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Von Detroit City bis El Paso (Teil 2)

Bob Dylans beleuchtet in seinem neuen Buch "Die Philosophie des modernen Songs" auch eine ganze Reihe Countrysongs.

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Bob Dylan – Die Philosophie des modernen Songs Bob Dylan – Die Philosophie des modernen Songs. Bildrechte: C.H. Beck

Weiter geht es mit Dylans-Country-Besprechungen. Wir treffen unter anderem Willie Nelson, Marty Robbins und Hank Williams, lernen aber mit Johnny Paycheck auch einen aus der zweiten Reihe kennen.

Willie Nelson: On The Road Again

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Willie Nelson - On The Road Again

Bildrechte: CBS Special Products

Sicher, Bob Dylan ehrt mit seiner Songauswahl auch die Songwriter und wichtigsten Interpreten der Songs. Da er aber Willie Nelson schon mit „Pancho & Lefty“ abgefeiert hat, widmet er sich ganz dem Bedeutungszusammenhang des Songs und so wird dieses Essay zu einer Hymne auf das Tourleben. Dylan, der seit fast 35 Jahren nur durch die Corona-Pause 2020 und 2021 unterbrochen durchgehend mehrmals jährlich auf Tour geht, preist das Tourleben: „Es ist ein Update von Jack Kerouacs On the Road, dem ikonischen Meisterwerk der Beat Generation. Unterwegssein bedeutet in diesem Song, dass man in einem Tourbus fährt, der auf dem neuesten Stand ist: Flachbildfernseher, bestens bestückte Bar, ein schmales Doppelbett hinten, außerdem Stockbett en, die eine Welt für sich sind, Küchengeräte und ledergepolsterte Sitzecken, eine Dusche und manchmal sogar ein Dampfbad. Besser geht’s nicht unterwegs. Eigentlich fährt man nirgendwohin, man bleibt einfach im Bus, steigt aus, spielt ein paar Stunden und fährt weiter.“ Der große Songschmied stellt fest, dass dieser Song ein fröhlicher Song ist: Wenn du unterwegs bist, lebst du das Leben, das du liebst. Machst Musik mit deinen Freunden und verdienst dabei deinen Lebensunterhalt. Es ist ein fröhlicher Song. Es steckt keine einzige Formulierung drin, die einen runterzieht. Man könnte ihn überall singen. Auf einer Landesausstellung oder in der Radio City Music Hall. Gemeinsamkeit ist das Thema. Es ist so eine Art religiöser Hoedown.“

Und tatsächlich spielt Dylan auch überall. Ob auf der „State Fair“ im Mittleren Westen, im pittoresken Beacon Theatre in New York oder in einer gesichtslosen Mehrzweckhalle in Neu-Ulm oder Krefeld. Und er kennt auch die negativen Seiten des Tourlebens: „Es könnte Strophen über kaputte Lüftungsanlagen im Bus geben, Sirenen draußen vor den Hotelzimmerfenstern, eine übertrieben gründliche Durchsuchung an der texanischen Grenze oder den hartnäckigen, antibiotika-resistenten Tripper, der sich nach einem Konzert in New Mexico bei der Crew breitgemacht hat. Fragwürdige Mikrowellen-Burritos, lange Abstände zwischen den Waschtagen und viel zu ausführliche Berichte über die Scheidung des Fahrers.“

Doch am Ende überwiegt die Lust am Touren: „Das Gute am Unterwegssein ist, dass man sich nicht verzettelt. Nicht mal mit schlechten Nachrichten. Du bereitest anderen Menschen Vergnügen und behältst deinen Kummer für dich.“ Dylan als abgeklärter Humorist. Auch dieser Beitrag erzählt viel über Dylan.

Marty Robbins: El Paso

Marty Robbins - El Paso

Bildrechte: Columbia Records

Riff und Essay über den Hit von Marty Robbins aus dem Jahr gehören zu den wortgewaltigsten und ambitioniertesten Beiträgen in diesem Buch. Im Riff geht Dylan wieder völlig im Stream of Consciousness auf: „Gewehrfeuer, Blut und plötzlicher Tod sehen nach einer typischen Western­ Ballade aus, sind hier aber alles andere als das. Das hier ist der Moloch, die Pyramide der Sphinx, die dunkle Kehrseite der Schönheit; zieht man ihr den Sockel weg, stürzt alles ein. Der auserwählte Cowboy, blutige Massenopfer, Juden des Holocaust, Christus im Tempel, Aztekenblut auf dem Altar. Der Song haut dich um, und noch bevor du wieder aufstehen kannst, haut er dir noch mal eine rein.“

