Dylans Country: Bob Dylan und die Country- und Westernmusik (2. Teil)
Den Grundstock für seine Beziehung zur Countrymusik hatte Bob Dylan Ende der 60er Jahre gelegt, als er Country- und Rockmusik zusammenführte. In späteren Verlauf seiner Karriere hat er sich immer wieder des Genres bedient und entwickelte zudem zu einigen Countrymusikern enge künstlerische Bindungen. Und ein wichtiges Projekt wartet immer noch auf seine Veröffentlichung.
Westernthemen in Dylansongs: Jack of Hearts/ Romance in Durango/ Brownsville Girl
Für einen Künstler wie Dylan, der sich stets in der Tradition der fahrenden Sänger und Hobos verwurzelt sieht, ist die Figur des Westernhelden, des Spielers und geheimnisvollen Gesetzlosen natürlich immer wieder ein Rollenmodell für seine Songs. Drei Songs sind hierfür beispielhaft.
Anfang 1975 veröffentlicht Dylan das Album „Blood On The Tracks“. Ein Album, in dem er sich auf schonungslose, zart-bittere bis verstörende Art und Weise mit dem Scheitern seiner Ehe und Beziehung mit Sara Lowndes auseinandersetzt.
Ein Song jedoch fällt hier etwas heraus. „Lily, Rosemarie and The Jack of Hearts“ ist im Grunde nichts anderes als ein Filmdrehbuch für ein Western um einen Gesetzlosen, einen reichen Minenbesitzer und zwei Frauen. „Romance in Durango“ (Album „Desire“/ 1975) wiederum könnte auch eine Episode aus dem Film „Billy The Kid“ sein. Ein Pärchen flieht vor seinen Verfolgern durch das amerikanisch-mexikanische Grenzland.
Er hat einen Mann – die Motive bleiben im Unklaren – erschossen und ihre gemeinsame Liebe hat angesichts der näher kommenden Häscher keine Zukunft. Der Song „Brownsville Girl“ (Knocked Out Loaded/ 1986) – entstanden in Zusammenarbeit mit dem Autor Sam Shepard – könnte ein Neo-Western sein. Spielt in der Jetztzeit in den Weiten von Texas und handelt von der Beziehung des Ich-Erzählers zu zwei Frauen und einem gewissen Henry Porter sowie einem Verbrechen, dem er beschuldigt wird.
Alle Drei würden eine gute Vorlage für einen Western bzw. einem Road Movie – den zwei amerikanischsten Filmgenres überhaupt – abgeben. Dylan bewegt sich hier wieder einmal ganz bewusst auf den Feld der amerikanischen kulturellen Mythen und verdeutlicht noch einmal seine Nähe zur Kultur des Country und Western. Allerdings hier immer zu seiner dunklen und nicht zur Hochglanzseite.
A Satisfied Mind – Country-Gospels und Bluegrass in Dylans Werk
Die Gospelsongs, die Dylan in seinen „Jesus-Jahren‘ 1979-81 zum Besten gab, stammen eindeutig aus der schwarzen Gospeltradition, getränkt in viel dunklen Rhythm- und Blues. Countrygospels kamen da nicht vor, außer in einer einzigen, faszinierenden Ausnahme. Saved, sein eindeutigstes religiöses Statement im Longplay-Format beginnt mit dem Song “ A Satisfied Mind“. Und Dylan gelingt hier etwas künstlerisch Großartiges. Er nimmt den Country-Gospel-Standard von Hayes und Rhode und überführt ihn in eine afro-amerikanische Gospelform. Ein A-Capella Gesang, der von Dylan und seinen Sängerinnen wie ein musikalisches Gebet intoniert wird. Eine Ouvertüre – inhaltlich und musikalisch – zu dem nachfolgenden Song „Saved“. In „A Satisfied Mind“ erklärt uns Dylan dass er zufrieden und zuversichtlich ist, „Saved“ löst die Spannung auf, Gott ist der Grund, Halleluja!
