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Jamey Johnson: The Guitar Song

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Nein, er passt so gar nicht in den Kanon der aktuellen Country-Stars. Stimmlich erinnert Jamey Johnson stark an David Allan Coe. Musikalisch bewegte er sich mit seinem letzten Album „That Lonesome Song“ deutlich im Fahrwasser von Waylon Jennings. Und auch optisch machen einen sein Bart und seine langen Haare glauben, er sei ein Nachkomme eben jener Outlaws der 1970er Jahre. Und nun legt er mit „The Guitar Song“ sein neuestes Werk vor, ein Album, das wie Jamey Johnson selbst in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert ist.

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Zunächst einmal fällt sofort auf, dass man es mit einer Doppel-CD zu tun hat. Wie bitte? Eine Doppel-CD? Ja, richtig gehört. Insgesamt 25 neue Titel präsentiert Jamey Johnson dem staunenden Country-Fan. Und die haben es in sich! Aber dazu später mehr. Dann fällt auf, dass er das Album mit seiner Band nicht nur eingespielt, sondern auch mit seinen Musikern zusammen produziert hat. Die Band trägt übrigens den Namen „Kent Hardly Playboys“, ein nettes Wortspiel. Aber das Gegenteil ist der Fall. Und dann stammen 20 der insgesamt 25 Songs aus der Feder von Jamey Johnson, teils alleine, teils in Co-Produktion verfasst. Und die fünf restlichen Songs sind sorgfältig ausgewählt und platziert. Bevor wir ins Detail gehen, sei Eines noch erwähnt: Dies ist keine CD, die man mal „so eben nebenbei“ hören sollte. Diese CD fordert und erfordert Aufmerksamkeit.

Das Gesamtalbum, aufgeteilt in zwei CDs, bringt auch eine klare Trennung. Es beginnt mit dem „Black Album“, der schwarzen, düsteren CD. Und die beginnt mit einem Kracher, einem bisher nicht aufgenommenen Song, den Keith Whitley verfasst hat. „Lonely At The Top“ begeistert mit einer fetten Steel Guitar, gespielt von „Cowboy“ Eddie Long, den man aus der „Bama Band“ von Hank Williams, Jr. kennt. Zwei Männer treffen in einer verrauchten Bar aufeinander, und der Country-Star klagt dem Anderen sein Leid. Und während der Country-Star den armen Säufer auf einen Drink einlädt, antwortet dieser „Ich nehme einen Doppelten, und wenn Du eine Zigarette hast, rauch ich auch eine.“ Schließlich gibt er dem Star den Hinweis mit auf den Weg, „Es mag an der Spitze einsam sein, aber am Boden ist’s richtig scheiße.“ Dann bricht alles über dem Erzähler zusammen.

Im zweiten Song „Cover Your Eyes“ verabschiedet er sich nur am Telefon von seiner Frau, die offenbar ein reicherer Mann abspenstig gemacht hat, wie der dritte Song, „Poor Man’s Blues“, verrät. Danach folgt der Vern Gosdin-Klassiker „Set ‚em Up Joe“, perfekt platziert, denn so einfach kommt er wohl doch nicht über die gescheiterte Beziehung hinweg. Man merkt schon, das Album erzählt eine durchlaufende Geschichte, und diese Geschichte ergibt sich durch die Anordnung der Songs zueinander. Nach dem Song „Playing The Part“, wohl ein Verweis auf seine Rolle in der Reality Soap „Nashville“, auf die Jamey Johnson nicht mehr gerne angesprochen wird, folgt mit „Baby Don’t Cry“ eine ergreifende Nummer. Der Vater versucht, seine weinende Tochter am Telefon zu trösten. „Wenn Du Deinen Papa brauchst, ruf mich an, und ich fliege zu Dir, so schnell ich kann, und halte Deine Hand“. Erinnerungen an Steve Earles „Little Rock’n‘ Roller“ vom Album „Guitar Town“ werden wach. Beide Songs sind für mich Meisterwerke!

