Neil Young: Before + After
Der Altmeister überrascht wieder einmal: Die Wiederveröffentlichung von 13 Songs, in neuer, minimalistischer Aufbereitung und präsentiert ohne Übergang, wird zu einer faszinierenden Werkschau.
Neil Young versucht schon seit langem, sich den Gesetzen der modernen Vermarktung von Musik zu widersetzen. Da ihm MP3s musikalisch zu flach sind, hat er bereits vor einigen Jahren einen eigenen Streaming-Dienst „Pono“ entwickelt, der allerdings an der Marktmacht der Plattenfirmen scheiterte. Also stellte er 2017 alle seine Alben, die seit 1963 erschienen waren, kurzerhand selbst verlustfrei ins Internet.
Neil Young gegen die negative Digitalisierung von Musik
Gleichzeitig hat die „Veröffentlichungswut“ vom alten Neil mittlerweile Willie Nelson’sche Dimensionen erreicht. Young publiziert fast ständig Musik. Neue Alben, Wiederveröffentlichungen, Erstveröffentlichungen alten Materials. Ein nie versiegender Fluss von Neil Young-Musik.
Diese Hintergründe muss man verstehen, will man Neil Youngs neues Album richtig einordnen. Denn was wir auf seinem neuen Album Before And After hören, ist ebenso ein einziger Fluss von Neil Young-Musik. Nur spärlich instrumentiert spielt er 13 weniger bekannte Songs seines Back-Katalogs neu ein. Die Präsentation ist nahtlos, ohne Übergänge. Die Songs gehen ineinander über, fließen ineinander und werden so zu dem einen großen Neil Young-Song.
Neil Young sagt dazu: „Das Gefühl wird nicht in Teilen, sondern als Ganzes eingefangen – so konzipiert, dass man es sich anhören kann. Diese Musikpräsentation widersetzt sich der Shuffle-Funktion, der digitalen Organisation und der Trennung. Nur zum Zuhören. Das sagt alles“.
Wenig bekannte Songs aus seinem Back-Katalog neu eingespielt
Zu den dadurch wiederentdeckten Perlen gehören u.a. „I’m The Ocean“ vom 1995er Album „Mirror Ball“, „Homefires“ aus den „Neil Young Archives Volume II: 1972–1976“, „Burned“ aus seiner Buffalo Springfield-Zeit und „Mother Earth“ von „Ragged Glory“ aus dem Jahr 1990. Das Album schließt dann ganz programmatisch mit dem jüngeren Song „Don’t Forget Love“, seinem für ihn unvermindert geltenden Hippietraum vom 2021er-Album Barn.
Der gebürtige Kanadier, der mittlerweile auch die US-amerikanische Staatsbürgerschaft besitzt, nimmt uns mit auf die Reise durch eine ganz ungewöhnliche Retrospektive. Das er das anhand von teilweise fast vergessenen Songs kann, zeigt die ungeheure Quantität und Qualität seiner Kompositionen. Und keinen Moment dieses eindringlichen Vortrags langweilt. Es ist ein spannungsgeladener Auftritt, an dem er uns teilhaben lässt. Er ist zart und liebend, mahnend und anklagend. Eben ganz Neil Young, dessen Kampf für den Erhalt dieses Planeten und seine profitorientierte Zerstörung unbezwingbar auf dem Glauben an ein solidarisches, vernunftgeleitetes, rücksichtsvolles Verhalten der Menschen fußt.
Auch mit 77 Jahren bleibt Neil Young ein großer Künstler, der in all den Jahrzehnten seines Lebens auf dieser Welt zwischen einem harten Musikbusiness und der immer schlimmer werdenden politischen Destruktivität, einfach kein Zyniker werden will. Sondern ein Träumer im ganz positiven Sinn bleibt.
Fazit: Ein ganz großes Album, das uns die Größe dieses Künstlers noch einmal bewusstwerden lässt. Hoffen wir, dass dieses Retrospektive nicht seinen Abschied bedeutet, sondern nur seine Momentaufnahme über seine ewigen Themen, Liebe, Menschlichkeit und Umweltschutz ist.
Neil Young – Before + After: Das 2023er Album
Künstler: Neil Young
Album: Before + After
Veröffentlichung: 8. Dezember 2023
Label: Reprise Records (Warner)
Formate: CD, Vinyl & Digital
Tracks: 13
Genre: Folk-Rock, Americana
Trackliste: (Before + After)
01. I’m The Ocean
02. Homefires
03. Burned
04. On The Way Home
05. If You Got Love
06. A Dream That Can Last
07. Birds
08. My Heart
09. When I Hold You In My Arms
10. Mother Earth
11. Mr. Soul
12. Comes A Tim
13. Don’t Forget Love