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Bob Dylan: More Blood, More Tracks. The Bootleg Series Vol. 14

More Blood, More Tracks - eine der absoluten Perlen in Bob Dylans "Bootleg Series".

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Bob Dylan - 1974 Bob Dylan - 1974. Bildrechte: Barry Feinstein, Sony Music

Wieder einmal wurde das Archiv von Bob Dylan gesichtet und wieder einmal ist großartiges dabei entdeckt worden. Diesmal die Aufnahmesessions rund um „Blood On The Tracks“, sein 1974er Meisterwerk voller Trennungsschmerz und Liebesleid

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Es muss ein besonderes Album für Bob Dylan, sein 1974er Album „Blood On The Tracks“. Während er andere Alben stiefmütterlich behandelt, indem er sie in seinen Live-Programmen überhaupt nicht vorkommen lässt, so sind einige Songs dieses Werkes bis heute auf der Bühne präsent. Aktuell ist „Simple Twist Of Fate“, dieses wunderbare Lied über zwei Menschen, die nur eine Nacht haben, obwohl sie vielleicht für ein ganzes gemeinsames Leben bestimmt sind, im Tourprogramm. In der jüngeren Vergangenheit waren immer wieder „Tangled Up In Blue“, Dylans komplexes Roadmovie über die Liebe, die Trennung, das Wiederfinden und die erneute Trennung sowie „Shelter From The Storm“, sein Dank für das Obdach in stürmischer Zeit bei einem geliebten Menschen, auf der Setlist.

Dylan kommt in den 1970ern an

Dieses Album markierte nicht mehr und nicht weniger als Dylans endgültige Ankunft in den 1970ern, eine neuen Phase der Kreativität, den Beginn eines neuen Lebensabschnittes für den Künstler. Sein vorhergehendes Tour-Comeback mit The Band, das in punkto Anzahl der verkauften Tickets und der Geschwindigkeit ihres Verkaufs, alles was vorher in der Musikbusiness war in den Schatten stellte, war da allenfalls ein Vorbote. Dessen Statement lautete: „Genug mit Familie und Landleben, ich bin wieder on the road!“. Doch noch war dieses Versprechen inhaltlich nicht gefüllt, seine Setlists waren rückwärtsgewandt.

Dylan war wieder einmal auf der Suche. Er studierte Malerei bei Norman Raeben, der seine Schüler nicht nur in handwerkliche Techniken, sondern auch in sein philosophisches Denken einführte. Für Dylan eine faszinierender neuer Input: „Raeben lehrte mich wie man sieht … mit einem Weg, der es mir erlaubte bewusst, das zu tun, was ich unbewusst fühlte … als ich damit begann war Blood On The Tracks das erste Album, das ich machte. Jeder stimmte zu, dass das sehr anders war, und was anders war, das war, dass ein Code in den Lyrics ist und auch, das da keine Vorstellung von Zeit ist.“

Und in der Tat, die Geschichten, die Dylan hier erzählt, haben zum Teil wechselnde Perspektiven, die Erzähler wechseln, und wann und in welcher Reihenfolge etwas passiert, ist manchmal schwer zu durchschauen. Und trotzdem funktionieren sie, denn Bob Dylan zeigt sich hier als Schöpfer von Geschichten, die unter die Haut gehen, weil er für die Trauer und den Schmerz, der ihn bewegt, die passenden Bilder findet. „Ich dreh‘ noch durch von diesem Schmerz, der endet und wieder beginnt, wie ein Korkenzieher in meinem Herzen“, singt Dylan in „You’re A Big Girl Now“. (deutsche Übersetzung Gisbert Haefs, Lyrics 1962 – 2001).

Ein Album voller Trennungsschmerz

Und dieser Schmerz kam von der Entfremdung zu seiner Frau Sara. Und auch diese hatte wohl, so sieht es Dylan jedenfalls selbst, mit der bei Norman Raeben gelernten neuen Denk- und Sichtweise zu tun: „Ich ging nach diesem ersten Tag nach Hause und ab diesem Tag verstand mich meine Frau nicht mehr. Damals begann unsere Ehe zu zerbrechen. Sie verstand nie, worüber ich redete, worüber ich nachdachte, und ich konnte es nicht einmal erklären.“

Dies war im April, Dylan hatte Sara wirklich sehr geliebt, aber die Entwicklungen waren scheinbar nicht aufzuhalten. Er verliert den Menschen, den er liebt und kann nichts machen. Er vertraut sich anderen, auch Frauen an, und schon wird der Graben immer größer. Er hat das ganze Jahr 1974 über ein Verhältnis zu Ellen Bernstein, einer A&R-Mitarbeiterin von Columbia Records. Über den Sommer trägt er seine Gedanken und Gefühle, in Songtexten verarbeitet, in ein kleines rotes Notizbuch ein. Er vollendet daraus 17 Songs während eines Aufenthaltes auf seiner Farm in Minnesota mit Ellen Bernstein. Dies wird der Grundstock für Blood on The Tracks.