Nach „Heaven Bound“ folgt mit „Can’t Cash My Checks“ ein Song, bei dem mich eine Zeile gepackt hat: „It’s so hard to stay honest in a world that’s headed to hell / You can’t make a good living these days ‚cause the truth just won’t sell“. Ich habe mich gefragt, ob er diese Zeilen wohl über das Country Music Business in Nashville heutzutage geschrieben hat. Die Erinnerung an die verlorene Liebe holt ihn in „That’s How I Don’t Love You“ ein, gepaart mit der Erkenntnis, dass die Erinnerung an diese Liebe verlorene Zeit ist. Dann folgt das, was jetzt kommen muss: „Heartache“. „Du siehst mich nie kommen, ich überrasche Dich immer … Du weißt noch nichts davon, aber Dich spar‘ ich mir für später auf, wenn Du allein zu Hause bist“. Und jetzt kommt mit „Mental Revenge“, geschrieben von Mel Tillis, ein alter Waylon-Song, der genau hier richtig passt. Purer Sarkasmus. Alles Schlechte wünscht er ihr, „und wenn der Vorhang fällt, soll er auf Dich fallen“. Jamey Johnsons Version ist deutlich dunkler von der Atmosphäre her als die 1960er Jahre Version von Waylon Jennings, aber ebenso faszinierend. Und wieder einmal zeigt sich, ein guter Song ist ein guter Song. „Even The Skies Are Blue“ beschließt das schwarze Album. Ein gekonntes Wortspiel. Bei allem Schlechten, das es zur Zeit in der Welt gibt, „Wir alle wissen doch, wie man einen besseren Tag macht, warum versucht es denn keiner? Die Sonne könnte scheinen, aber sogar der Himmel ist traurig“. Diese CD macht nachdenklich, sie zieht den Hörer in ihren Bann. Aber so kann die Geschichte nicht enden. Und diese Erkenntnis führt uns zum „White Album“, dem weißen, optimistischeren Teil von „The Guitar Song“.

Wer jetzt aber eine lustige, leichte CD erwartet, sieht sich auch hier getäuscht. Denn der Optimismus ist zwar da, aber er ist nicht so stark ausgeprägt, dass man jetzt mit Jubelarien rechnen müsste. „Das Leben ist keine Probe, mein Junge, Du bekommst nur eine Chance, und Du wirst das noch lernen …“ – „By The Seat Of Your Pants“, so heißt dann der Auftakt zur zweiten Runde. Hatten wir schon in „Playing The Part“ gelernt, wie wenig es Jamey Johnson in Hollywood gefällt, so bekräftigt er dies nochmal mit „California Riots“: „Die Frauen hier sehen perfekt aus, und es regnet fast nie … aber ich soll verdammt sein, wenn dies der Ort ist, an dem ich sterbe“.

In „Dog In The Yard“ ist die Frau wieder da, die ihn wie einen Hund im Hof behandelt – „Du kratzt mich und Du streichelst mich, Du kämpfst mit mir, und lässt mich gewinnen … ab und zu“. Und jetzt kommt der beeindruckendste Song des Albums, der Titelsong. Zwei Gitarren, die in einem Pfandhaus an der Wand hängen, erzählen aus ihrer Vergangenheit. Die eine (gesprochen von Bill Anderson) hat 1967 einige Shows mit Merle Haggard gespielt, und jetzt sind die Saiten etwas rostig, die Gitarre etwas staubig, „aber komm doch vorbei und hör Dir meine Songs an“. Die Andere hat mindestens eine Million von diesen verrauchten kleinen Bars gesehen, einigen Herzschmerz geheilt und dabei geholfen, Bier zu verkaufen, aber der letzte Besitzer wollte sie wohl schnell loswerden, und nun hängt sie hier und fragt sich, ob sie jemals wieder die Leute mitsingen hören wird. Beide sehnen sich danach, bei irgendwem zu Hause zu landen, der sie wieder leben lässt und auf einer spielt. Wer wäre besser geeignet dafür als ein Songwriter? Und der sagt in „That’s Why I Write Songs“, „Du suchst nach der perfekten Zeile, die Du sagen könntest, aber du bist nicht so wortgewandt, deshalb schreibe ich Songs“. „Ich weiß noch, ich wäre fast weg geflogen, als ich einen Song spielte, und ein ausgewachsener Mann fing an zu weinen. Es war genau in diesem Moment, als ich erkannte, wozu ich geboren war“. Beeindruckend.

Weiter geht’s mit „Macon“, was schon vor der Veröffentlichung des Albums zu hören war. „Ich muss zurück nach Macon … und je schneller ich fahre, umso mehr weiß ich, was es heißt, zu lange zu warten“. Dann folgt mit „Thankful For The Rain“ einer der für mich schönsten Titel der CD, wenn auch sehr dunkel und traurig: „Du begrüßt mich wie einen verloren geglaubten Freund, und spielst auf mir wie auf einer alten Violine … Du kommst und Du gehst wie ein Sturm über der Küste, und erwartest, dass ich dankbar für den Regen bin.“ Ein tiefgehender Song. Eigentlich hat man solche Songs seit den großen Zeiten von Waylon Jennings und Johnny Paycheck nicht mehr gehört. Travis Tritt hat Songs mit solchem Tirfgang geschrieben und überzeugend gesungen, allerdings nicht mit der direkten Brutalität eines Jamey Johnson, sondern subtiler, feinfühliger. „Good Morning Sunrise“ ist ein ebenso wunderbarer Song, der dem Repertoire von George Jones oder David Allen Coe entnommen sein könnte, mit einer kurzen, aber deutlichen Verneigung vor Willie Nelson im Solo. Musiker nennen sowas ein „Zitat“, und es ist ein Zeichen des Respekts. Jamey Johnson weiß genau, in welchem Terrain er sich bewegt, und zögert nicht, sich vor denen zu verbeugen, denen er diesen Respekt entgegenbringt. Eine Qualität, die man nicht genug würdigen kann!

