Harper Valley PTA: Tom T. Hall
Man mag sich mitunter durchaus fragen, was dazu geführt hat, dass bestimmte Lieder so erfolgreich wurden und zeitlos geblieben sind. Wie bei diesem Song über die Elternpflegschaft des Örtchens Harper Valley. Die Melodie kann es kaum gewesen sein, so attraktiv ist die nämlich nicht. Also muß es wohl der Text sein, der das gewisse Etwas hat.
Was Tom T. Hall aufgrund eigener Erlebnisse festhielt und am Ort Harper Valley festmachte, paßt im Grunde überall hin. Angeprangert werden Verlogenheit, Scheinheiligkeit, Vorurteile. Hall stellt eine junge Witwe in den Mittelpunkt seiner Geschichte. Sie hält sich nicht an die gesellschaftlichen Spielregeln der Spießbürger. Über ihre Tochter läßt ihr die Elternpflegschaft (PTA bedeutet Parents Teachers Association) ausrichten, sie kleide sich unmoralisch, sie trinke und gebe sich mit Männern ab. Bei dem Lebenswandel könne die Tochter nie und nimmer richtig erzogen werden.
Besagte Mrs. Johnson geht daraufhin in ihrer herausfordernden Kleidung zum Meeting der Pflegschaft und reißt den „ehrwürdigen Heuchlern“ die Maske vom Gesicht. Sie macht öffentlich, dass Bobby Taylor sie schon 7 mal um ein Rendezvous gebeten hat, dass dessen Frau dem Alkohol zuspricht, wenn er weg ist. Herr Baker muß sich die Frage gefallen lassen, warum seine Sekretärin denn die Stadt so schnell habe verlassen müssen. Und sollte man der Witwe Jones nicht raten, ihre Vorhänge ganz runter zu lassen? Mrs.Johnson stellt fest, dass der honorige Herr Harper nicht anwesend ist, weil er am Vorabend zu lange in der Bar ausharrte, wieder mal! Shirley Thompson’s Alkoholfahne kann jeder im Raum wahrnehmen … Bleibt die feststellende Frage: Wer seid ihr Unschuldsengel, dass ihr mir Vorwürfe macht? Wer gibt euch das Recht, meine Qualitäten als Mutter in Frage zu stellen?
Tom T. Hall bestätigte mir, dass es sich hier um eine wahre Geschichte handelt. Natürlich habe er die Namen verändert aber so in etwa sei es gewesen. Als Kind hat er sich in seiner Heimatstadt rumgetrieben und bereits damals Augen und Ohren offen gehalten. „Ich habe diese Geschichte gehört und ich kannte die Frau, um die es geht. Die hat mich beeindruckt, sie war alleinerziehende Mutter und kümmerte sich einen feuchten Kehricht um die spießbürgerlichen Spielregeln. Sie tat, was sie für richtig hielt und stand dafür ein. Dafür musst du selbstbewusst sein und einen starken Willen haben. Rund 30 Jahre später habe ich dann den Song geschrieben, der auch für meine Karriere als Songschreiber ein Meilenstein wurde.“
Jeannie C. Riley wollte das Lied übrigens gar nicht aufnehmen. Eine abenteuerliche Geschichte. Es gab da einen Song mit dem Titel „The Old Town Drunk“. Es geht um einen Säufer, über den sich alle Leute in der Stadt lustig machen. Bis man eines Tages am Fluss erst seinen Hut und dann seine Schuhe findet. Sofort wird eine Suchaktion gestartet, weil man ein Unglück befürchtet. Derweil sitzt der Säufer in einem Versteck und beobachtet das Treiben. Schließlich kommt er hervor und strahlt alle an, glücklich, weil man so besorgt um ihn sei. Diese Ballade hatte Riley für ein Demo gesungen. Als Shelby Singleton das Demo hörte, wollte er die Sängerin unbedingt für „Harper Valley P.T.A.“ haben. Das war genau die raue, freche Stimme, die er suchte. Doch Riley wollte nicht. Jerry Kennedy, damals Session-Leiter, erinnert sich genau: „Wir haben es mit Engelszungen versucht. Shelby sagte ihr, das werde ein richtiger Pop Hit. Er wollte auch ihren Namen ändern in Rhonda Renae, das könne man sich besser merken, denn Jeannies gebe es bereits genug. Doch sie blieb stur und wollte nur unter ihrem richtigen Namen singen. Und Country müsse es sein. Wir waren froh und geschafft als sie endlich einwilligte.
Am nächsten Nachmittag kam sie nach ihrer Arbeit ins Studio. Es war der 26. Juli 1968, ein Freitag. Sie war richtig wütend. Auf sich selbst, weil sie nicht nein gesagt hatte. Darauf, dass sie nach zwei Jahren, in denen sich nichts getan hatte jetzt einen Pop-Song singen sollte. Sie hatte wohl Angst, ihre Identität zu verlieren. Kurz, sie war sauer auf sich und die ganze Welt. In dieser Stimmung ging sie ins Studio und war sofort voll drin im Song. Sie wollte es wohl schnell hinter sich bringen. Es ging dann auch schnell. Ich habe selten eine Session gehabt, bei der die Stimmung spontan so passte. Es waren magische Momente. Und was daraus geworden ist, wissen wir alle. Shelby Singleton hatte Recht.“
Angesichts der Verhältnisse im Jahr 1967 als Hall den Song schrieb, sind es deutliche Worte, ziemlich starker Tobak sogar. Manch einer mag sich irgendwo im Lied wiedererkannt haben. Sicher ist es Hall gelungen, zum Nachdenken anzuregen. Mit Jeannie C. Riley fand sich genau die damals völlig unbekannte Sängerin, die zu diesem Lied paßte. Was Tom T. Hall ihr in den Mund legte, hätte manch einer vermutlich selbst gern gesagt. Aber mit der Zivilcourage ist es so eine Sache. Die Umstände mögen sich geändert haben, über einen Minirock regt sich niemand mehr auf, das Geschehen wiederholt sich in vergleichbarer Weise aber auch heute noch, jeden Tag. Denn Harper Valley ist überall …