Nachdem er seinen Ausflug zu David Geffens Asylum Records beendet und Anfang August wieder bei Columbia unterschreibt – mit weitgehenden Rechten und vor allem dem Zugriff auf seine eigenen Mastertapes – ist er im Spätsommer soweit, das Geschriebene auch aufnehmen zu wollen. Zuerst beabsichtigt er, das Album mit einer elektrischen Begleitband einzuspielen und nimmt Kontakt zu Mike Bloomfield auf, der ihm ja schon fast zehn Jahre vorher bei seinem Wechsel zum Folk-Rock assistierte. Doch diesmal stimmt die musikalische Chemie zwischen den beiden gar nicht. Nachdem ihm Dylan die Songs vorgespielt hatte – er stürmte regelrecht durch sie hindurch – fanden die beiden einfach nicht zueinander. Bloomfield sagte später dazu: „Die Songs begannen für mich alle gleich zu klingen, sie waren alle in der gleichen Tonart, sie waren alle lang. Es war eines der seltsamsten Erlebnisse in meinem Leben. Dylan war schon verärgert, dass ich seine Songs nicht aufgriff.“

Dylan hat alles unter Kontrolle und bessert nach

Doch Dylan ließ sich nicht erschüttern. Er war von seinem Material überzeugt und disponierte einfach um. Er entwickelte sparsam orchestrierte, akustische Arrangements und ging am 16. September 1974 just in die New Yorker Columbia-Studios, in denen er in den 1960ern sechs Alben aufnahm. Mit dabei die von Produzent Phil Ramone angeheuerte akustische Backing Band Deliverance rund um Eric Weissberg. Und wie auch in den 1960ern war Dylans Schaffensprozess spontan bis chaotisch zu nennen. Zwar waren die Songs diesmal fertig geschrieben, aber musikalisch noch überhaupt nicht ausgereift. Ramone erinnerte sich später, dass Dylan von Aufnahme zu Aufnahme die Taktzahl zwischen den Versen wechselte wie er wollte, plötzlich Verse strich oder plötzlich einen Refrain setzte, wo vorher keiner war. Vor allem aber war Dylans eines: er war schnell, er legt bei den Aufnahmen ein derartiges Tempo vor, dass die Band dem nicht gewachsen war und zum Großteil nach zwei Tagen ausgewechselt wurde. Nach zehn Tagen erklärte Dylan die Aufnahmen für beendet und im November lag eine Test-Pressung vor und Columbia bereitete alles für eine Veröffentlichung noch vor Weihnachten vor.

Doch noch war der Entstehungsprozess von „Blood on The Tracks“, wie wir es heute kennen, noch nicht beendet. Dylan spielte die Testpressung ausgewählten Leuten vor. Bruder David fand den Sound zu schlicht und der Musikjournalist Robert Christgau sprach gar von einem „Ausverkauf der Erinnerungen an Dylans vor-elektrische Zeit.“ Davids Kritik führte zu Neuaufnahmen von 5 Songs in Minneapolis mit örtlichen Musikern. Es handelt sich um die Songs „Tangled Up In Blue“, „You’re A Big Girl Now“, „Idiot Wind“, „Lily, Rosemary And The Jack Of Hearts“ und „If You See Her Say Hello“. Von den New Yorker Aufnahmen blieben „Simple Twist Of Fate“, „You’re Gonna Make Me Lonesome When You Go“, „Meet Me In The Morning“, „Shelter From The Storm“ und „Buckets Of Rain“ auf dem Album. Erstaunlich wie das Album trotz oder gerade wegen der beiden unterschiedlichen Studios, Sessions und Musikern wie aus einem Guss wirkt. Dylans nochmaliges „Hand anlegen“ hatte sich ausgezahlt.

