Joan Baez: Whistle Down The Wind
Die legendäre Sängerin legt ihr letztes Album vor. Es ist ein beindruckendes und bewegendes Album geworden. Das Vermächtnis einer großen Künstlerin.
Whistle Down The Wind: Das ist es nun das Abschiedsalbum von Joan Baez, das kurz vor Ihrer Abschiedstournee erscheint, die sie auch ein letztes Mal nach Deutschland führen wird. Unsere Heldinnen und Helden sind jetzt allesamt in einem Alter, in dem so mancher von Ihnen von der Bühne abtritt. Paul Simon mag nicht mehr, Elton John ist müde, Neil Diamond ist an Parkinson erkrankt. Und eben auch Joanie mag sich mit jetzt 77 Jahren nicht mehr dem Tourneestress aussetzen. Ob alle diese Künstler wirklich ganz ohne Bühne und Publikum auskommen können? Chuck Berry spielte fast bis zuletzt vor seinem Tod mit 90 Jahren noch regelmäßig im Restaurant Blueberry Hill in St. Louis. Little Jimmie Dickens war auch mit über 90 Jahren noch fester Bestandteil der Shows in der Grand Ole Opry. Merle Haggard war bis kurz vor seinem Tod im Alter von 79 Jahren noch auf Tour. Willie Nelson sagt zwar hin und wieder mal ein Konzert wegen Unpässlichkeit ab, reist aber ansonsten auch mit 85 Jahren immer noch quer durch die USA. Und Bob Dylan, der im Mai 77 wird, kommt dieses Frühjahr wieder zu einer ganzen Reihe von Konzerten nach Deutschland und Europa. Alte Zirkuspferde eben, deren Leben die Musik ist.
Künstlerin und Aktivistin
Joan Baez war und ist aber eine Künstlerin, die stets auch andere Ziele, vornehmlich politische, verfolgt hat. Immer wieder einmal hat sie ihren Schwerpunkt vom Musikgeschäft weg und hin zum Aktivismus verlegt. Sie war mit einer Friedensdelegation während des Vietnamkrieges in Hanoi und spielte 1993 im kriegszerstörten Sarajevo. Da sie genauso begeisterungsfähig wie nüchtern sein kann, beendet sie nun aus freien Stücken ihre musikalische Konzert-Karriere. Ihre letzte Platte erschien 2008, ist also auch schon vor zehn Jahren erschienen. Und keiner und zu allererst sie nicht, mag sich vorstellen, dass Joan Baez mit 87 noch eine Platte aufnimmt. Dafür ist sie nicht der Typ. Zudem hat sie in einem lesenswerten Interview der Los Angeles Times gerade verraten, dass ihr Stimmtrainer ihr schon vor einiger Zeit gesagt hätte, dass ihre Stimme ihr sagen würde, wann es Zeit sei, aufzuhören. Und tatsächlich ist Joan Baez‘ Stimme mit den Jahren dunkler geworden, die hohen Trällertöne sind schon seit einiger Zeit verschwunden. Nun sagt sie, würde es immer schwerer, ihre Stimme so zu nutzen, wie es notwendig sei. Dies und der Tourneestress sowie die Aussicht die verbleibende Zeit lieber für andere, vielleicht verstärkt politische Aktivitäten zu nutzen, mögen für ihre Entscheidung ausschlaggebend gewesen sein.
Das neue Album: Ein Reigen starker Coversongs
Produziert wurde „Whistle Down The Wind“ von Joe Henry und beinhaltet Cover-Songs von Größen wie Tom Waits, Josh Ritter, Anohni, Joe Henry, Mary Chapin Caprenter, Zoe Mulford, Eliza Gilkyson, Tim Eriksen und Richard Thompson. „Es passierte einfach, und es war nicht meine Absicht, dass die Songs zu meinen wurden“, sagt Joan zu den Songs des neuen Albums. „Das ist der Punkt an dem ich wusste, auf dem richtigen Pfad zu sein.“
Dabei war Joan Baez nie die große Songwriterin, sondern eine großartige Interpretin, die stets ein gutes Gespür dafür hatte, welches Material zu ihr passt. Es sind Songs, die sich teilweise zum Blick zurück auf ein bewegtes Leben und eine große Karriere eignen wie der Titelsong „Whistle Down The Wind“ oder „Last Leaf“, beide stammen aus der Feder von Tom Waits. Teils sind es aber auch Songs, die zeigen, dass Joan Baez im hier und jetzt lebt und sehr genau beobachtet und daher immer noch ihre Stimme gegen falsche Politik und die Herrschenden hebt. So wie sie es zuletzt im Frühjahr 2017 mit ihrem Anti-Trump-Spottlied „Nasty Man“ getan hatte. Hier nun singt sie das bewegende „The President Sang Amazing Grace“ von Zoe Mulford über die Ermordung von neun Afroamerikanern in einer Kirche in Charleston und dem Moment als Barack Obama auf der Trauerfeier „Amazing Grace“ anstimmte. Die Tat im Jahr 2015 ebenso wie die rassistische Gewalt, die in der US-Gesellschaft latent ist, sind der Ausdruck der offenen Wunden Sklaverei und Bürgerkrieg. Und so hat Joan auf diesem Album auch eine Coverversion von Joe Henrys „Civil War“ eingespielt. Und mit „Another World“ von Ahnoni bringt sie sowohl den düsteren Zustand der Welt als auch die daraus folgende Hoffen und Sehen nach einer anderen, besseren Welt zum Ausdruck.
„Whistle Down The Wind“ ist das starke Album geworden, das man von ihr zu diesem Zeitpunkt erhofft hat. Ein selbstbewusster, manchmal wehmütiger Blick zurück und ein scharfer, immer noch zorniger Blick auf die herrschenden Zustände verbinden sich zu einem großen Kunstwerk, das die Künstlerin Joan Baez und ihr Verständnis von sich und von der Welt in bester Art und Weise abbildet.
Fazit: Es ist Joan Baez‘ letzte Platte. Es ist Ihr beeindruckendes Vermächtnis. Wir verbeugen uns vor der großen Joan Baez. Danke!
Joan Baez – Whistle Down The Wind: Das Album
Titel: Whistle Down The Wind
Künstler: Joan Baez
Veröffentlichungstermin: 2. März 2018
Label: Proper Records (H’art)
Format: CD, Vinyl & Digital
Laufzeit: 38:58 Min.
Tracks: 10
Genre: Folk
Trackliste: (Whistle Down The Wind)
01. Whistle Down The Wind (Tom Waits, Kathleen Brennan)
02. Be Of Good Heart (Josh Ritter)
03. Another World (Anohni)
04. Civil War (Joe Henry)
05. The Things That We Are Made Of (Mary Chapin Carpenter)
06. The President Sang Amazing Grace (Zoe Mulford)
07. Last Leaf (Tom Waits, Kathleen Brennan)
08. Silver Blade (Josh Ritter)
09. The Great Correction (Eliza Gilkyson)
10. I Wish The Wars Were All Over (Tim Eriksen)
Joan Baez Tourdaten Deutschland:
25.03.18 – Frankfurt a.M., Alte Oper (Ausverkauft)
26.03.18 – München, Philharmonie (Ausverkauft)
31.05.18 – Hamburg, Mehr! Theater (Ausverkauft)
28.07.18 – Halle/Saale, Freilichtbühne Peißnitz (Ausverkauft)
29.07.18 – Berlin, Zitadelle Spandau
31.07.18 – Ludwigsburg, Residenzschloss Ludwigsburg
01.08.18 – Schwetzingen, Schlossgarten Schwetzingen
03.08.18 – Köln, Roncalliplatz