Shania Twain: Up!
Geht es mit ihr munter so weiter wie in den vergangenen Jahren? Dann würde der Titel ihres aktuellen Albums ganz klar die Richtung angeben: Up– nach oben also. Fragt sich, ob das denn überhaupt noch möglich ist, wo die Dame doch inzwischen alle Rekorde für Verkaufszahlen von Sängerinnen der Unterhaltungsmusik gebrochen hat. Runde 85 Millionen verkaufter Exemplare verteilt auf drei Alben – das kann sich sehen lassen! Damit hat Shania Twain sich die Messlatte für das neue Projekt ganz schön hoch gelegt. Aber man darf sicher sein, dass sie hinreichend Beachtung in den Medien finden wird und damit genügend Werbung für „Up“.
Alle Welt wartet natürlich angespannt und neugierig auf das neue Album einer so erfolgreichen Künstlerin, zumal sie sich dafür 5 Jahre Zeit nahm. Sie selbst und Ehemann Mutt Lange, der gleichzeitig auch Produzent, Arrangeur und Co-Autor der Songs ist, verstehen es geschickt, die Werbetrommel in eigener Sache zu rühren. Zugute kommt ihnen dabei, dass Shania Twain eine ausnehmend hübsche und fotogene Frau ist, die ihre äusserlichen Vorzüge vorzügig in Szene zu setzen versteht, ohne dabei die Grenzen des guten Geschmacks zu überschreiten.
Shania Twain findet sich seit etlichen Jahren auf der Sonnenseite des Lebens. Sie ist ein Megastar, der mit genau dem erfolgreich ist, was sie leidenschaftlich gern tut. Dazu hat sie offenbar mit Mutt Lange den idealen Lebenspartner gefunden, mit dem sie inzwischen auch das Glück teilt, Eltern eines eigenen Kindes zu sein. Das sah nicht immer so in ihrem Leben aus. Sie kennt auch die Zeiten , in denen man jeden Cent umdrehen musste, ehe man ihn ausgab. Früh in ihrem Leben musste sie sich den .harten, mitunter gnadenlosen Fakten des Lebens stellen. Vielleicht kam ihr dabei sogar eine gewisse jugendliche Unbekümmertheit zugute. Nach einem schweren Autounfall stand sie plötzlich ohne Eltern da und musste sich mit ihren Geschwistern irgendwie durchschlagen.
Geholfen dabei hat ihr die Musik. Die half einerseits über den Schmerz und die beinahe Aussichtslosigkeit der Situation hinweg. Ausserdem konnte Shania Twain damit dann sogar dringend benötigtes Zubrot verdienen. Schon damals gab es Leute, die das aussergewöhnliche Talent dieses Teenagers ahnten oder gar erkannten. Aber es fand sich -noch- niemand, der es verstanden hätte, dieses Talent richtig in Szene zu setzen. Als die Kanadierin bei Mercury unterschrieb, wusste auch das renommierte Label mit seiner Fachabteilung in Nashville nicht, welcher Rohdiamant ihnen da an den Angel gegangen war. Die ersten Aufnahmen waren so etwas wie ein Versuchsballon und wurden mit denen einiger anderen Newcomer auf einer gemeinsamen CD ins Rennen geschickt. Es nahm kaum jemand Notiz davon – wer dieser zwar hübschen Sängerin mit dem so fremdartig klingenden Namen eine Welt-Karriere vorausgesagt hätte, wäre als Phantast beschimpft worden.
Es sollte einem Mann vorbehalten bleiben, aus Shania Twain den Star zu machen, der sie bis dahin lediglich im Video gesehen hatte. Gut, er war zwar Produzent aber selbst dann muss man ein ausgeprägtes Feingefühl haben, lediglich anhand eines Videos so erkennen, dass und wie man aus der Sängerin den Erfolg kitzeln kann. Mutt Lange, um den handelt es sich hier natürlich, meldete sich bei Mercury, einigte sich rasch mit den Verantwortlichen dort und damit nahm ein Wahrheit gewordenes modernes Märchen seinen Lauf. Mercury hat später offen zugegeben, dass sie froh über das Angebot Lange´s waren, weil sie für Shania Twain absolut kein Konzept hatten.
Nun gut, Shania Twain ist unterdessen der Country-Gemeinde längst entwachsen. Sowohl was ihre Bekanntheit angeht vor allem aber auch hinsichtlich ihrer Musik. An ihr entzünden sich regelmässig endlose und in meinen Augen unnötige Diskussionen. Nicht welchen Namen man einer Musik gibt ist wichtig sondern ob sie bei den Menschen ankommt und damit gefällt. Zumindest darüber kann es keine zwei Meinungen geben.
