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Bob Dylan: Trouble No More – The Bootleg Series Vol. 13 (1979-1981)

Die Fortsetzung der Bootleg Series führt uns diesmal in Bob Dylans umstrittenste Schaffensperiode. Es bleibt die Kritik an einem übereifrigen Konvertiten, doch bei seiner Musik und Performance gibt es Großartiges zu entdecken.

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Trouble No More - The Bootleg Series Vol. 13 Trouble No More - The Bootleg Series Vol. 13: Columbia (Sony Music)

In schöner Regelmäßigkeit werden aus Bob Dylans Archiv echte Pretiosen befördert. Die Bootleg Series hat uns schon so Diamanten wie „Tell Tale Signs“ oder „Another Self Portrait“ beschert, die entweder im ersten Fall Verstreutes endlich so ordneten, dass blinde Flecken in Dylans Werkgeschichte beseitigt werden konnten, oder gar im zweiten Fall zu einer Neubewertung einer Schaffensperiode führten.

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Letzteres war sicherlich auch ein Ziel der neuesten Veröffentlichung Trouble No More – The Bootleg Series Vol. 13 (1979-1981). Mit dreieinhalb Jahrzehnten Abstand eine Neubewertung und Versöhnung mit der Gospelphase? Und – Ziel erreicht? Ja und Nein möchte man dazu sagen. Um die unentschiedene Antwort zu erklären, setzen wir uns einfach mal in die Zeitmaschine und reisen zurück ans Ende der 1970er Jahre.

Das Ende der Gegenkultur

In den entwickelten westlichen Ländern begann in der Zeit der Anfang vom Ende der Gegenkultur. Die Hoffnung auf tiefgreifende progressive gesellschaftliche Veränderungen schwand zusehends. Dem kurzen Frühling Ende der 1960er und Anfang der 1970er mit Demokratisierung der Gesellschaft, Chancengleichheit und Bildungsreformen, getrieben von einer der Zukunft zugewandten protestierenden und in neuen Politik- und Lebens- und Kulturformen experimentierenden Jugend, folgte der Terrorismus (RAF in Deutschland, Rote Brigaden in Italien, die „Weathermen“ in den USA ) und der Herbst 1977 führte zur Zerschlagung der ersten und zweiten RAF-Generation, aber auch zum Abbau von Bürgerrechten und zu einem paranoid aufgeladenen politischen Klima. Zwar gewann in den USA mit Jimmy Carter 1976 ein Demokrat die Präsidentschaftswahl, doch seine Regierungszeit war gekennzeichnet von Pleiten, Pech und Pannen. Die neoliberale Zeitenwende durch Ronald Reagan kündigte sich dahinter schon an.

Demoralisiert verschanzte sich die westliche Protestgeneration in hermetisch abgeschlossenen Sekten- und Gedankengebilden oder versuchte in den bürgerlichen Instanzen Karriere zu machen. Offenheit war gestern. Die einen wurden linientreue Kader beim KBW, die anderen folgten dem Bhagwan, die dritten suchten beruflichen Erfolg. Man suchte nach der absoluten Wahrheit, man versuchte nur noch durchzukommen, man suchte Halt und Anpassung und nicht mehr gesellschaftliche Veränderung.

Bob Dylan, Teil und unfreiwilliges Sprachrohr dieser Generation, hatte nach einigen Jahren als braver Landmann und Familienvater Mitte der 1970 wieder den Rebellen und freien Künstler in sich entdeckt. Mit der Rolling Thunder Review versuchte er 1975/76 den Geist der Sixties wiederzubeleben. Es wird aber lediglich ein letztes, wenn auch beeindruckendes, Hurra für die amerikanische Gegenkultur. Als er dann sein Filmprojekt Renaldo & Clara in den Sand setzt und er und Sara 1977 sehr kostspielig für ihn geschieden werden, geht er 1978 auf große Welttournee. Die „Alimente-Tour“, wie sie auch oft genannt wird, ist besser als ihr Ruf. Dylan zeigt hier erstmals seine verblüffenden Fähigkeiten als Arrangeur. Er haucht seinen alten Songs mit einer Bigband und Background-Sängerinnen neues Leben ein. Doch das wollen gerade in Deutschland, die gutbürgerlichen Rebellionsnostalgiker nicht hören. Thomas Brasch hat dazu mit „Der Sänger Dylan in der Deutschlandhalle“ ein treffendes Gedicht geschrieben.

