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Thank God for Country Music! Marty Stuart and His Fabulous Superlatives in Berlin

Stuart und seine Band begeistern die Countrygemeinde bei ihrem Deutschlanddebüt in der Passionskirche.

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Marty Stuart and His Fabulous Superlatives Marty Stuart and His Fabulous Superlatives. Bildrechte: Oliver Kanehl

Es ist gar nicht so einfach, einem Außenstehenden zu erklären, was Marty Stuart für die traditionelle Countrymusik heute bedeutet. Manche sagen, er sei ihr bester Botschafter. Der amerikanische Dokumentarfilmer Ken Burns bringt es auf den Punkt, wenn er betont: „Hätte Countrymusik einen Präsidenten, wäre es Marty Stuart!“ Da ist es nicht verwunderlich, dass die hiesige Country-Fangemeinde Spalier steht, wenn seine Exzellenz die Bundesrepublik das allererste Mal nur allein mit seiner Band zum Staatsbesuch beehrt, fallen doch so nicht nur Ostern und Weihnachten auf einen Tag, nein, das wäre noch untertrieben. Es ist eher wie ein Sechser im Lotto mit Freibier den ganzen Tag.

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Wenig überraschend also, dass sich bei herrlichem Spätsommerwetter bereits am frühen Nachmittag die ersten Fans vor der Kreuzberger Passionskirche einfinden, wo am Abend Marty mit seiner Band Hof halten wird. Seitlich des schmucken Backsteinbaus steht der luxuriöse Nightliner-Bus, mit dem die Truppe um Stuart bereits seit zwei Wochen Europa bereist. Hier öffnet sich ab und an die Tür und so plauschen Cousin Kenny, Chris Scrugggs oder Stuart selbst schon früh immer mal kurz mit Fans, machen Selfies und schreiben Autogramme. Für die angereisten Anhänger wird dies noch getoppt, als nach ein paar Interviews und dem Soundcheck auf einmal die komplette Band geföhnt und durchgestylt wie einst Porter Wagoner und Co. über den Marheinekeplatz spaziert. Nun wissen auch die letzten Passanten: Country Royalty is in Town!

Völlig entspannt hält die Band immer wieder an und lässt sich fotografieren. Mancher Fan unterwegs zum Venue traut seinen Augen kaum, als er plötzlich ihren Weg kreuzt. Die bunte Truppe setzt sich schließlich im vollen Ornat in ein Straßencafé und macht bei alkoholfreiem Bier und grünem Tee ein paar Bilder mit dem eigenen Fotografen. Inzwischen hat sich eine Warteschlange vor dem Einlass formiert, die sich in Teilen wieder auflöst, als allen gewahr wird, warum die Menschen gerade zusammenströmen. Die bestens gelaunte Band posiert mit den Musikfreunden und signiert Tonträger und alles, was man ihnen hinhält.

Marty Stuart and His Fabulous Superlatives

Marty Stuart and His Fabulous Superlatives. Bildrechte: Oliver Kanehl


Hier zeigt sich das Selbstverständnis Stuarts und der Band: Viele der Konzertbesucher kommen von weit her, sie haben viel Zeit, Geld und Mühe investiert, um dabei zu sein. Niemand soll später enttäuscht oder unzufrieden nach Hause gehen. Eine Lektion, die der junge Marty bereits mit 13 Jahren vor ziemlich genau 50 Jahren lernte, als er von Bluegrass-Legende Lester Flatt in dessen Band geholt wurde.

Als sich um 19 Uhr die Türen öffnen, füllt sich rasch das Kirchenschiff, denn die besten Plätze befinden sich hier direkt vorm Altar. Dort stehen aufgereiht die Instrumente und nun wird den aufmerksamen Anhängern klar, dass diese Show auch in anderer Weise besonders werden wird: Auf der Bühne im Altarraum stehen nur analoge Instrumente. Die feine Akustik des Sakralbaus lässt nichts Lautes zu: also kein Schlagzeug, keine Verstärker und Telecaster-Gitarren. Auch Martys berühmter B-Bender wird nicht zum Einsatz kommen – nur Kontrabass und Westerngitarren sowie natürlich Marty Stuarts Mandoline.