Mit grossem Geschick und ebensolchem Geschäftssinn geht das „Unternehmen Shania Twain“ hier inzwischen zu Werke und macht sich dabei die mannigfaltigen Möglichkeiten moderner Technik zunutze. Man produziert auf den jeweiligen Markt speziell zugeschnittene Alben. So wurden für Nordamerika noch deutlich hörbare Elemente der Country Music eingebaut, auf die man für den europäischen Markt verzichtete. Wen wundert es da, dass man die Behauptung, Shania Twain mache moderne Country Music, nicht ernst nahm. An der Strategie geändert hat es auch nicht. Wozu auch, wenn sich ein Produkt so verkauft wie beispielsweise „Come On Over“, ihr letztes Album von 1997.
Mit ihrem aktuellen Album ging man sogar noch einen Schritt weiter und deutet damit an, welche Möglichkeiten sich auftun, wenn man danach sucht. Das Album „Up“ enthält sagenhafte 19 Songs und kommt auf eine Spieldauer von über 75 Minuten. Allesamt neue Songs und aus der eigenen Songschmiede. Versehen mit dem inzwischen zum Gütesiegel gewordenen „Twain-Touch“. Stimme und Sound sind weiterhin unverkennbar. Sie gibt richtig Gas, setzt auf Rhythmus hat aber auch Balladen und damit etwas ruhigere Stücke im Angebot. Inhaltlich greift sie Themen aus dem Alltag auf, die man sich beim Frisör ebenso erzählt wie beim Treffen mit der Nachbarin auf dem Aldi-Parkplatz. Oder über die man in besinnlichen Stunden am heimischen Kamin bei Kerzenlicht sinniert. In einem Satz ausgedrückt: zentrales Thema ist die Liebe. Die man erfährt, nach der man sich sehnt, vor der man Angst hat, die man nicht versteht oder zu spät erkennt. Wir wissen alle wie unerschöpflich dieses Thema ist.
Shania Twain hat auch an diejenigen gedacht, denen das Album möglicherweise zu modern, zu progressiv oder gar zu laut ist. Deshalb gibt es exakt die gleichen 19 Titel in einer abgespeckten, eher akustisch betonten Version. Und die gefällt mir deutlich besser. Denn da sind einzelne Instrumente wie Banjo, Fiddle, Mandoline und auch Steel Guitar viel deutlicher zu hören, das schafft eine intimere, dichtere Athmosphäre. Ein sicher sehr interessantes Experiment. Für Shania Twain war die alternative Fassung sehr wichtig, denn das bringt sie ein wenig zurück zu ihrem Wurzeln, die sie nicht vergessen kann, weil sie ihr einfach wichtig sind. Schön, wenn man sich so etwas erlauben kann – ein Album mit 19 Songs in zwei unterschiedlichen Versionen. Eine Referenz und ein Dankeschön auch an ihre Fans. Und wer kann es sich heute schon leisten, einfach 5 Jahre nichts Neues zu machen, sich in dieser Zeit reichlich Zeit für die Familie mit dem neugeborenen Sprössling zu nehmen, um dann bei der Rückkehr genau dort anzuknüpfen und fortzufahren, wo man zuvor aufgehört hat?
Fazit: Shania Twain ist ein Phänomen, das den Zenith offenbar noch nicht erreicht hat. Deshalb darf man davon überzeugt sein, dass ihr neues Album die Richtung angibt: „Up“.
Shania Twain – UP: Das 2002er Album
CD: Up! (Country Version)
Erscheinungsdatum: 2002
Label: Mercury
Trackliste: (Up)
01. Up!
02. I’m Gonna Getcha Good
03. She’s Not Just A Pretty Face
04. Juanita
05. Forever And For Always
06. Ain’t No Particular Way
07. It Only Hurts When I’m Breathing
08. Nah
09. (Wanna Get To Know You) That Good
10. C’est La Vie
11. I’m Jealous
12. Ka-Ching
13. Thank You Baby (For Makin‘ Someday Come So Soon)
14. Waiter! Bring Me Water
15. What A Way To Wanna Be
16. I Ain’t Goin‘ Down
17. I’m Not In The Mood (To Say No!)
18. In My Car (I’ll Be The Driver)
19. When You Kiss Me