Den Country- und Bluegrass-Gospels wendet sich Dylan dann Ende der 90er wieder zu. In seinen Konzerten spielt er regelmäßig zu Beginn eine Reihe von akustischen Stücken, darunter alte Bluegrass- und Countrynummern wie „Hummingbird“, „Rank Strangers To Me“, „Searching For A Soldiers Grave“ sowie Country-Gospels wie „White Dove“, „Halleluja (I’m Ready To Go)“ und eben auch wieder “ A Satisfied Mind“. In diesen Jahren arbeitet er auch mit Ralph Stanley zusammen und nimmt mit Ihm zusammen das Duett „The Lonesome River“ auf. Und wieder einmal ist Dylan dem Zeitgeist eine Nasenlänge voraus gewesen. Im Jahr 2000 wird der Bluegrass plötzlich wieder aktuell durch den Soundtrack zu „Oh Brother, Where Art Thou?“.
Willie Nelson und Merle Haggard
Dass Dylan, zeitlebens ein Mensch, der sich nie irgendwo für längere Zeit einordnen lassen wollte, stets Sympathien für die Outlaw-Bewegung hegte, liegt auf der Hand. Neben Cash hat er die stärkste Beziehung über die Jahre zu Willie Nelson und Merle Haggard aufgebaut.
Mit Willie Nelson verbindet Dylan spätestens seit dem gemeinsamen Gründertagen des Farm Aid-Konzertes eine Freundschaft. Dylan, dessen Auftritt 1985 beim Live Aid-Concert zum Antiklimax des perfekt durchorganisierten Pop-Events wurde, zog obendrein noch viel Kritik auf sich, als er in einer Zwischenansage darum bat, doch nur einige wenige Millionen der Einnahmen des Benefiz-Events an die notleidenden Farmer des amerikanischen Heartlands zu überweisen.
Die Vorwürfe prallten umso mehr an ihm ab, als nur wenige Monate später Willie Nelson und John Mellencam“Farm Aid“ ins Leben riefen. Das rauschende Kozert-Ereignis in Champaign/Illinois war nicht nur eine persönliche Befriedigung für Dylan, es war sogar ein Ausrufezeichen seiner künstlerischen Leistungsfähigkeit nach dem Minus-Erlebnis beim Geldof-Festival. Mit Tom Petty sollte das der Beginn einer produktiven langjährigen künstlerischen Beziehung sein, die zu den besseren Dylan-Momenten der 80er Jahre gehört.
Die Zusammenarbeit mit Willie Nelson fand Anfang der 90er zu einem Höhepunkt. Nelson coverte für sein Album „Across the Borderline“ nicht nur Dylans „What Was It You Wanted“, sondern sie schrieben auch gemeinsam den Song „Heartland“, der die Thematik auf der Farm Aid fußte, noch einmal zusammen fasste, und spielten ihn für „Across The Borderline“ ein. Nelson spielte „Wanted“ bei Dylans 30. Plattenjubiläum, der revanchierte sich mit einem Auftritt bei Nelsons 60. Geburtstag. In den letzten Jahren ging er auch mehrmals mit Nelson auf Tour, dabei war u.a. auch stets John Mellencamp und somit die Farm Aid-Gründer wieder vereint.
Die Beziehung zu Merle Haggard verdient auch eine besonderen Beschreibung. Haggard war ja ein talentierter, anerkannter Countrysänger gewesen, der sich u.a. durch die Erinnerung an Werk und Bedeutung von Jimmie Rodgers hervor getan hatte, ehe er mit seinem Anti-Hippie-Spottlied „I’m An Okie From Muskogee“ polarisierte. Zwar ließ sich Freigeist Haggard von den ultrakonservativen Kreisen nicht instrumentalisieren, folgte aber einer Einladung Präsident Nixons ins Weiße Haus. Über die Jahre hat sich Haggard dann aber immer wieder kritisch mit den konservativen Kreisen Amerikas auseinandergesetzt. In der Anerkennung für dessen Songwriter-Künste waren sich ohnehin auch politisch und kulturell von Haggard weit entfernte Musiker wie Joan Baez oder die „Grateful Dead“ stets einig. Und für Dylan war wohl vor allem auch die Übereinstimmung in der Verehrung von Jimmie Rodgers ausschlaggebend für die Annäherung an Haggard. 2005 gingen sie gemeinsam auf Tournee. Zwar standen sie nie zusammen auf der Bühne, doch Dylan sang mehrmals Haggards „Sing Me Back Home“. 2006 setzte er Haggard dann sogar Haggards „Working Man’s Blues“ ein Denkmal, indem er für das Album „Modern Times“ den Song „Working Man’s Blues #2“ aufnahm.
