Kris Kristofferson: Feeling Mortal
Kann man ein Album besprechen, das man nie gehört hat? Ich habe mir diese Frage nie gestellt, bis eben. Und bevor jetzt Jemand sagt, „Was macht der denn da?“ – nein nein, ich habe mir dieses Album angehört, natürlich, so wie jedes Album von Kris Kristofferson. Und nicht nur ein Mal. Wie also komme ich dann auf diese Frage?
Zum ersten Mal habe ich das große Vergnügen, ein Album dieses genialen Songwriters besprechen zu dürfen. Ich habe mich gefragt, was ich an ihm schätze, und was mir an ihm nicht gefällt. Als mir zu der zweiten Frage keine Antwort einfiel, war mir klar, dass die Aufgabe, dieses Album neutral zu besprechen, keine leichte Angelegenheit werden würde. Also ran ans Werk!
76 Jahre ist er alt, der Mann, dessen Songs seit Jahrzehnten Künstler und Konsumenten gleichermaßen faszinieren. Wer hat ihn nicht alles gecovert in den letzten gut 40 Jahren! Nun liegt also ein neues Album des Texaners, der mittlerweile auf Hawaii lebt und gerade eine ausgedehnte Europatournee beginnt, die ihn auch nach Deutschland bringen wird, im CD Player.
„Wide awake and feeling mortal in this moment of the dream“, so beginnt die Scheibe, ohne Intro. Kris ist sofort da, sehr direkt, und das fasziniert. Er beginnt das Album mit dem Titelsong, und er erzählt von seiner eigenen Sterblichkeit und dem Ende seiner Tage. Das erinnert schon massiv an die letzten Alben seines Freundes Johnny Cash, auch wenn der Unterschied der ist, dass Johnny Cash, von Krankheit gezeichnet, mit brüchiger Stimme, den Tod bereits vor Augen hatte und sich für diese Alben reichlich, allerdings auf seine unverwechselbare Art, bei anderen Songwritern bediente, während Kris Kristofferson uns ein Paket aus zehn Songs aus eigener Feder geschnürt hat.
Es sind wunderbare Songs, und aus vielen von Ihnen spricht die Weisheit des Alters, so könnte man meinen. Das mag sicher richtig sein, wären da nicht die ganzen Songs seiner Karriere, in denen man die Weisheit des Alters schon in jungen Jahren fand. Und, typisch für diesen genialen Songwriter, die Melodien sind einfach, die instrumentelle Begleitung sparsam, aber wirkungsvoll, und die Texte, die Geschichten, seine Worte stehen im Mittelpunkt. Es ist die Art und Weise, wie er mit Worten umzugehen versteht, die seine Hörer und Fans (zu denen ich mich in vorderster Front gerne zähle) immer wieder seit über 40 Jahren in den Bann zieht.
Ob die 94-jährige Mama Stewart, die in ihrer Blindheit Dinge sieht, für die jüngere Menschen zu blind sind, oder das wunderschöne „Just Suppose“. Da geht es um die Geschichte, in der ein Mann eine Frau, die er betrogen und verlassen hat, wieder zurück gewinnen möchte. Er hat sie verletzt, seine Fehler sind ihm bewusst geworden, und er glaubt, sie wartet immer noch auf ihn, und der Freund sagt ihm, ja, er könne ihn verstehen. Doch er habe ihr zu viel Zeit gegeben, jemand Neuen zu finden, und der Freund muß ihm mit auf den Weg geben: „Du kannst nicht erwarten, dass ich Dir die Liebe zurück gebe, die Du weggeworfen hast, aber stell Dir bloß mal vor, Du würdest sie jetzt so lieben wie ich sie liebe, was würdest Du an meiner Stelle tun?“ Das sind genau die Wendungen, wie man sie von diesem unglaublichen Songwriter kennt, erwartet, und natürlich auch immer wieder bekommt. Und auch dieses Album ist voll davon.
Man muß sich auf ihn einlassen, sein Herz öffnen und sich von seiner bewegten Stimme mitnehmen lassen auf eine Reise in seine Gedanken. Kris Kristofferson fasziniert, gestern wie heute. Es gibt viele großartige Songwriter, in vielen Musikrichtungen. Manche schreiben Songs, damit sie hoffentlich Hits werden, und wer weiß, was von ihnen seitens der Musikindustrie erwartet wird. Kris Kristofferson schreibt, was ihm auf der Seele brennt, und er hat diese unverwechselbare Art, mit Worten zu spielen. Viele seiner Songs waren Welthits, und erst die Zeit wird zeigen, was aus den Songs aus diesem Album wird.
Fazit: Kris Kristofferson wurde oft nachgesagt, er könne nicht singen. Darüber mag man trefflich streiten, aber ist das relevant? Es ist gut, dass es ihn gibt! Ich habe seit jeher behauptet, dass nur er selbst mit seiner Stimme seinen Songs die wahre Tiefe geben kann. Kris Kristofferson macht keine „schöne Musik“. Das hat er nie, und das wird er nie. Und das braucht er auch nicht. Kris Kristofferson zielt mit seiner Musik nicht auf die Charts, sondern auf die Herzen seiner Hörer. Vor Jahren hat er seinem Freund Johnny Cash mit dem Song „Good Morning John“ ein Denkmal gesetzt. Vielleicht wird es Zeit, ihm ein Denkmal zu setzen, wenn er das nicht schon selbst getan hat. „Feeling Mortal“ ist ein weiterer Baustein.
Trackliste:
01. Feeling Mortal |