Dylan hat eine Erscheinung

Auch die Medien sind nicht Dylans Freunde, der Zeitgeist ist in eine ganz andere Richtung unterwegs. Dylan ist enttäuscht von der durchwachsenne Rezeption seiner Tour, die Erschöpfung ob der Anstrengung der Mammuttournee zollt ihren Tribut. Dylan ist im Spätherbst 1978 am Ende. Bei einem Konzert wird ihm ein Kreuz zugeworfen, das er entgegen seinen Gewohnheiten einsteckt. Einige Tage später hat er dann das Erweckungserlebnis. Er fühlt, Jesus ist im Raum. Der kriselnde und kränkelnde, demoralisierte und von Selbstzweifeln geplagte jüdische Sänger Bob Dylan hat im christlichen Gott seine feste Burg gefunden. Und folgt damit durchaus einem Muster seiner Generation. Nur statt K-Gruppe heißt der Halt hier Kirche.

Mit Feuereifer und Konsequenz verschreibt er sich dem neuen Glauben. Wird getauft, ist „Born again“ und studiert das Neue Testament bei der Vineyard Fellowship. Und wieder einmal spielt für eine Schaffensperiode Dylans eine Frau die mitentscheidende Rolle. Waren es Suze Rotolo und Joan Baez, die den jungen Folkie im Songwriting inspiriert und auf der Bühne protegiert hatten, und Sara seine Muse von 1965 bis 74, so ist nun die Schauspielerin Mary Alice Artes, die ihn sehr dabei unterstützt, zu konvertieren.

Dylans Christentum sorgt für Kontroversen

1979 veröffentlicht er sein Album „Slow Train Coming“ und geht auf US-Tour. Wird sein Album noch recht milde rezipiert, was an der starken musikalischen Unterstützung durch Produzent Barry Beckett und der Mitwirkung von Mark Knopfler von den Dire Straits liegt, ernten seine Konzerte massive, beißende Kritik. Denn er weigert sich nicht nur, seine alten Songs zu spielen, sondern er predigt auch auf der Bühne. Und er predigt keinesfalls den Gott der Versöhnung. Sondern den fundamentalistischen Gott der Strafe. Viele Fans sind entsetzt und wenden sich ab.

Diese bedrückende Neuausrichtung Dylans von Freigeist zum bigotten Prediger muss einfach bei der Einschätzung der damaligen Situation mitberücksichtigt werden. Daher ist es auch schwer zu verstehen, wenn der eine oder andere über „Trouble No More“ schreibt, dass es schade sei, das die Predigten nicht mit bei den Aufnahmen wären. Ich glaube, Dylan und sein Management wissen warum. Es ist besser so. Denn nur so können wir überhaupt einen unvoreingenommenen Blick bzw. ein Ohr auf die Musik der Gospelphase werfen.

Starke Live-Auftritte und berührende Ambivalenz seiner Songs

Und in der Tat. Selten war Dylans Performance so dynamisch, begeistert und begeisternd. Wohlgemerkt die musikalische Live-Performance auf der Bühne, die uns hier in Tondokumenten anheim gelegt wird. Und dabei nicht die inhaltlich eher trüben Songs wie „Slow Train“ oder „Gonna Change My Way of Thinking“ – er hat den Song vor wenigen Jahren erst einer totalen Textrevision unterzogen – sind die, die begeistern, sondern es sind die seltsam ambivalenten Songs wie „Precious Angel“, „I Believe In You“ oder „What Can I Do For You?“ Diese Songs berühren auch die Ungläubigen, weil sie emotional dadurch packen, dass sie nie genau verraten, ob sie an Gott oder eine Frau gerichtet sind. Auch der Autor dieser Zeilen konnte bei Dylan in dieser heiklen Phase bleiben, weil er sie stets als Liebeslieder an Frauen interpretiert hat.

The Retrospective Tour

Doch Dylan wäre nicht Dylan, wenn er sich länger in einem festen Weltanschauungsgebäude festhalten lassen würde. Bereits 1981 zeigen Liedthemen wie Konzert-Setlists, dass Dylan wieder offen ist für freiere Geisteshaltungen und seine alten Songs. So wird „Shot Of Love“ denn auch ein seltsam unfertiges, zusammengewürfeltes Übergangsalbum. Da taucht der jüdische subversive Komiker „Lenny Bruce“ neben „Property Of Jesus“ auf und das harmloses Liebesliedchen „Heart Of Mine“ neben dem epochalen und majestätischen „Every Grain Of Sand“. So langsam kämpft sich Dylan vorübergehend wieder heran. Doch die 1980er, das Jahrzehnt von Ronald Reagan und Michael Jackson, von Neoliberalismus und Peter-Pan-Eskapismus-Pop wurde nicht seines. Nach Ende des Abenteuers mit dem christlichen Fundamentalismus schien er seinen inneren künstlerischen Kompass verloren zu haben. Es sollte viele Jahre dauern, bis er ihn wiederfand.

