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Bob Dylan: 1970 (50th Anniversary Collection)

Der Meister lässt wieder einmal einen Blick in Archiv und Werkstatt zu. Mit dabei: Die legendäre, noch nie offiziell veröffentlichte Aufnahmesession mit George Harrison.

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Bob Dylan - 1970, 50th Anniversary Collection Bob Dylan - 1970, 50th Anniversary Collection. Bildrechte: Columbia Records, Legacy Recordings (Sony Music)

Mittlerweile sind sie für Bob Dylan eine feste Säule seiner Karriere, genauso wie Songwriting, Live-Konzerte und stets Erwartungen zu unterlaufen: Die Veröffentlichungen von Nachlässen seiner Studio-Aufnahmen. Als Anfang Dezember letzten Jahres in der „50th Anniversary Collection Copyright Extension Series“ in ganz kleiner Auflage die bislang unveröffentlichten Studioaufnahmen Dylans von 1970 veröffentlicht wurden, war die Nachfrage laut Columbia Records (Legacy Recordings) so groß, dass sie nun ganz regulär weltweit veröffentlicht werden. Und das ist gut so.

Blick in die Werkstatt

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Denn Blicke in Archiv und Werkstatt von Bob Dylan, einem der größten Künstler unserer Tage, sind immer faszinierend. Seit fast dreißig Jahren – am 26. März 1991 erschien „The Bootleg Series Vol. 1-3“ – erfreut Dylan die Musikwelt, indem er nicht verwendetes Material nachträglich doch noch auf den Markt bringt. Und das, weil die Nachfrage einfach so groß ist. Bei keinem anderen Musiker stellen die unveröffentlichten Aufnahmen solch ein Mysterium da, wie bei Dylan.

Und das nahm alles seinen Anfang, als er sich 1966 nach seinem Motorradunfall für einige Jahre fast völlig ins Privatleben zurückzog. Zwar Songs aufnahm und Platten veröffentlichte, aber Geschichten und Mythen rund um das entstanden, was er nicht herausbrachte. So begann die Bootleg-Industrie in der Rockmusik. Das erste Bootleg war „Great White Wonder“, das Aufnahmen von Dylan aus vom Dezember 1961 (Minnesola Tapes) und April 1967 (Basement Tapes) enthielt und im Juli 1969 erschien. Von diesem Bootleg sollen sich über 350.000 Exemplare verkauft haben. 1975 veröffentlichte Dylans Plattenfirma eine remasterte Version von Teilen der Basement Tapes, angeblich um das Bootlegging dieser Aufnahmen einzudämmen.

Mit der Bootleg Series entstand in den letzten dreißig Jahren eine wirklich geniale, sorgfältig historisch-kritisch editierte Retrospektive, die durchaus zu einer Neubewertung so mancher Schaffensphase Dylan führte. Dazu gesellen sich seit ein paar Jahren zusätzliche Veröffentlichungen, die dazu dienen, das Copyright an Musikstücken zu sichern, das sonst nach 50 Jahren verfallen würde. Somit erscheinen seit 2012 immer wieder Jahres-Kompilationen. Es gibt solche für 1962, 1963, 1964 und 1969. Meist etwas knapper und sparsamer in Edition und Gestaltung, aber dafür nicht weniger interessant für Hörer, Musikforscher und Dylanologen. Manchmal gibt es aus dem Hause Dylan aber auch situativ bedingte Einzelveröffentlichungen wie das umfangreiche Konzertmaterial von Dylans Rolling Thunder Revue 1975 anlässlich des Martin Scorsese-Films über diese Tour.

Immer wieder „neue“ alte Musik

Dylan-Fans können sich also freuen. Auch wenn die Musiklegende mal wieder jahrelang kein neues Studiomaterial veröffentlicht, gibt es immer wieder Dylan-Musik neu zu entdecken. So auch diese Aufnahmen von 1970. Obwohl die Alben „Self Portrait“, „New Morning“, „Dylan“ sowie die Bootleg Series-Ausgaben „Another Self Portrait“ und „Travellin‘ Thru'“ bereits einiges zu Tage gefördert haben aus diesem Jahr, beweist die erneute Veröffentlichung, dass Dylan, im Gegensatz zum dem was öffentlich von ihm zu sehen und zu hören war, damals in keinster Weise still stand. Es war eine seiner produktivsten Phasen.