Denn es ist wie in Drehbuch eines Western angelegt. Im Essay zum Song lernen wir „Texas-Bob“ kennen, den Großvater von Marty Robbins: „Er war ein gefeierter Wildwest-Dichter, ein ungehobelter Mann, der aus eigener Erfahrung über das Leben in der Prärie schrieb und dessen Bücher die Geschichten von Männern und Frauen erzählten, die die Grenzen der Vereinigten Staaten erweiterten. Wie auf dem Umschlag von Rhymes of the Frontier, einem seiner Bücher, zu sehen ist, war Texas-Bob der archetypische Medicine-Show-Cowboy – groß und hager saß er im Sattel, trug sein silbergraues Haar schulterlang unter dem konföderierten Hut, seine Haut war vom Wind und der Sonne derart gegerbt, dass sie dieselbe Farbe und Textur wie seine Wildlederhose hatte.“

Und dieser Großvater erzählte seinem Enkel Wild-West-Geschichten. Und Marty vertonte sie bei erster Gelegenheit. Dylan lobt den Song sehr: „Er ist so komplex und doch so simpel konstruiert – eine düstere Geschichte über unbeschreibliche Schönheit und den Tod.“

The Osborne Brothers: Are You Mad At Your Man

Bob Dylan zollt dem Bluegrass Respekt und hat sich dafür einen der wildesten und verwegensten Titeln des Genres ausgesucht. „Ruby, Are You Mad At Your Man“ von den Osborne Brothers stammt eigentlich von „Cousin Emmy“, die es 1946 erstmals aufnahm. Zehn Jahre später erscheint die noch wildere und halsbrecherische Version der Osborne Brothers: „Die Osborne Brothers sind eine vor Energie strotzende Bluegrass-Band. Vielleicht die stärkste. Roy Orbison konnte keinen Ton so lange halten wie der Mann, der hier mit hoher Tenorstimme singt. Die Osborne Brothers singen exzellente Harmonien. Und bei diesem Song ist das schwer. Er hat nur einen Akkord, sonst ist aber jede Menge darin los. Schlagzeug gibt es auch keins. Daran merkt man schon, dass es ausschließlich um den Rhythmus geht. Das Schlagzeug wäre nur im Weg und würde bremsen. Instrumentiert mit zwei Fiddles, schnell und unter Hochspannung“, lobpreist der Literatur-Nobelpreisträger die Version der Bluegrass-Brüder aus Kentucky.

Seine geniale Beschreibung des Bluegrass liest sich dann so: „Bluegrass ist die Kehrseite des Heavy Metal. Beide musikalischen Formen sind tief in der Tradition verankert, und beide haben sich seit Jahrzehnten weder visuell noch akustisch groß verändert. Die Leute kleiden sich immer noch alle entweder wie Bill Monroe oder Ronnie James Dio. Bei beiden gibt es eine traditionelle Instrumentalbesetzung, und sie halten stur an den althergebrachten Formen fest. Bluegrass ist die emotional direktere Musik, und auch wenn dies dem beiläufigen Hörer nicht direkt ersichtlich sein mag, ist sie verwegener.“

Der Songs ist gar nicht so einfach wie er tut. An der Oberfläche ist da ein treusorgender Ehemann, der immer Angst hat, seine Frau unzufrieden zu machen. Also ist es auch ein Song über die Versagensangst traditioneller Männer. Und auf das Anspruchsdenken mancher verheiraten Frau. Wenn Dylan schreibt fest. Der Song schürft tief im Establishment der alten Garde, mit Schippe und Schaufel, lacht sich kaputt und grinst breit, die ganze Zeit. Der Song verlässt sich nicht nur auf eine Sache, um über die Runden zu kommen, sondern gleich auf Trillionen, und er verdoppelt alles noch mal“, dann ist klar, dass damit die Männerwelt des Südens und der Country- und Bluegrassmusik gemeint ist. Denn die Autorin Cousin Emmy war eine der ersten Frauen, die selbstbewusst im Countrygenre unterwegs waren. Sie führte also so manchen Kampf aus, und war Türöffner für so manchen anderen weiblichen Country-Act nach ihr.

Aber auch hier kommt man auf Dylan selbst zu sprechen, wenn Dylan erzählt, dass die Osborne Brothers den Song über die Jahre live immer wieder Veränderungen unterworfen hätten. „Es war immer noch derselbe Song, aber durch die kleinen Vorhalte und die Elastizität blieb er lebendig, schüttelte sich den Staub von den Stiefeln. Natürlich meckerten manche herum, aber die wären besser zu Hause geblieben.“ Welcher langjährige Dylan-Konzertgänger kennt das nicht? Und Dylan wäre nicht Dylan würde er den Namen nicht Ruby mit dem Nachtclubbesitzer Jack Ruby assoziieren, der den Kennedymörder Lee Harvey Oswald vor den Augen der Polizei erschoss.