Mit „Front Porch Swing Afternoon“ kommt die Welt zum Stehen, für einen kurzen Nachmittag. „Ich sitze hier und zähle die Autos, die vorbeifahren. In der letzten Stunde müssen es eines oder zwei gewesen sein … Ich höre Musik von irgendwo drinnen, den verblassenden Sound eines alten Hank Williams Songs … der Traktor dort drüben setzt Staub an … ich sehe Großmutter in ihrem alten karierten Kleid.“ Die Zeit steht still, man sieht die Szene vor seinem Auge, alles, was im Song beschrieben wird. Das ist Songwriting vom Allerfeinsten, er malt mit Worten ein Bild, das ein Maler nicht plastischer und schöner auf eine Leinwand bringen könnte. „I Remember You“ ist ein Dialog mit Gott. „Ich erinnere mich an Dich, aus den Seiten eines Buches, das mir eine Frau vorgelesen hat … ich habe mich mit jedem einzelnen Wort befasst und es in meinem Herzen vergraben, wie Du mir gesagt hast“. Und Gott antwortet, „Ich erinnere mich an Dich, ich war da, als Du geboren wurdest, ich hielt die Hand Deiner Mutter, und Deines Vaters … ich erinnere mich an den Tag, an dem Du Dich gegen den Teufel gewehrt und meinen Namen laut gerufen hast“. Mit klarem Kopf stellt der Erzähler dann fest, „Good Times Ain’t What They Used To Be“. „Ich dachte, Jack Daniels wäre der Tee des arbeitenden Mannes. Er war das Fenster zu dem Leben das ich führte … heute träume ich … vom süßen Tee meiner Liebsten … und danke Gott, dass die guten Zeiten nicht mehr das sind, was sie mal waren“.

Dann folgt Kris Kristoffersons „For The Good Times“, der Abschied von der verlorenen Liebe, mit klarem Gedanken, wenn auch nicht für lange Zeit, denn der letzte Song „My Way To You“ zieht den Erzähler zurück in die Welt, der er erst vor kurzem entflohen war: „Ich gehe den falschen Weg, ich lebe nach den falschen Leitlinien, ich jage Träumen nach, die nie wahr werden. Ich suche nach den richtigen Zeichen, reite die weißen Linien ‚runter, und versuche, meinen Weg zu Dir zu finden“.

Fazit: Ich halte dieses Album für ein grandioses Meisterwerk, einen Meilenstein. In den USA wird bereits von Grammy-Nominierungen gesprochen, das Album stieg auf Platz Nr. 1 in die Billboard Country Album Charts ein. Es ist ein Album, das völlig anders ist als (fast) alles Andere, was aus Nashville zu uns kommt. Es ist kein Album, das man auflegt, um eine Party zu feiern und unbeschwert zu tanzen. Es ist vielmehr Musik, die uns auffordert, zur Ruhe zu kommen und zuzuhören. Und es ist ein Album, das hoffnungslose Träumer wie mich daran glauben lässt, dass wenigstens Einige in Nashville noch wissen, was Country Music wirklich war, für was sie stand, und was sie hoffentlich immer noch ist.

   
The Guitar Song
Doppel-CD: „The Guitar Song“
Veröffentlicht: 2010
Label: Mercury Nashville (Universal)

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Trackliste: (CD 1)

01. Lonely At The Top
02. Cover Your Eyes
03. Poor Man Blues
04. Set ‚em Up Joe
05. Playing The Part
06. Baby Don’t Cry
07. Heaven Bound
08. Can’t Cash My Checks
09. That’s How I Don’t Love You
10. Heartache
11. Mental Revenge
12. Even The Skies Are Blue

  Trackliste: (CD 2)

01. By The Seat Of Your Pants
02. California Riots
03. Dog In The Yard
04. The Guitar Song
05. That’s Why I Write Songs
06. Macon
07. Thankful For The Rain
08. Good Morning Sunrise
09. Front Porch Swing Afternoon
10. I Remember You
11. Good Times Ain’t What They Used To Be
12. For The Good Times
13. My Way To You

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Über Bernd Wolf (146 Artikel)
Redakteur. Fachgebiet: Johnny Cash, Singer & Songwriter. Rezensionen und Biografien.