Jason Aldean: Old Boots, New Dirt
Der Name Jason Aldean hat in der Countryszene einen besonderen Klang. An ihm reiben sich Vertreter der „reinen Lehre“ und Crossover-Anhänger gleichermaßen, wenn es um die Zukunft des allseits geliebten Genres geht. Von den einen wird der Country-Rocker aus Georgia seit seiner erfolgreichen Rap-Mixtur mit „Dirt Road Anthem“ als Initiator des Bro-Country-Trendes kritisiert, während die anderen genau diese Grenzerweiterung als notwendigen Schritt zur Etablierung der modernen Countrymusik ansehen.
Abseits dieser Diskussion sprechen die Fakten für den Mann aus Macon, der sich als erfolgreichster Country-Künstler der digitalen Download-Ära feiern lassen darf. Neun Millionen verkaufte Alben alleine in den USA, 12 Nummer-Eins-Singles und eine erfolgreiche Headliner-Stadiontour haben den stämmigen Southern Guy seit seinem Debüt im Jahr 2005 zum Event-Star der modernen Country-Szene werden lassen. So war es wenig verwunderlich, dass Mitte diesen Jahres nach Abklingen des platindekorierten, fünften Studioalbums „Night Train“ die neue Leadsingle mit hohen Erwartungen bedacht wurde.
Wahrscheinlich ging es mir wie vielen anderen Countryfans, als ich im Rahmen meines Kalifornienurlaubes die Radiopremiere von „Burnin‘ It Down“ gespannt und irritiert zugleich mitverfolgen durfte. Was war das? Statt der Aldean-typischen Rockriffs gab es sanfte Drum-Loops mit einer R&B-stylishen Melodie. Countryelemente waren Fehlanzeige und anstelle der gewohnten rockbasiertenTempoverschärfung behält dieser ungewöhnlich zähflüssige Song sein chilliges Grundmuster bis zum Ende bei. Kaum denkbar, dass dieser stimmentfremdete, musikalische Tranquilizer nun die nächste Entwicklungsstufe auf der Leiter des modernen Country sein sollte.
Heute, mehr als zwei Monate später, sind wir schlauer und dürfen Jason Aldean zur schnellsten Platinauszeichnung des laufenden Jahres gratulieren. Auch das Countryradio hat diesen „musikalischen Seitensprung“ mit offenen Armen aufgenommen und unter die Top 3 der Airplaycharts gebracht. Zugegebenermaßen geht dieser Song, gleich ob Country oder nicht, nach mehrmaligem Hören tatsächlich ins Ohr und entwickelt einen Flow, dem sich der geneigte Zuhörer so ohne Weiteres nicht entziehen kann. Vor dem Hintergrund dieses erneuten Cross-Over-Erfolges bleibt die spannende Frage, ob das nun erschienene sechste Studioalbum „Old Boots, New Dirt“ diesen Faden aufnimmt oder nach dem Motto „Alter Wein in neuen Schläuchen“ den kernigen Country-Rock-Style der Vorgängeralben weiterführt.
Der Titel deutet in seiner Symbolik schon mal an, dass sich Jason Aldean der Countryszene weiter zugehörig fühlt. Analog zu den beiden Vorgängeralben präsentiert der Mann mit dem Resistol-Hat 15 Songs, die aus der Feder etablierter Szenesongwriter wie Neil Thrasher, Wendell Mobley und David Lee Murphy stammen. Produzent ist wie üblich Aldean-Entdecker und -Mentor Michael Knox.
Stilistisch darf man die Leadsingle getrost als Ausrutscher bezeichnen, da Jason Aldean schon mit den ersten Tönen von „Just Gettin‘ Started“ in die sicheren Countryrockgefilde hineinsteuert. Der typische Arenasound ist sofort da und bewegt sich von den reduzierten Strophen in einen Powerchorus, der an bekannte Passagen aus dem „Night Train“-Album erinnert. Dieses Strickmuster von midtempobasierten Live-Rock-Hymnen wiederholt sich auf weiteren Songs wie „Show You Off“, „Laid Back“ oder dem Titelsong „Old Boots, New Dirt“.
Interessant wird es immer dann, wenn das Tempo variiert wird. Auf der Powerballade „Tryin‘ To Love Me“ überzeugt der 37-jährige mit einer wunderbar-intensiven Vocalperformance, die in einem schmachtenden Refrain ihren Gipfel findet. Auch das thematisch originelle „If My Truck Could Talk“ (Gruß an Kenny Chesneys sprechenden Bus) oder die Trennungsballade „Don’t Change Gone“ sind solide Songs, mit denen Aldean emotionale Stärke unter Beweis stellt. Das Meisterstück unter den Slow-Songs ist „Tonight Looks Good On You“. Dieser Track ist von Anfang bis Ende perfekt inszeniert, emotional nicht überladen und entfaltet dennoch volle Wirkung. Tempoverschärfungen finden sich auf dem gefällig-rockigen „Sweet Little Something“, dem ungezähmten „I Took It With Me“ oder dem als Single geeigneten, variablen „Gonna Know We Were Here“.
Nachdem die letzten Töne des melancholischen Bekennersongs „Two Night Town“ verklungen sind, bleibt das Gefühl zurück, dass Jason Aldean die in „Burnin‘ It Down“ angedeutete Stiländerung letztlich vermeidet, um die auf soliden Countryrock aufgebauten Erfolge der Vergangenheit fortzusetzen. Wer das überzeugende „My Kinda Party“ und den teils originellen Nachfolger „Night Train“ kennt, dem dürfte abseits der Hard-Core-Fangemeinde die ein oder andere Mangelerscheinung überkommen. Die überragenden Melodien fehlen, ebenso hätte ein Duett zur Auflockerung des Aldeanschen Soundschemas gut getan.
Fazit: Jason Aldean ist der Stadionrocker-Nr.1 unter den Countryinterpreten und diesen Status hat er mit „Old Boots, New Dirt“ weiter zementiert. Neben dem Exoten „Burnin‘ It Down“ sind mit „Tonight Looks Good On You“, „Sweet Little Something“ und „Gonna Know We Were Here“ eine Auswahl vielversprechender Singlekandidaten am Start. Auch wenn der erneute Charterfolg vorprogrammiert ist, bleibt die Frage, wie lange sich das treue Publikum mit den teils gelungenen Repliken aus den Vorgängeralben noch zufrieden gibt.
Künstler / Albumtitel: Jason Aldean – Old Boots, New Dirt Format / Label / Veröffentlicht: CD & Digital (Broken Bow Records 2014) Bewertung: 3 von 5 möglichen Punkten |
Trackliste:
01. Just Gettin‘ Started |