Dokument des Entstehens von „Self Portrait“ und „New Morning“

Und auch wenn viele Stücke zu ihrer Zeit zu recht nicht veröffentlicht wurden, weil sie Aufwärmnummern, Zwischenstationen oder Streichversionen sind, funktionieren sie jedoch in der Gesamtschau als das Dokument einer künstlerischen Selbstvergewisserung. Dylan, der mit „The Band“ zusammen drei Jahre zuvor im Keller des Hauses Big Pink in Woodstock quasi das Americana erfunden hatte, als sie sich quer durch mehr als 100 Songs aus Blues, Gospel, Folk, Country und Rock’n’Roll spielten, zeigt auch hier sein breites Musikverständnis. So wird Buffy Sainte-Maries „Universal Soldier“, das Donovan zum Erfolg machte, ebenso intoniert wie „Little Moses“ von der Carter Family oder Jimmy Newmans Country-Hit „Alligator Man“. Diese Songs sind denn auch völlig gleichberechtigt mit Dylans eigenen Songs. Das ist ein Künstler am Werk, der seine Wurzeln, seine Wirkung und seine eigene Bedeutung kennt. Und so komplettieren und bestätigen diese Aufnahmen das, was „Another Self Portrait“ von 2013 erstmals bewiesen hat. Das von der Kritik zerrissene „Self Portrait“ und das zufrieden aufgenommene „New Morning“ entstanden in einem gemeinsamen Aufnahmeprozess. „New Morning“ ist nicht das hastig hingeworfene „Zuckerl“ für Kritik und Publikum nach einem vorherigen Aussetzer, sondern die logische Folge von „Self Portrait“: Nach der Selbstvergewisserung folgt eine neue Etappe auf dem Weg.

Doch was Dylan damals gemacht hat, passiert ihm immer wieder. Nicht jedes Tribute Dylans an andere Künstler wird goutiert. Vor gar nicht allzu langer Zeit waren viele Dylans-Fans nach fünf Silberlingen mit Sinatra-Songs regelrecht erschöpft und reagierten verdrossen. 1970, beim Erscheinen von „Self Portrait“, schrieb der heutige Kritikerpapst Greil Marcus in Unkenntnis von Dylans Arbeit und Absicht mit diesem Album im „Rolling Stone“: “What is this shit?”. „This Is What This Shit Is“ lautet denn auch der Titel der kenntnisreichen Liner Notes von Michael Simmons (Mojo Magazine) dieser 3-CD-Box.

Session mit George Harrison

Besonderes Schmankerl auf diesem Dreifach-Album ist die erstmalige offizielle Veröffentlichung der legendären Session mit George Harrison. Während Dylan und Lennon ein kompliziertes Verhältnis verband, waren der „stille Beatle“ und Dylan eng befreundet. Am 1. Mai 1970 trafen sie sich zum Musizieren und spielten Songs wie „I Met Him on a Sunday (Ronde-Ronde)“ von Addie Harris, Beverly Lee, Doris Coley und Shirley Owens, „Da Doo Ron Ron“ von Jeff Barry, Ellie Greenwich und Phil Spector, „Matchbox“ von Carl Perkins und „Ghost Riders In The Sky“ von Johnny Cash.

In dieser Zeit unternahmen sie viel miteinander. Am bekanntesten ist sicher der gemeinsame Auftritt beim „Concert For Bangladesh“ 1971, zudem nahm Harrison Dylans „If Not For You“, das bei diesen Sessions ebenfalls gespielt wurde, im November 1970 auf sein Album „All Things Must Passed“, einen Monat nachdem es bei Dylan auf „New Morning“ veröffentlicht wurde. Ebenfalls auf Harrisons Album befindet sich der von Harrison und Dylan 1968 gemeinsam geschriebene Song „I’d Have You Anytime“, der auch von der Botschaft des Textes her als Dokument ihrer Freundschaft zu verstehen ist.

Die Session vom 1. Mai 1970 ist künstlerisch kein großer Wurf – kein Wunder, dass diese Aufnahmen keine Verwendung fanden – sondern ein Zeugnis für die gute Chemie zwischen den Beiden. Alles ganz entspannt.

