Look Again To The Wind – Johnny Cash’s Bitter Tears Revisited
Diese Überschrift sagt schon deutlich, worum es geht, oder? 50 Jahre ist es her, dass Johnny Cash inmitten der Zeit des Folk Revival sein kontroverses Album über die Ureinwohner Amerikas herausbrachte. Und offenbar sehen viele dieses Album als wichtiges Album, als Meilenstein an.
Zumindest ist es mutig, im Jahre 1964, inmitten des ausbrechenden Rassenkonfliktes in den Südstaaten der USA, ein Album über die Thematik der Indianer aufzunehmen und zu veröffentlichen. Schulterklopfer gab es dafür wohl keine seinerzeit. Gut, es gab eine Nummer 2 in den Country-Charts mit „The Ballad Of Ira Hayes“, aber auch erst, nachdem Johnny Cash persönlich einen Brief als ganzseitige Anzeige im Magazin Billboard schaltete, in dem er die Radio-DJs aufforderte, Mut zu zeigen und den Song zu spielen. Und natürlich gab es für ihn Ärger mit dem Ku Klux Clan.
Ich erinnere mich an einen Nachmittag Ende Juli 1984. Ich befand mich im damaligen Wohnhaus von Marty Stuart, das, wie ich erst später erfuhr, das ehemalige Wohnhaus der Eltern von June Carter gewesen war. Marty zeigte mir voller Stolz das originale Foto des Covers von „Bitter Tears“, natürlich gerahmt an der Wand. Dieses Album war damals schon eine gesuchte Rarität unter den Sammlern, und es wurden horrende Summen gefordert und bezahlt seinerzeit.
Nun gibt es also eine neue Be- bzw. Verarbeitung dieses Materials. Joe Henry, ein ausgemachter Experte für Roots Music, hat das Album produziert. Kris Kristofferson, Emmylou Harris und Norman Blake sind dabei, drei Künstler aus dem engeren Umfeld von Johnny Cash. Dazu gesellen sich Steve Earle, Gillian Welch, Dave Rawlings, Blakes Ehefrau Nancy, Rhiannon Giddens von den Carolina Chocolate Drops, Kenneth Pattengale und Joey Ryan, also dem Folk-Duo „The Milk Carton Kids“ sowie Bill Miller, einem Indianer, der sich einem Song zuwendet, der auf dem originalen Album nicht vertreten war, nämlich dem Titelsong dieser Neuauflage (geschrieben von Peter LaFarge). Eine illustre Runde, von alt bis jung, quer durch das Territorium der Americana Musik.
Und sie machen ihre Sache gut! Kris Kristofferson bearbeitet „The Ballad Of Ira Hayes“, und das war zu erwarten. Schmunzeln musste ich, als ich mir „Custer“ anhörte. Irgendwie war klar, dass Steve Earle genau diesen Song singen würde. Peter LaFarge, ein indianischer Folk Sänger und Songwriter, der Anfang der 1960er Jahre in Greenwich Village auftauchte, und dessen Material den Großteil des Albums von Johnny Cash ausmachte, hat auch diesen Song verfasst, der den legendären General der US-Kavallerie, der in der Schlacht am Little Big Horn sein Leben verlor, lächerlich macht.
Natürlich klingen die Songs anders. Alle Künstler hier geben diesem Material einen anderen Ausdruck als der Man in Black das seinerzeit tat, aber ebenso erreichen alle Künstler auch die Tiefe, um das Material würdig auferstehen zu lassen. Es ist schon bemerkenswert, dass man sich dieses Albums angenommen hat, ist es doch ein Werk, dass so wenig Beachtung fand über die Jahre. Als wichtig angesehen, in Artikeln oft erwähnt, aber wer wüsste denn, welche Songs wirklich auf diesem Album sind („Ira Hayes“ mal ausgenommen), und worum es in den einzelnen Songs geht?
Gebrochene Verträge seitens der US-Regierung, nicht eingehaltene Versprechen, und die Unterdrückung der Ureinwohner der USA, der respektlose Umgang mit diesen großen Völkern – all diese Themen sind auch heute noch so aktuell wie vor 50 Jahren. Und deshalb ist es gut, dass sich die genannten Künstler unter der Führung von Joe Henry genau dieses Materials angenommen haben. Leider ist zu befürchten, dass ihr Ruf ähnlich ungehört verklingt wie der von Johnny Cash vor 50 Jahren.
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Künstler / Albumtitel: Look Again To The Wind – Johnny Cash’s Bitter Tears Revisited Format / Label / Veröffentlicht: CD & Digital (Masterworks, Sony Music 2014) |
Trackliste:
01. As Long As The Grass Shall Grow – Gillian Welch, David Rawlings |