Brad Paisley: Wheelhouse (Deluxe Version)
„Du musst selbst zu der Veränderung werden, die du in der Welt sehen willst“, sagte einst schon Mahatma Ghandi. Wenn man das auf das neue Album Wheelhouse von Brad Paisley überträgt, möchte dieser also einiges verändern – vielleicht nicht zwangsläufig im gesamten Countrygenre, aber zumindest in seiner eigenen musikalischen Welt. Dabei war die doch ohnehin noch nie besonders eng gesteckt.
Experimentiert hat er eigentlich immer schon hier und da in einzelnen Songs – man denke nur an die Marching Band am Ende seines 2007er Hits „Online“ oder die 80er Jahre-typischen Synthesizer in „Welcome To The Future“ von 2009. Und nachdem er sich 2011 mit „This Is Country Music“ zwar hochqualitativ, jedoch wenig risikofreudig zeigte, steht jetzt also ein ganzes Album unter dem Motto Veränderung.
Regeln soll es keine gegeben haben bei den Aufnahmesessions. Alles sollte so auf die Platte, wie das Bauchgefühl es für richtig befand und ohne sich dabei die Frage zu stellen, ob man das jetzt so darf oder nicht. Und damit dem guten Brad da diesmal auch keiner überall reinquatscht, wurde Frank Rogers (immerhin seit Paisleys Karrierebeginn 1999 fester Stammproduzent und musikalischer Partner In Crime) gleich erstmal vorläufig beurlaubt. Dafür durfte als Associate Producer erstmals Brads langjähriger Banjospieler und festes Bandmitglied Kendal Marcy ran – den Hauptjob nahm er lieber gleich selbst in die Hand.
Nach einem kurzen Intro macht die Vorabsingle „Southern Comfort Zone“ den Anfang. Musikalisch lassen sich Elemente von Coldplay ausmachen – die opulenten Chöre der Brentwood Baptist Church sorgen mit dem alten Traditional „Dixie“ passend dazu für ein dichtes Klangbild, das stellenweise allerdings etwas transparenter hätte ausfallen können. Die darin geschickt platzierten Elemente von u.a. Grand Ole Opry-Ansager Eddie Stubbs und der Andy Griffith Show drohen dadurch nämlich leider etwas unterzugehen und nicht richtig wahrgenommen zu werden. Inhaltlich geht es hier darum, seine eigene Komfortzone zu verlassen. Obwohl damit eher die regionale Begrenzung der Südstaaten gemeint ist, funktioniert das Ganze auch als eine Art Mottosong für dieses Album. Im übertragenen Sinne also „sich aus dem eigenen vertrauten Umfeld bewegen“. Der berühmte namensgebende Likör wird übrigens mit keinem einzigen Wort erwähnt …
Weiter geht’s mit der zweiten Singleauskopplung „Beat This Summer“, einer relaxten und sonnigen Nummer mit besten Chancen auf das Prädikat „Sommerhit 2013“. Besonders interessant ist hier der Einsatz der Steelguitar, der an das aus dem Hip-Hop- und Dance-Bereich bekannte Scratchen erinnert. Ein neuer Sound für ein tolles Instrument!
Beim darauf folgenden „Outstanding In Our Field“ dürfen dann gleich drei namhafte Gäste zur Songveredlung beitragen: Dierks Bentley, Hunter Hayes (nur an der Gitarre) und – Trommelwirbel – der bereits 1992 verstorbene Roger Miller. Eine Zusammenarbeit mit Bentley war ohnehin schon längst mal überfällig und man wundert sich fast, wieso das überhaupt so lange gedauert hat, aber wie soll das bitte mit Roger Miller funktioniert haben? Die Antwort ist ganz einfach und lautet Sampling. Erinnert sich noch jemand an dessen 1964er mit einem Grammy ausgezeichneten Hit „Dang Me“? Genau, der. Und dieser markante fast schon stotternde Part, der weder Wort noch Musik ist, der wurde hier gesamplet und neu verpackt. Jeder halbwegs an technischen Spielereien interessierte Popmusiker hat sowas seit den 80er Jahren schon mal gemacht, im Countrygenre betritt Paisley damit allerdings relatives Neuland.
Im weiteren Verlauf des Albums fühlt man sich ein bisschen wie Thomas Gottschalk, wenn er in einer seiner bunten Colorado-Tüten herumfingert: ein buntes Durcheinander zwar, aber die Lakritzschnecke ist immer oben links! Will sagen: es gibt viel zu entdecken, aber der Countryanteil kommt dabei nie zu kurz. Egal ob’s ein netter Popsong ist wie „Pressing On A Bruise“, bei dem Singer-Songwriter Mat Kearney einen Gastauftritt hat, oder die anfangs nur akustische Ballade „I Can’t Change The World“, bei der Brads Stimme so nah wie noch nie aus den Boxen tönt.