Jimmie Rodgers
Dylans Verehrung zu Jimmie Rodgers begleitet seine Karriere von Anfang an. Schon früh spielte er bei seinen Auftritten Songs von Rodgers und sein eigener Song „Only A Hobo“ ist eindeutig aus dem Kontext des „Singin‘ Brakeman“ inspiriert. 1985 hob er Rodgers in einem Interview als einer seiner wichtigen Inspirationsquellen hervor und erinnerte an seine Pionierleistung für die Verbindung von Countrymusik und Blues. 1992 nahm Dylan in den sogenannten „Bromberg Sessions“ Rodgers Heimweh-Lamento „Miss The Mississippi And You“ auf, dass erst 2008 auf „Tell Tale Signs“ offiziell veröffentlicht wurde. Und 1997 dann dokumentierte Dylan seine Wertschätzung für Rodgers, in dem er auf seinem eigenen Egypt-Label ein Tribute-Album für Jimmie Rogers produzierte, auf denen neben seinem eigenen Songbeitrag „Blue Eyed Jane“ viele bekannte Kollegen mit Songsversionen von Pretiosen des Urvaters der Countrymusik mit von der Partie sind.
In den Jahren 2003 und 2004 greift Dylan das Rodgers-Thema dann noch zweimal auf. Rund um einer Neufassung seines Blues-Gospels „Gonna Change My Way of Thinking‘ baut er für eine Aufnahme zu dem Album „Gotta Serve Somebody – The Gospel Songs of Bob Dylan“ eine Rahmenhandlung mit seiner Duett-Partnerin Mavis Staples ein, die der berühmten Radio-Aufnahme von „Jimmie Rodgers Meets The Carter Family“ nachempfunden ist. Und in seinen Chronicles erzählt er davon, dass er schon im Elternhaus seiner Jugendfreundin Echo Helstrom den Aufnahmen des „Blue Yodelers“ gelauscht habe.
Epilog: Das Hank Williams-Projekt
Seit einigen Jahren erzählt man sich in Dylan-interessierten Kreisen über das Hank Williams-Projekt. Im Jahr 2004 hat Bob Dylan von Vertretern des Hank Williams-Nachlasses die sogenannten „Shoebox-Lyrics“ erhalten, mit der Erlaubnis und der Bitte, diese Texte zu vertonen. Dylan machte sich an die Arbeit und lud Kollegen ein, die Songs aufzunehmen. In den folgenden Jahren erhält man nun immer wieder Hinweise auf Plattenaufnahmen von Musikerkollegen, die Dylan für dieses Projekt gewinnen konnte. So sollen u.a. Alan Jackson, Lucinda Williams, Norah Jones, Willie Nelson, Jack White, Vince Gill, Rodney Crowell und Sheryl Crow Aufnahmen zu dem Projekt beigesteuert haben. Lucinda Williams und Norah Jones haben ihre Beiträge „I’m Happy I Found You“ und „How Many Times Have You Broken My Heart?“ auch schon in Konzerten öffentlich vorgetragen und im vergangenen Jahr äußerte sich Jack White darüber, dass er nicht wisse, was aus dem Projekt geworden sei und hoffe, dass das Album doch noch irgendwann erscheine.
So schließt sich also der Kreis von Dylans musikalischer Horizonteröffnung durch Hank Williams bis hin zur Vertonung nachgelassener Texte der Country-Ikone. Es wäre typisch Dylan, würde er mitten hinein die Lobhudeleien anlässlich seines Siebzigsten eine Platte zu Ehren eines seiner großen Vorbilder veröffentlichen. Wir würden es uns wünschen.