Eric Church: The Outsiders
Eric Church hat an seinem Ruf als Bad Boy der New-Country-Szene konsequent gearbeitet. Nachdem er im Jahr 2006 wegen Zeitüberschreitung als Opening Act der Rascal-Flatts-Tour entlassen wurde und sich später mit abfälligen Bemerkungen über diverse Castingshows den Unmut einiger Kollegen zugezogen hatte, folgte mit der aktuellen Leadsingle „The Outsiders“ die nächsten Provokation auf dem Fuß. Sein brachialer und kontrovers diskutierter Live-Auftritt im Rahmen der letztjährigen CMA-Music-Awards fügte sich in diese Imagebildung nahtlos ein.
Doch Eric Church hat noch eine andere Seite, von der die Countryszene heute und in Zukunft enorm profitieren könnte. Es ist die Seite des innovativen Rockpoeten, der auf den Wurzeln der Outlawbewegung um Cash, Haggard und Nelson um eine Grenzerweiterung des Countrybegriffes bemüht ist.
Neben dem Megaseller „Springsteen“ haben Songs wie „Like Jesus Does“, „Creepin'“, „Homeboy“ oder „Country Music Jesus“ diesbezüglich einige Türen geöffnet und dem 2011er Album „Chief“ Kultstatus beschert. Im Gegensatz zu manchen Kollegen, die im Jahresrhythmus mit neuen und doch bekannt klingenden Alben auf den Markt kommen, hat sich der Modern-Outlaw aus North Carolina mit der Veröffentlichung seines 4. Studioalbums rund zweieinhalb Jahre Zeit gelassen. Zeit genug, um den aktuellen New-Country-Trend auf sich wirken zu lassen und diesem den nächsten church-typischen Entwicklungsschub entgegenzusetzen.
Kurzum: Eric Church präsentiert mit „The Outsiders“ ein Album, das innerhalb der Szene Seinesgleichen sucht und so ziemlich Nichts von dem hat, was im Country-Radio gegenwärtig zu hören ist. Präsentiert wird ein variables Wechselspiel zwischen rockbasierten Tunes, reduzierten Balladen und modernen Crossovertracks, die in keine Schublade zu passen scheinen. Eric Church lässt die Giftküche sprudeln und fügt seinen Songs innovative Ecken und Kanten bei, ohne deren Grundmelodik zu zerstören. Jeder der 12 Albumtracks ist für sich genommen ein Statement, mit dem Church sein Image als Grenzgänger zwischen Genie und Wahnsinn weiter bekräftigt.
Die Leadsingle „The Outsiders“ bietet mit ihren monumentalen Backgroundchören im Refrain und der schrägen Gitarrenarbeit alles was eine Stadionrockhymne so braucht, performt von einem Interpreten, der seine Crowd in einem Wechselspiel aus Rapper, Prediger und Drill Instructor auf sich einschwört. Kaum ist das Metaloutro verklungen, wird der Hörer auf „A Man Who Was Gonna Die Young“ von einer tiefsinnig-leisen Country-Ballade aufgefangen, die die astronomische Bandbreite des Mannes aus Granite Falls offen legt. „Cold One“ läuft unter der Kategorie „Selbstversuch mit ungewissem Ausgang“, in dem Country-Elemente mit Spuren von Funk, Bluegrass und Rock höchst originell gemixt werden.Textpassagen wie „She had her feet upon the cooler, as she set our love on ice“ zeugen von einer ausgeprägten Alltagsironie, die Churchs Lyrics immer wieder begleiten. Das popbasierte „Roller Coaster Ride“ ist neben der aktuellen Single „Give Me Back My Hometown“ der wohl einzige Track, der ohne große Schnörkel und mit viel Ohrwurmschmalz als Radiosingle erfolgreich sein dürfte. Es folgt „Talladega“, eine Hommage an die für ihren NASCAR-Superspeedway bekannte Kleinstadt in Alabama, in der Eric Church den Countrypoeten erneut überzeugend zur Schau stellt. Das swampy & bluesy arrangierte „Broke Record“ ist ein Crossover-Sahnestück, das ob seines dichten Soundgeflechts verbunden mit einer „catchy hook“ echtes Suchtpotenzial auslöst.
Während andere New-Country-Alben ab der zweiten Hälfte ihres Verlaufes langsam in die Füllmaterialkiste greifen, legt Eric Church ab dem 7. Song die Messlatte nochmals höher. „Like A Wrecking Ball“ zählt zu den überzeugendsten Country-Blues-Mixturen der jüngeren Vergangenheit – überragend instrumentiert und mitfühlend interpretiert. Bei der Wahl des besten Albumsongs würden Rockfans womöglich für Song Nr.8 „That’s Damn Rock’n’Roll“ stimmen – ein Powertrack, der eine fast hymnische Energieentladung in sich trägt. Doch ungeachtet der bisherigen Lobeshymnen darf das was danach folgt schlichtweg als Geniestreich bezeichnet werden. In der Trilogie „Dark Side“ / „Princess Of Darkness“ / „Devil, Devil“ nimmt Eric Church seine Jünger mit auf einen 14-minütigen Unterwelttrip, der so manchen Hörer in eine Art Soundhypnose versetzen dürfte. Dabei lässt der Country-Rebell in der gesprochenen Mittelsequenz nichts unversucht, um mit dem Nashviller Establishment ins Gericht zu gehen. Die Grenzen des Country werden musikalisch aufgelöst und lassen Erinnerungen an die Soundmystik der 80er-Jahre mit floydianischen Einflüssen aufleben. Nach Ende dieses düsteren Schaustücks und der fast schon versöhnlichen aktuellen Single „Give Me Back My Hometown“ bleibt nur noch der musikalische „Joint“, mit dem der Zeremonienmeister aus den Smoky Mountains seine Gemeinde in den finalen Entspannungszustand versetzt.
Am Ende dürfte es jedem Eric-Church-Fan schwerfallen, der dichten variantenreichen Soundkomposition von „The Outsiders“ nicht zu verfallen. Das Album besitzt zudem die schaurig-schöne Eigenschaft, selbst churchkritische Hörer tief in die musikalische Outsiderwelt zu entführen und damit zum Insider werden zu lassen.
Fazit: Eric Church hat mit Unterstützung seines kongenialen Produktionspartners Jay Joyce auf „The Outsiders“ die hohe Qualität des Vorgängers „Chief“ durch experimentelle Einlagen („Cold One“, „Broke Record“, „Devil, Devil“) nochmals steigern können. Dabei betreibt er eine bewusste Gratwanderung zwischen Innovator und Provokateur. Inwiefern der Seitenhieb in Richtung Music City seiner Imagebildung nützt bzw. schadet, bleibt abzuwarten. Sowohl Fans aus dem traditionellen Countrylager als auch Anhänger der „Drink In My Hand-Fraktion“ könnten sich aufgrund der freaky tunes und unangepassten Textbotschaften in der Tat ausgeschlossen fühlen. Andererseits besitzt dieses kleine Meisterwerk rein musikalisch alle Qualitäten, um Eric Church zur stilerneuernden Kultfigur des Country-Rock aufsteigen zu lassen.
Das aktuelle Album The Outsiders von Eric Church – Bestellen, Format, VÖ. und Label:
Künstler / Albumtitel: Eric Church – The Outsiders Format / Label / Veröffentlicht: CD & Digital (Capitol, Universal, 2014) |
Trackliste:
01. The Outsiders |