufen. Doch habe ich fast immer den falschen Weg erwischt.“

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