Mitreißend, packend, magisch! Old Crow Medicine Shows fantastische Dylan-Revue in Amsterdam
Die Old Crow Medicine Show feiert gemeinsam mit dem Publikum Bob Dylans "Blonde On Blonde" mit einem triumphalen Konzert in Amsterdam.
Es war die letzte Station auf ihrer kurzen Europa-Tour und es wurde ein Triumph. Die sechs Jungs von der Old Crow Medicine Show aus Nashville, Tennessee – Ketch Secor, Critter Fuqua, Kevin Hayes, Morgan Jahnig, Chance McCoy und Cory Younts – zelebrierten im ausverkauften Amsterdamer Paradiso „Blonde On Blonde“, das erste Doppelalbum der Rockgeschichte auf ihre eigene Art und Weise, und feierten damit auch ein großes Bob Dylan-Tribute. Es war ein denkwürdiger Abend.
Anlässlich des 50. Geburtstags des Albums und des 75. Wiegentags des Meisters selbst, spielten die Crows im vergangenen Jahr in der Nashville Country Hall of Fame and Museum live an zwei Abenden Dylans Album-Klassiker „Blonde On Blonde“. Die Live-Aufnahmen wurden nun Anfang des Jahres veröffentlich und die Tour dazu führte die Truppe um Ketch Secor und Critter Fuqua auch für eine Handvoll Konzerte nach Großbritannien und Holland.
Der säkularisierte Kirchenbau des Paradiso – eine der schönsten Konzert-Locations überhaupt, füllt sich an diesem Abend stetig, bis er endlich vollgepackt ist. Nach dem die Spannung beim Bühnenaufbau von den Roadies ordentlich ausgereizt wird, kommen die Crows dann doch ziemlich pünktlich gegen 20.30 Uhr auf die Bühne. Und zwar als Walking Act mit „Rainy Day Women #12 & 35“, Trommel und Pauke inklusive! Und damit ist der Rahmen für diesen Abend auch schon vorgegeben. Die Old Crow Medicine Show sind begeisterte und begeisternde Musikanten. Und so folgen zweieinviertel Stunden voller unbändiger Spielfreude, leidenschaftlicher Hingabe an das Songmaterial, an Bob Dylan und an das Publikum, vorgetragen in traumwandlerischer Sicherheit für die Historie sowie alle Ecken und Winkel des weiten Americana-Genres.
Dylan-Enthusiast Ketch Secor agiert zwischen den Nummern als Conférencier, der biographische Erinnerungen, launige Anekdoten und musikhistorische Anmerkungen zusammenbringt. Als Bob Dylan 1966 nach Nashville kam, ging es dort in der Musik, so Secor, um untreue Ehemänner und Frauen, die wissen, wo sie hingehören. Dylan revolutionierte Nashville durch seinen mit surrealer Songpoesie durchtränkten Folk-Rock und seine anarchische Arbeitsweise. Nachdem er in Nashville „Blonde on Blonde“ aufgenommen hatte, folgten ihm Neil Young, Leonard Cohen, Joni Mitchell und viele andere. Die Folkrocker veränderten die Countrymusik und am Ende war der Country-Rock geboren. Das aber, was die Crows an diesem Abend durch ihre Country-, Folk- und Bluegrass-Versionen der Dylan-Songs leisten, ist quasi die Rückführung der Dylan’schen Rock-Fruits zu ihren Folk-Roots. Denn lange bevor Nashville das gefährliche, waghalsige und tragische genauso wie das rebellische, anarchische und sozialkritische der frühen Folkmusik zur austauschbaren gefälligen Countrymusik eingehegt hatte, gab es in der amerikanischen Volksmusik den Rock’n’Roll-Funken, der Dylan auf eine Traditionslinie mit Fiddlin‘ John Carson, Charlie Poole und Woody Guthrie stellt.