Trouble No More

Der neue Teil der Bootleg Series enthält tolle Musik und gibt einen Eindruck von der Performance-Kraft Dylans in diesen Jahren. Die Songauswahl der 2er CD-Box, die dieser Besprechung zugrunde liegt, versucht einen Überblick über die drei Gospeljahre zu geben. Es sind vielerlei Konzertquellen, die diese Scheiben speisen. Das ist legitim und funktioniert auch teilweise recht gut. Doch es wäre sicher auch ein Versuch wert gewesen in dieser kompakten Darstellung oder wenigstens bei der de Luxe 8-CD(+1 DVD)-Box ein Konzert in Gänze abzubilden. Zumindest die Dylan-Performance, denn seine Mitmusiker und Background-Sängerinnen bekamen damals stets auch viel Platz für eigene Soli. Angeboten hätte sich das Konzert 1980 in Toronto, das musikalisch Maßstäbe gesetzt haben muss und wohl professionell vollständig in Ton und Bild mitgeschnitten wurde. Stattdessen erhält man den aus verschiedenen Konzertmitschnitten von 1979-81 zusammengestellten Konzertfilm „Trouble No More“ mit neu eingesprochenen religiös inspirierten Zwischentexten. Den Film sollte man sich dann doch bei Gelegenheit anschauen.

Fazit: Und so bleibt bei der Betrachtung des Projekts der Autor bei seiner Auffassung über diese Zeit. Sie brachte durchaus auch gute Musik hervor, aber sie hätte nicht sein müssen und es war gut, dass das dann auch mal ein Ende hatte. Und so dient dieses neue Bootleg Series-Projekt bei allem Engagement seiner Macher, letztlich vielen Dylan-Freunden als Komplettierung ihrer Sammlung, aber nicht unbedingt als Anlass einer Neubewertung der Gospel-Jahre. Und das ist doch auch nicht schlecht, oder?

Trouble No More – The Bootleg Series Vol. 13: Das Album

Trouble No More - The Bootleg Series Vol. 13

Titel: Trouble No More – The Bootleg Series Vol. 13 (1979-1981)
Künstler: Bob Dylan
Veröffentlichungstermin: 3. November 2017
Label: Columbia (Sony Music)
Format: 2 CD-Box-Set, 9 CD-Box-Set, Digital & 6 Vinyl-LP-Box-Set
Laufzeit: 153 Min.
Tracks: 30
Genre: Gospel-Rock, Folk-Rock

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Trackliste: (CD 1)

01. Slow Train (Live Nov. 16, 1979)
02. Gotta Serve Somebody (Live Nov. 15, 1979)
03. I Believe In You (Live May 16, 1980)
04. When You Gonna Wake Up? (Live July 9, 1981)
05. When He Returns (Live Dec. 5, 1979)
06. Man Gave Names to All the Animals (Live Jan. 16, 1980)
07. Precious Angel (Live Nov. 16, 1979)
08. Covenant Woman (Live Nov. 20, 1979)
09. Gonna Change My Way of Thinking (Live Jan. 31, 1980)
10. Do Right to Me Baby (Do Unto Others) (Live Jan. 28, 1980)
11. Solid Rock (Live Nov. 27, 1979)
12. What Can I Do for You? (Live Nov. 27, 1979)
13. Saved (Live Jan. 12, 1980)
14. In the Garden (Live Jan. 27, 1980)

Trackliste: (CD 2)

01. Slow Train (Live June 29, 1981)
02. Ain’t Gonna Go to Hell for Anybody (Live Apr. 24, 1980)
03. Gotta Serve Somebody (Live June 27, 1981)
04. Ain’t No Man Righteous, No Not One (Live Nov. 16, 1979)
05. Saving Grace (Live Nov. 6, 1979)
06. Blessed Is the Name (Live Nov. 20, 1979)
07. Solid Rock (Live Oct. 23, 1981)
08. Are You Ready? (Live Apr. 30, 1980)
09. Pressing On (Live Nov. 6, 1979)
10. Shot of Love (Live July 25, 1981)
11. Dead Man, Dead Man (Live June 21, 1981)
12. Watered-Down Love (Live June 12, 1981)
13. In the Summertime (Live Oct. 21, 1981)
14. The Groom’s Still Waiting at the Altar (Live Nov. 13, 1980)
15. Caribbean Wind (Live Nov. 12, 1980)
16. Every Grain of Sand (Live Nov. 21, 1981)

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Über Thomas Waldherr (804 Artikel)
Redakteur. Fachgebiet: Bob Dylan, Country & Folk, Americana. Rezensionen, Specials.
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