Fazit: „1970 (50th Anniversary Collection)“ ist für alle Dylan-Fans ein toller Blick in die Künstlerwerkstatt Bob Dylans, der aufzeigt wie „Self Portrait“ und „New Morning“ sich entwickelt haben, und in welchem Umfeld sie entstanden sind.

Bob Dylan – 1970 (50th Anniversary Collection): Das Album

Bob Dylan - 1970, 50th Anniversary Collection

Titel: 1970 (50th Anniversary Collection)
Künstler: Bob Dylan with Special Guest George Harrison
Veröffentlichungstermin: 26. Februar 2021
Label: Columbia, Legacy
Vertrieb: Sony Music
Formate: 3er CD-Box & Digital
Tracks: 74
Genre: Americana

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Trackliste: (CD 1)

3. März 1970

01. I Can’t Help but Wonder Where I’m Bound
02. Universal Soldier – Take 1
03. Spanish Is the Loving Tongue – Take 1
04. Went to See the Gypsy – Take 2
05. Went to See the Gypsy – Take 3
06. Woogie Boogie

4. März 1970

07. Went to See the Gypsy – Take 4
08. Thirsty Boots – Take 1

5. März 1970

09. Little Moses – Take 1
10. Alberta – Take 2
11. Come All You Fair and Tender Ladies – Take 1
12. Things About Comin’ My Way – Takes 2 & 3
13. Went to See the Gypsy – Take 6
14. Untitled 1970 Instrumental #1
15. Come a Little Bit Closer – Take 2
16. Alberta – Take 5

1. Mai 1970 (Session mit George Harrison)

17. Sign on the Window – Take 2
18. Sign on the Window – Takes 3-5
19. If Not for You – Take 1
20. Time Passes Slowly – Rehearsal
21. If Not for You – Take 2
22. If Not for You – Take 3
23. Song to Woody – Take 1
24. Mama, You Been on My Mind – Take 1
25. Yesterday – Take 1

Trackliste: (CD 2)

01. Just Like Tom Thumb’s Blues – Take 1
02. Medley: I Met Him on a Sunday (Ronde-Ronde)/Da Doo Ron Ron – Take 1
03. One Too Many Mornings – Take 1
04. Ghost Riders in the Sky – Take 1
05. Cupid – Take 1
06. All I Have to Do Is Dream – Take 1
07. Gates of Eden – Take 1
08. I Threw It All Away – Take 1
09. I Don’t Believe You (She Acts Like We Never Have Met) – Take 1
10. Matchbox – Take 1
11. Your True Love – Take 1
12. Telephone Wire – Take 1
13. Fishing Blues – Take 1
14. Honey, Just Allow Me One More Chance – Take 1
15. Rainy Day Women #12 & 35 – Take 1
16. It Ain’t Me Babe
17. If Not for You
18. Sign on the Window – Take 1
19. Sign on the Window – Take 2
20. Sign on the Window – Take 3

1. Juni 1970

21. Alligator Man
22. Alligator Man [rock version]
23. Alligator Man [country version]
24. Sarah Jane 1
25. Sign on the Window
26. Sarah Jane 2

Trackliste: (CD 3)

2. Juni 1970

01. If Not for You – Take 1
02. If Not for You – Take 2

3. Juni 1970

03. Jamaica Farewell
04. Can’t Help Falling in Love
05. Long Black Veil
06. One More Weekend

4. Juni 1970

07. Bring Me Little Water, Sylvie – Take 1
08. Three Angels
09. Tomorrow Is a Long Time – Take 1
10. Tomorrow Is a Long Time – Take 2
11. New Morning
12. Untitled 1970 Instrumental #2

5. Juni 1970

13. Went to See the Gypsy
14. Sign on the Window – stereo mix
15. Winterlude
16. I Forgot to Remember to Forget 1
17. I Forgot to Remember to Forget 2
18. Lily of the West – Take 2
19. Father of Night – rehearsal
20. Lily of the West

12. August 1970

21. If Not for You – Take 1
22. If Not for You – Take 2
23. Day of the Locusts – Take 2

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Über Thomas Waldherr (850 Artikel)
Redakteur. Fachgebiet: Bob Dylan, Country & Folk, Americana. Rezensionen, Specials.
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