Und so wird aus diesem Projekt der Crows eine musikalische und musikhistorische Sternstunde des Americana. „Visions Of Johanna“ wird zur Folkballade, das ursprünglich flotte, ein bisschen neunmalkluge „Sooner Or Later“ wird auf seinen traurigen Grundgehalt zurückgeführt und von Critter Fuqua voller Trennungsschmerz dargeboten „I Want You“ ist dann klugerweise lediglich die Bluegrass-Instrumentierung der Originalversion. Ketch erzählt dazwischen munter von seinem ersten Dylan-Konzertbesuch bei dem er nur vier Worte verstanden hätte: „Hey, Mr. Tambourine Man“. Kurze Zeit später hätte ihm dann eine Wahrsagerin prophezeit, er würde Bob Dylan niemals in seinem Leben treffen. Oder er erinnert sich daran, als er nicht ganz legal im Alter von 15 1/2 Jahren zusammen mit seinem Kumpel Critter im Auto der Mutter von Virginia nach New Jersey zum Dylan-Konzert aufgebrochen sei. Nur um am Ende festzustellen, dass der Meister an diesem Abend nicht ganz bei der Sache gewesen sei.
Absoluter Höhepunkt vor der Pause ist dann „Leopard Skin-Pill Box Hat. Wie Cory Younts tänzelnd und gestenreich den schmierig, derben Komiker gibt, der mit der Unterstützung der Band aus dem Dylan-Song eine anzügliche Vaudeville-Nummer macht, ist meisterhaft!
Nach der Pause ist Sonnenbrillen-Rockstar-Zeit und Ketch Secor zelebriert den coolen und rebellischen Dylan, der Mittsechziger. Dann fordert er die Leute wieder auf, ihre „Dancing Shoes“ anzuziehen, denn „Temporary Like Achilles“ gerät den Crows zu einem locker-luftigen Two Step. Und Secor nimmt dann in seinen Erzählungen den Faden wieder auf. Tatsächlich hat er Bob Dylan noch nie in seinem Leben getroffen, obwohl er sich mit ihm die Songrechte an „Wagon Wheel“ teilt“. Aber einmal gab es eine Berührung der Crows mit Dylan. Am Rande der Grammy-Verleihungen kam eine dunkle Gestalt mit Kapuze über der Baseball-Cap aus dem Nichts und trat hinter das damalige Bandmitglied Gill Landry und fragte heiser: „You are an old crow?“ „Ja“, antwortete dieser etwas eingeschüchtert. Woraufhin der Kapuzenmann ein freundliches „You boys are killing!“ krächzte. Wow, welch ein Lob vom Meister!
Nach einer wunderschönen Folk-Pop-Version von „Sad Eyed Lady Of The Lowlands“ erklatscht sich das mittlerweile hingebungsvoll-begeisterte Publikum einen Zugabenblock, der aus vier Songs besteht. Zuerst weht etwas Newport-Folkfestival-Atmosphäre durch den Saal, wenn die Band im Halbkreis an ein zusätzlich installiertes Mikro am vorderen Bühnenrand tritt und die Dylan-Klassiker „Knockin‘ On Heavens Door“ und „Blowin‘ in The Wind“ als Sing-Along intoniert. Noch lautstärker mitgesungen wird anschließend, als dann endlich der Riesenhit „Wagon Wheel“ ertönt. Die Stimmung im Saal ist nun schon seit geraumer Zeit am Kochen. Und die Crows lassen nicht locker und spielen als letzte Nummer eine schmissige Folk-Rock-Version von „Quinn, The Eskimo“ aka „Mighty Quinn“.
Mehr geht nicht an diesem Abend. Band und Publikum sind völlig euphorisiert. Die Crows haben mit ihrem „Blonde On Blonde“-Projekt einiges gewagt. Der Amsterdamer Triumph war der großartige Beweis: Sie haben alles gewonnen!
Setlist, Old Crow Medicine Show, Amsterdam, Paradiso, 30. Juni 2017
01. Rainy Day Women #12 & 35
02. Pledging My Time
03. Visions Of Johanna
04. One Of Us Must Know (Sooner Or Later)
05. I Want You
06. Stuck Inside Of Mobile With The Memphis Blues Again
07. Leopard-Skin Pill-Box Hat
08. Just Like A Woman
09. Most Likely You Go Your Way And I’ll Go Mine
10. Temporary Like Achilles
11. Absolutely Sweet Marie
12. 4th Time Around
13. Obviously Five Believers
14. Sad-Eyed Lady Of The Lowlands
15. Knockin‘ On Heavens Door (Zugabe)
16. Blowin‘ In The Wind (Zugabe)
17. Wagon Wheel (Zugabe)
18. Mighty Quinn (Zugabe)