Johnny Paycheck: Old Violin

Dylan erzählt erst launig und ausführlich über das Wesen von Namensänderungen ehe er zu Donald Eugene Lytle, der später als Countrymusiker erst Donny Young und dann Johnny Paycheck nannte. Paychecks ganzes Leben war geprägt von Gewalt, Grenzüberschreitungen, Alkohol und Drogen. Er war ein großartiger Songschreiber, schrieb u.a. Hits für Tammy Wynette und hatte mit „Take This Job and Shove It“ aus der Feder von David Allan Coe Erfolg. Aber er hatte immer wieder dramatische Abstürze und kam mit dem Gesetz in Konflikt und wanderte ins Gefängnis. Dort schreib er „Old Violin“ über eine Fiddle, die keiner mehr spielt. Als er aus dem Knast kam, spielte er den Song ein und es wurde zu seinem erfolgreichsten Single-Hit.

„‘Old Violin‘ ist anders. Die Metapher für Überholtheit, für den letzten Kampf, ist so anschaulich und doch so simpel, die Worte sind so untrennbar mit Johnnys Darbietung verbunden, dass es dem Song nichts anhaben kann, wenn man die Geschichte kennt. Das Pathos ist für alle spürbar.

Hank Williams: Your Cheatin‘ Heart

„Es gibt wirklich niemanden, der auch nur annähernd an Hank Williams herankommt. Wenn man an die Klassiker denkt, die er aufgenommen hat, und so viele sind das nicht, dann hat er sie alle zu seinen eigenen Songs gemacht. Man kann sich vorstellen, wie er die ganzen Pop-Hits aus der Zeit damals gesungen hätte, zum Beispiel ‚How Much Is That Doggie in the Window‘, ‚Que Sera, Sera‘ – sogar ‚Stardust‘ und ‚On the Sunny Side of the Street‘. Hätte er diese Songs aufgenommen, dann hätte er Sinatra schwer Konkurrenz gemacht.“

Dylans Eloge an den Hillbilly-Shakespeare ist eine Verbeugung vor einem der großartigsten Sänger, die Amerika ja hervorgebracht hat. Und Dylan hat recht. Wäre Hank nicht von seinen Dämonen besessen gewesen, nicht viel zu früh an den Folgen von Alkohol- und Drogensucht gestorben,sondern er Crossover-Songs aufgenommen, wäre aus der Hinterwäldler-Held möglicherweise ein Coast to Coast-Idol geworden.

Ansonsten singt der Meister in diesem Essay das hohe Lied der Einfachheit. „Man braucht Musiker, die sich auf derselben Wellenlänge miteinander befinden, und man verwendet dafür ganz einfache Töne eines Akkords, die mit genau der richtigen, nicht veränderbaren Intensität gespielt werden. Solche Phrasen sind mehr wert als alle technisch anspruchsvollen Licks der Welt.“ Ihm ist alles heutzutage viel zu überladen. „Wir bekommen alles mit dem Löffel in den Hals gestopft. Die Songs handeln nur von einer Sache, von einer einzigen Sache, da gibt es keine Abstufungen, keine Nuancen, keine Rätsel. Vielleicht ist das der Grund, warum Menschen ihre Träume nicht mehr mit Musik verknüpfen. Träume gehen in einer solchen luftleeren Umgebung ein.“ Auch hier mag er wirklich recht haben. Die Musik spielt heutzutage für die Meschen nicht mehr die zentrale Rolle, wie es noch bis Ende des letzten Jahrtausends gespielt hat. Sie ist ersetzt worden durch Computerspiele, Online-Shopping, Serienkonsum bei Netflix & Co, von Mountainbike und Stand-Up-Paddle. Dieser Zeitvertreib lässt Träume verkümmern und vereinzelt die Menschen, während Musik verbindet.

Bob Dylan – Die Philosophie des modernen Songs: Das 2022er Buch

Bob Dylan – Die Philosophie des modernen Songs

Titel: Die Philosophie des modernen Songs
Autoren: Bob Dylan
Veröffentlichungstermin: 18. November 2022
Verlag: C.H. Beck
Format: Buch
Seiten: 352 Seiten
Sprache: Deutsch

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Über Thomas Waldherr (806 Artikel)
Redakteur. Fachgebiet: Bob Dylan, Country & Folk, Americana. Rezensionen, Specials.
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