Punkt 20 Uhr betritt der Supportact die Bühne. Einem strubbeligen, eher unscheinbaren Akustikgitarristen folgt eine aufrechte Gestalt in einem schwarzen, mit glitzernden Rhinestones aufwendig bestickten Anzug, das Haupt mit einem hellen breitkrempigen Hut gekrönt. Bereits jetzt könnte man ahnen, wer sich da nun anschickt, für das Kirchenrund zu singen, denn die Ähnlichkeit zur weltbekannten Verwandtschaft, unterstrichen vom Outfit, ist schon verblüffend. Auch als der Fremde seinen Namen nennt, fällt noch nicht bei allen der Groschen. Er sei Sam Williams und habe diesen Anzug bei seinem Grand Ole Opry-Debüt getragen.

Sam Williams

Sam Williams. Bildrechte: Oliver Kanehl


Williams hat eine schöne Stimme, seine recht poppig anmutenden Songs, begleitet von nur einer Gitarre, wirken jedoch ziemlich gleichförmig. Dass seine Musik weniger in den Traditionen der Countrymusik verwurzelt ist, wird offensichtlich, wenn man weiß, dass Britney Spears eines seiner großen Vorbilder ist. Wen aber noch immer wundert, warum ausgerechnet dieser Knabe im Glitzeranzug für Marty Stuart die Show eröffnet, dem hilft Sam vor seinem letzten Stück selbst auf die Sprünge, wenn er stolz verkündet, der jüngste Enkel von Hank Williams Sr. zu sein. Und als er I’m So Lonesome I Could Cry anstimmt, macht alles plötzlich Sinn.

Ich frage mich allerdings, ob sein Großvater auch einen Becher Bier direkt vor dem Altar mit dem großen Kreuz und der aufgeschlagenen Bibel getrunken hätte, waren diese Welten doch einst stark voneinander getrennt: die Honky Tonk Bar für Ausschweifungen und weltlichen Genuss und das Gotteshaus für das Seelenheil, ganz im Sinne von Saturday Satan, Sunday Saint. Die Zeiten haben sich aber ganz offensichtlich geändert.

Nach einer halbstündigen Pause betreten pünktlich um 21 Uhr Marty Stuart und seine Fabulous Superlatives die Bühne und beginnen gleich fulminant ihr Set mit Buddy Hollys „Crying, Waiting, Hoping“ – ein mehr als passender Auftakt am Geburtstag der Rock’n’Roll-Legende. Anschließend singt Stuart, ganz in schwarz, wie einst der Man in Black: „If you know what I am talking about, you’re a friend of mine.“ Doch längst ist klar, heute Abend ist Marty nur unter Freunden. Weiter geht’s mit Stuarts 1991er Hit „Tempted“, der in der runtergebrochenen akustischen Version wunderbar seine Verwandtschaft zum Holly-Klassiker „Peggy Sue“ betont.

Von vornherein überzeugt die Band mit gekonntem mehrstimmigem Gesang. Alles schwingt und groovt, angetrieben von Chris Scruggs am Standbass und Schlagzeuger Harry Stinson, der lediglich eine Snaredrum um den Hals trägt, die er lässig meist nur mit Händen oder Besen spielt. Bei „Matches“, einem Stück aus Stuarts Live-Repertoire, das er zum ersten Mal auf seinem 1992er Album Let There Be Country veröffentlichte und auch 2021 für sein Projekt Songs, „I sing In The Dark“ aufnahm, lässt er die Herzen des Publikums höherschlagen, als er zum Ende des Stücks die markanten Gitarrenlicks aus Johnny Cashs Folsom Prison Blues einstreut.

Marty Stuart and His Fabulous Superlatives

Marty Stuart and His Fabulous Superlatives. Bildrechte: Sebastian Timm


Marty Stuart ist nicht nur ein Künstler, der freigiebig und relaxt mit seinen Fans umgeht, er hält es ebenso mit seiner Begleitband. Und die Musiker stellen während des gesamten Abends immer wieder unter Beweis, dass sie kein Anhängsel sind, sondern ihren Namen Fabulous Superlatives völlig zu Recht tragen. Für die Show sind sie heute in blaue Anzüge gekleidet und sehen darin aus wie Western Gentlemen oder Mitglieder von Ernest Tubbs Texas Troubadours Mitte der 1960er. Die Fabulous Superlatives sind eigentlich eine Allstarband aus bekannten Instrumentalisten und so bekommen alle Mitglieder während des Sets immer wieder Freiräume, um selbst zu glänzen.