Bob Dylan war zurück. Nicht mehr als Figur der 1960er sondern als weiterhin kreativer, sich immer wieder neu erfindender Künstler. Das dies einher ging mit seiner bis dato größten persönlichen Krise, kam ihm wohl selber komisch vor. In einem Radio-Interview im April 1975 sagte er: „Eine Menge Leute sagen mir, dass sie das Album mögen. Es ist schwer für mich, das zu verstehen…Die Leute mögen diese Art von Schmerz?“

More Blood, More Tracks

„Blood On The Tracks“ wird bis heute als eines der besten Dylan-Alben überhaupt gehandelt. Über vier Jahrzehnte lang waren nur Rudimente der Aufnahmen offiziell veröffentlicht. Erst jetzt mit der Sechs-CD-de Luxe-Version von „More Blood, More Tracks“ sind alle New Yorker-Aufnahmen veröffentlicht worden, darunter alle Songversionen, die auf der ersten Fassung enthalten waren. Von den Minneapolis-Sessions sind allerdings nur die fünf Stücke dabei, die auch auf „Blood On The Tracks“ enthalten sind. Ein Mysterium bleibt also.

Diese Premium-Ausgabe muss wirklich ein faszinierender Blick ins Labor sein. Aber auch schon der Sampler, der auf einer CD veröffentlicht worden ist, und in den der Redakteur für diese Kritik hineingehört hat, gibt einem einen anschaulichen Eindruck vom Verlauf der Sessions. „It’s really nice“, sagt Phil Ramone zu Dylans Solovortrag von „If You See Her Say Hello“, der es letztendlich nicht auf die Platte schafft. Ebenso wenig wie der erste Take von „Shelter From The Storm“, bei dem einem sofort die fast schon fröhliche Klavierfigur auffällt, die zwar hübsch ist, aber natürlich so gar nicht zur eigentlichen Stimmung des Songs passt. In Gegenteil zum Take 3A von „Simple Twist Of Fate“, die noch träumerischer, noch melancholischer als die bekannte Fassung vom Album ist.

Doch instinktiv hat Dylan hier Recht gehabt. Alles Songs sind genau in der Version richtig auf der Platte und ergeben zusammen ein Meisterwerk. In späteren Jahren hat er diesen Instinkt zeitweilig verloren und den 1980er Jahren kommen in schöner Regelmäßigkeit die besten Songs der Sessions nicht auf das Album. Doch hier hat er alles unter Kontrolle und beginnt mit „Blood on The Tracks“ eine seiner kreativsten Phasen überhaupt. Es sollten noch die Alben „Desire“, „Hard Rain“, „Street Legal“ sowie die Rolling Thunder Review und die Welttournee 1978 folgen, ehe er sich mit seiner Christianisierung in eine ganz neue Richtung bewegte.

Fazit: Wieder einmal Musikgeschichte zum Mithören und begreifen. „More Blood, More Tracks“ ist ein großartiges und lohnendes Projekt, einer der absoluten Perlen in Bob Dylans „Bootleg Series“. Pflichtanschaffung für alle Dylan-Fans!

Bob Dylan – More Blood, More Tracks. The Bootleg Series Vol. 14: Das Album

Bob Dylan - More Blood, More Tracks. The Bootleg Series Vol. 14

Titel: More Blood, More Tracks. The Bootleg Series Vol. 14
Künstler: Bob Dylan
Veröffentlicht: 2. November 2018
Label: Columbia (Sony Music)
Formate: 1-CD-Set, 6-CD-Box-Set, 2-Vinyl-LP-Box-Set & Digital
Laufzeit: 60:44 Min. / 5:59:18
Tracks: 11 bzw. 87 (Deluxe-Version)
Genre: Folk-Rock, Americana

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Trackliste: (More Blood, More Tracks, The Bootleg Series Vol. 14)

01. Tangled Up In Blue (9/19/74, Take 3, Remake 3)
02. Simple Twist Of Fate (9/16/74, Take 1)
03. Shelter From The Storm (9/17/74, Take 2)
04. You’re A Big Girl Now (9/16/74, Take 2)
05. Buckets Of Rain (9/18/74, Take 2, Remake)
06. If You See Her, Say Hello (9/16/74, Take 1)
07. Lily, Rosemary And The Jack Of Hearts (9/16/74, Take 2)
08. Meet Me In The Morning (9/19/74, Take 1, Remake)
09. Idiot Wind (9/19/74, Take 4, Remake)
10. You’re Gonna Make Me Lonesome When You Go (9/17/74, Take 1, Remake)
11. Up To Me

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Über Thomas Waldherr (806 Artikel)
Redakteur. Fachgebiet: Bob Dylan, Country & Folk, Americana. Rezensionen, Specials.
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