Jack Grelle: If Not Forever
Der Americana-Barde aus St. Louis legt ein neues Album vor, dass sich zwischen Innerlichkeit und den Blick auf Amerika bewegt.
Über das Vorgänger-Album und den Künstler Jack Grelle zogen wir hier vor dreieinhalb Jahren im Dezember 2016 folgendes vorläufiges Fazit: „Eine absolute Entdeckung. So sollte Country und Americana heute sein. Musikalisch packend, mit klarer gesellschaftlicher Haltung, ohne belehrend sein zu wollen. Prädikat: Shooting Star!“
Und tatsächlich, was hat der aufstrebende Star seitdem nicht alles unternommen. 2017 und 2018 tourte er mehrfach durch Europa und Amerika, entweder solo oder im Vorprogramm seines Kumpels Pokey LaFarge – vom Frankfurter Konzert Anfang 2018 berichteten wir ausführlich, oder auch in anderen Konstellationen. 2019 zog er sich erst nach Mexiko zurück, um neue Eindrücke zu gewinnen, und dann in sein Haus in St. Louis, um neue Kraft zu schöpfen.
Nun meldet er sich mit If Not Forever zurück. Auch wenn sein Album nun deutlich mehr die Sicht Jack Grelles auf sich selbst zum Schwerpunkt hat, merkt man auch in den introspektiven Songs, dass hier einer singt, der das Leben von allen Seiten kennt. Er ist wie andere große amerikanische Troubadoure vor ihm in Züge gestiegen und ist durch die USA getrampt. Dort, und in den Orten wo er eine Zeit lang blieb, entdeckte er Menschen und gesellschaftliche Verhältnisse über die er schreibt und singt. Und unterscheidet sich dadurch von so manchem Mittelklasse-Neo-Folkie, der komfortabel lebt und sich die Welt von draußen holen muss. Grelle aber lebt in dieser Welt der gesellschaftlichen Gegensätze, dieser gar nicht so schönen amerikanischen Realität. Und von ihr erzählt er in progressiver gesellschaftlicher Haltung im traditionellen amerikanischen musikalischen Idiom von Country und Folk, von Honky Tonk und Rock’n’Roll.
Nun singt er also auch über den Menschen, den er in sich sieht. Der viel gesehen hat, der Erfolg hat, und trotzdem verletzlich ist. Der ständig auf Tournee unter Leuten ist, aber sich trotzdem nach wirklicher Nähe sehnt. „To Be That Someone“ feiert daher die Liebesbeziehung nicht anhand ihrer großen Momente, sondern der Song stellt das beruhigende, unspektakuläre, konstante in den Mittelpunkt. Eher nach innen gerichtet sind auch Songs wie „I Apologize“ oder „Loss Of Repetition“.
Doch auch auf diesem Album geht er den sozialen Fragen nach. „Out Where The Buses Don’t Run“ beispielsweise berichtet von einem exzentrischen und großzügigen Obdachlosen. Grelle ist ein empathischer Songwriter, er liebt die Menschen und muss daher auf die Ursachen der sozialen Probleme kommen.
Der schönste Song auf dieser Platte ist „It Ain’t Working For Everyone“. Eine Sozialballade in der Tradition Woody Guthries, die die Geschichte einer Arbeiterfamilie erzählt. Beide Elternteile arbeiten, die Kinder teilen sich ein Bett. Eine Familie, die die ganze Zeit über zu kämpfen hat. Und das in einem der reichsten Länder der Erde.
Er singt dabei über die Veränderungen von Wohnvierteln, die immer bunter werden. „Bei der Idee geht es um Solidarität der Arbeiterklasse über Rassengrenzen hinweg. Das gesamte Konzept ist im Allgemeinen eine Kritik am Kapitalismus“, sagt Grelle dazu. „Funktioniert es für alle?“ Grelle gelingt es, ohne den erhobenen Zeigefinger auszukommen, der jedes Gespräch verhindert. Und man muss im heutigen Amerika – so schwierig es ist, ins Gespräch kommen. Steve Earle hat ja gerade mit seinem Album „Ghosts Of West Virgina“ hierzu einen Versuch unternommen.
Und somit ist dieses Album genau das, was wir uns vom „progressiven Honky Tonk Hero“ (Rolling Stone) erhofft haben. Es zeigt eine Bandbreite auf, musikalisch von langsamen Folk- Balladen bis Stones-haften Gitarren-Rock bei „Space And Time“ und textlich von Innerlichkeit bis zur Klassenfrage, die von großer Reife zeugt.
Unterstützt wird er dabei von einer großen Musikerschar. Darunter erfreulicherweise auch sein alter St. Louis-Kumpel Ryan Koenig, der früher in Pokey LaFarges Band spielte, Ende 2017 bei einem Verkehrsunfall schwer verletzt wurde, und nun wieder gesundet ist.
Fazit: Jack Grelle bleibt auf einem künstlerischen Hoch. Ein für diese Zeiten gleichermaßen berührendes wie relevantes wie engagiertes Album. Merke: Progressives Country & Americana, wie wir es gerade jetzt so dringend brauchen. Und einfach gute Musik!
Jack Grelle – If Not Forever: Das Album
Titel: If Not Forever
Künstler: Jack Grelle
Veröffentlichungstermin: 24. Juli 2020
Label: Jack Grelle Music, Free Dirt Records
Vertrieb: Galileo
Tracks: 10
Laufzeit: 35:32 Min.
Genre: Country, Americana
Trackliste: (If Not Forever)
01. Loss Of Repetition
02. I Apologize
03. Mess Of Love
04. It Ain’t Working For Everyone
05. Space And Time
06. Good Enough For Now
07. Out Where The Buses Don’t Run
08. To Be That Someone
09. Same Mistakes
10. No Time No Storm