Den Anfang macht Nashville Studiomusiker-Legende Gitarrist Kenny Vaughan, den Stuart immer nur Cousin Kenny nennt, mit dem durch die Rolling Stones einst weltbekannt gemachten Shirley und Bobby Womack Song „It’s All Over Now“. Zur Überraschung und Freude des Rezensenten widmet Vaughan ihm im Anschluss einen Knaller von seinem Soloalbum, da ihm das Interview direkt vor der Show offensichtlich gut gefallen hat.

Dann bei „Sitting Alone“, einem von Marty im Lockdown geschriebenen Song, der nun mit wunderbaren Byrds-Harmonien erklingt, kommt die zwölfseitige Gitarre zum Einsatz, die der Band von einem Berliner zur Verfügung gestellt wurde, da die eigene bei einem anderen Auftritt unlängst beschädigt wurde. Atemberaubend dann das Cover des Marty Robbins Hits „El Paso“, bei dem die Band bis ins kleinste Detail das tolle Originalarrangement zu neuem Leben erweckt.

Nun bekommt Earl Scruggs‘ Enkel Chris seinen Spot im Rampenlicht und glänzt gesanglich als High-Tenor bei „Blue Moon Of Kentucky“. Das kann er also auch! Denn Scruggs ist ein wahrer Tausendsassa in Sachen Countrymusik: Wie Vaughan betont, spielt Chris besser als Marty und er Gitarre, ist Nashvilles bester Steelplayer und sowieso ein wandelndes Countrymusik-Lexikon. Darum nennt ihn Stuart wohl auch stets den Professor. Beim Bill Monroe-Klassiker greift Stuart zur Mandoline, um dann beim Surfklassiker „Wipe Out“, bei dem Scruggs seine unglaublichen Bass-Skills zur Schau stellt, den Mandolinen-Paganini zu geben. Zuvor hatte Stuart dem begeisterten Publikum verschmitzt verkündet, dass Berlin heute die Welthauptstadt des Surfens sei und mit der Band die Surfmusik-Perle „Pipeline“ gespielt.

Marty Stuart

Marty Stuart. Bildrechte: Sebastian Timm


Nach Scruggs holt Stuart Handsome Harry Stinson ans Mikrofon, der nun zeigen kann, was für ein fantastischer Sänger er ist. Zuerst führt er äußerst gekonnt durch Woody Guthries „Pretty Boy Floyd“, um dann, sich an der Gitarre begleitend, den Roger McGuinn / Bob Dylan Klassiker „The Ballad Of Easy Rider“ zum Besten zu geben. Wenig später eröffnet Stuart dem Publikum, dass At Folsom Prison immer noch sein Lieblingsalbum von Johnny Cash sei, und er rührt die Zuhörer mit einer schönen Version des darauf enthaltenen Glen Sherley Songs Greystone Chapel.

Später spielt Stuart allein eindrucksvoll den Train Song Klassiker Orange Blossom Special auf der Mandoline und erzählt zuvor, wie er einst noch jung dessen Schöpfer in Florida traf. Das reguläre Set beendet die Band mit „Time Don’t Wait“ vom letzten Album Way Out West von 2017. Als Zugabe folgt neben Kenny Vaughans „Country Music Got A Hold On Me“, nach der Frage ans Publikum, was man noch gerne hören wolle, auch Tom Pettys „Runnin’ Down A Dream“. Als Gänsehautmoment zum Abschluss steigt die Band von der Bühne und begibt sich mitten ins Kirchenschiff, um dort sparsam instrumentiert, ganz ohne Verstärkung fast A cappella den Gospelsong Heaven anzustimmen. Holy moly, what a fantastic show!

Ich bin mir sicher, wären Gottesdienste ähnlich wie dieser göttliche Trip durch die amerikanischen Musiktraditionen von Folk, Country, Bluegrass, Rock’n’Roll, Blues und Gospel mit einer pikanten Prise Surf, unsere Kirchen wären immer voll. Bleibt zu hoffen, dass dieses einzigartige und kostbare Ereignis nicht für immer einmalig bleibt und dass Marty Stuart, Cousin Kenny, Professor Chris Scruggs und Handsome Harry wieder zu uns zurückkehren, denn eines ist klar: Wer diese Show erlebt hat, kauft beim nächsten Mal wieder Tickets und sagt all seinen Freunden, dass sie mitkommen sollen, wenn es heißt Country Music is back in town!

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Über Oliver Kanehl (55 Artikel)
Redakteur. Fachgebiet: Traditionelle Countrymusik von vorgestern und heute (Indie Country, Hillbilly, Honky Tonk u.a.) Rezensionen, Specials.
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