Paisley sorgt auch für musikalische Globalisierung, indem er asiatische Klänge auf dem leider viel zu kurz geratenen Instrumental „Onryo“ einbaut, das aber ohnehin nur als Einleitung zum Song „Karate“ dient. Hier geht es um eine Frau auf Rachefeldzug, die Opfer häuslicher Gewalt geworden ist und daraufhin einen Karatekurs besucht, um es schließlich mit ihrem Angetrauten aufnehmen zu können. Ein sehr humorvoll verpacktes ernstes Thema, das zwar vorher schon ähnlich von Miranda Lambert (Gunpowder & Lead), Martina McBride (Independence Day) oder den Dixie Chicks (Goodbye Earl) verarbeitet worden ist, hier aber erstmals von einem männlichen Countrykünstler aufgegriffen wird und dank Countrylegende Charlie Daniels noch weitere Auflockerung erfährt.
Das britische Monty Python-Mitglied Eric Idle sorgt mit seiner gewohnten Art auf dem Doppelpack „Death Of A Married Man“/“Harvey Bodine“ für typische Komik. „Tin Can On A String“ ist eine schöne Ballade mit Blueselementen, die jedoch anfangs eher unauffällig bleibt, während „Death Of A Single Man“ lässig swingt und auch ein textliches Highlight darstellt. „The Mona Lisa“ verbreitet Stadtionrock-Atmosphäre mit breiten Chören und Mitsingparts. Nur drei Minuten später findet man sich dagegen bei Rapper LL Cool J wieder, der auf dem bereits jetzt schon viel diskutierten „Accidental Racist“ für den kulturellen Ausgleich sorgt, indem er und Brad aus ihrer jeweiligen Perspektive die immer noch herrschende Problematik der Südstaatenflagge und den heutigen Umgang mit ihr und der damit verbundenen, teils dunklen Geschichte der Südstaaten beschreiben.
Das anschließende „Runaway Train“ sorgt mit Bluegrass-Elementen und rasanten Instrumentalpassagen wieder für Auflockerung. „Those Crazy Christians“ könnte ein weiterer Song sein, der zur Diskussion anregt. Normalerweise gab es an dieser Stelle auf jedem Paisley-Album einen alten Gospelklassiker zu hören – diesmal nimmt diese Funktion dieser humorvoll-kritische, aber stets respektvolle Blick auf den teils widersprüchlichen Lebensstil christlicher Menschen ein. Da jedoch auch die positiven Aspekte erwähnt werden, bleibt am Ende eine versöhnliche Grundstimmung erhalten.
Mit dem hymnischen, von großen Chören begleitete „Officially Alive“ findet der offizielle Teil des Albums bzw. die Standard-Ausgabe seinen/ihren Abschluss. In der Deluxe Edition warten noch vier Bonustracks auf den geneigten Fan und Hörer.
„Yankee Doodle Dixie“ ist nicht mehr als ein Intermezzo, passt aber insofern ins Konzept, da es das Dixieland-Thema aus „Southern Comfort Zone“ wieder aufnimmt und gleichzeitig eine Überleitung bzw. Trennung vom offiziellen Albumteil in die Bonus-Section darstellt. „Facebook Friends“ wirkt ein bisschen zerrissen, eine klare Botschaft schafft der Song nicht zu übermitteln und könnte insgesamt auch musikalisch spannender sein. „Get Even“ ist da schon wieder ein ganz anderes Kaliber. Lange her, dass man von Brad so konsequent guten Bakersfield-Sound gehört hat. Buck Owens und Don Rich werden im Hillbilly Heaven mitwippen, wenn sie diese californische Happy-Steelguitar bzw. diese hüpfenden Gitarrenlicks hören und dabei erkennen, dass ihr Erbe in solch guten Händen weitergetragen und zu neuem Leben erweckt wird. Eine Acoustic-Version von „Southern Comfort Zone“, die im Vergleich zur Studioversion weniger überladen wirkt, schließt das Album endgültig ab. Interessant, wie der Song hier sofort einen ganz neuen, fast schon andächtigen Charakter bekommt.
Famous Last Words: „Dieses Album mag nichts für jeden sein“, räumt Brad schon in den Begrüßungsworten auf der Booklet-Innenseite ein. Das ist sicherlich richtig. Man sollte sich schon auf eine kleine, teils größere musikalische Reise einlassen. Bei strikten Traditionalisten fliegt das Album also sicherlich schon vor Ablauf der kompletten Spielzeit aus dem Player. Wer bisher ein Fan von Brad Paisleys Musik war, für den wird sich das auch bei dieser CD nicht ändern. Er hat zwar experimentiert, riskiert und erstmals auch selbst produziert, aber sein beliebter und typischer Stil ist dennoch stets allgegenwärtig und unverkennbar. Und es ist egal, wie weit er sich rauswagt, am Ende eines jeden Songs bleibt immer nur ein Urteilsspruch: „Country“, im Sinne der Anklage!
Die CD Wheelhouse – Deluxe Version – Bestellen, Format, VÖ. und Label:
Trackliste: 01. Bon Voyage |