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Bob Dylan feat. Johnny Cash: Travelin‘ Thru (1967 – 1969) – Bootleg Series 15

Darauf haben viele gewartet. Die Dylan/Cash-Sessions von 1969 sind jetzt endlich offiziell veröffentlicht, dazu Outtakes von John Wesley Harding sowie Aufnahmen von Bob Dylan aus Cashs TV-Show und mit Earl Scruggs. Die neue Folge der Bootleg Series nimmt Dylans Country-Phase in den Fokus. Lesenswerte Liner Notes von Colin Escott und Rosanne Cash.

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Bob Dylan - The Bootleg Series Vol. 15: Travelin' Thru Bob Dylan - The Bootleg Series Vol. 15: Travelin' Thru. Bildrechte: Legacy, Sony Music

Als am 17 Februar 1969 Bob Dylan und Johnny Cash zusammen ihre Aufnahmesessions im Columbia Studio A in Nashville, Tennessee beginnen, da wächst zusammen was entgegen landläufiger Ansicht so gar nicht zusammengehört. Die singende Ikone der Gegenkultur macht gemeinsame Sache mit dem Star der konservativen Countrymusik. Doch wie immer liegen auch hier die Dinge nicht so einfach, und den jüdischen Jungen aus Minnesota im Norden und den Baptisten-Sohn aus Arkansas im Süden verbindet mehr als mancher denkt.

Ikone der Gegenkultur trifft Star der Countrymusik

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Bob Dylan hat sich als junger Bobby Zimmerman sich mittels der Grand Ole Opry Radioshow und der Musik von Hank Williams aus der unwirtlichen Iron Range weggeträumt und Johnny Cashs „I Walk The Line“ beeindruckte ihn sehr. Und als er nach seinem Motorrad-Unfall aus dem Rock-Zirkus ausstieg und dem Land- und Familienleben frönte, da suchte er nach geeigneten, einfacheren und geerdeten musikalischen Ausdrucksformen. Und fand sie wieder in der Countrymusik. Hatte er vorher so im Frühjahr und Sommer 1967 zusammen mit The Band im Keller von Big Pink in Woodstock das Americana erfunden, 1968 mit John Wesley Harding ein spartanisches Country-Folk veröffentlicht, war er 1969 nun mitten im Herzen Nashvilles angekommen. Wo er im Übrigen schon 1966 mit den örtlichen Session Musikern, den „Nashville Cats“, sein Doppelalbum „Blonde on Blonde“ aufgenommen hatte.

Und Johnny Cash war ein früher Bob Dylan-Fan. Unterstützte den jungen Künstler als den ihre gemeinsame Plattenfirma Columbia bereits nach der ersten Platte wieder rausschmeißen wollte. Cash hörte nach eigener Aussage Dylans Erfolgsalbum „The Freewheelin‘ Bob Dylan“ rauf und runter, legte es sogar in den Pausen seiner eigenen Konzerte auf. Und sprang Bobby abermals bei, als ihn die Folkszene vorwarf nicht mehr politisch sein zu wollen. Cash verstand sich seinerzeit viel mehr als Folksänger denn als Countrymusiker und begann Topical Songs zu schreiben und Konzept-Alben aufzunehmen.

Hohe gegenseitige Wertschätzung

Beide wussten um die gemeinsamen Wurzeln in der alten amerikanischen Folkmusik. Und schätzten einander sehr. Da war es naheliegend, dass Dylans Producer Bob Johnston den Zufall, dass bei Tür an Tür in Nashville mit Plattenaufnahmen ausnutzte, um die beiden zu gemeinsamen Sessions zusammenzubringen. Dass am Ende nur ein Song, „Girl From The North Country“, auf Dylans „Nashville Skyline-Album“ Platz fand, tut der Tatsache keinen Abbruch, dass hier eine „Revolution“ vor sich ging, wie es Rosanne Cash in den Liner Notes zu „Travelin‘ Thru“ schreibt. Denn die beiden in der öffentlichen Wahrnehmung als Gegenpole wahrgenommenen Künstler veränderten durch ihre gemeinsam die Landkarte der amerikanischen Musik nachhaltig. Und wie das öffentlich wurde, das war der Bedeutung mehr als angemessen: Ausgerechnet in der „Mother Church Of Country Music“, im Ryman Auditorium in Nashville, mitten im konservativen „Bible Belt“, mutete Johnny Cash seinem Publikum in seiner neuen TV-Show die Galionsfigur der Gegenkultur zu. Der Hammer! Zwar murrten beide Lager heftig, aber die Vermischung von Country und Rock und damit von zwei Kulturen war schon mitten im Werden. Nach Bob Dylan nahmen viele weitere Folk- und Rockmusiker in Nashville auf. Die Byrds, Gram Parsons und andere prägten den Country-Rock, der mit seinen verschiedenen Spielarten auf fruchtbaren Boden fiel. Doch Dylan hatte sein Country-Ding durchgezogen. 1970 spielte er zwar mit der Bluegrass-Legende Earl Scruggs, doch mit seinem Album „New Morning“ war er musikalisch schon wieder auf einem anderen Trip.

Travelin‘ Thru

Volume 15 der Bootleg Series besteht aus drei Silberlingen. Disc 1 enthält Outtakes und Alternate Tracks von den Dylan-Sessions zu „John Wesley Harding“ und „Nashville Skyline“, Disc 2 und 3 die Dylan-Cash-Sessions, ergänzt auf Disc 3 durch die Aufnahmen der Johnny Cash-Show und von Sessions mit Earl Scruggs.

Die technische Qualität der Tracks ist hervorragend, da ist nochmal viel herausgeholt worden. Die Alternate Takes hören sich durch die Regel gut an. Die beiden Schmankerln von CD 1 sind zum einen das so noch nicht gehörte „I Pity The Poor Immigrant“, schneller und härter und weniger subtil als in der Fassung, die es dann auf die Platte geschafft hat. Und zum anderen „Western Road“, ein bislang unveröffentlichter Song von den „Nashville Skyline“-Sessions. Der hat trotz des Titels aber nichts mit dem Westen oder Western zu tun, sondern ist ein klassischer Blues, der davon erzählt, sich von Baltimore auf den Weg nach Chicago zu machen.

Die Dylan-Cash-Sessions sind jetzt endlich offiziell in der Welt und tatsächlich hören sie sich nicht nur wegen der technischen Nachbearbeitung besser an, als gedacht. Nicht alle, aber ein paar weitere Songs hätten es schon verdient gehabt, bereits viel früher das Licht der Öffentlichkeit zu erblicken. „One Too Many Mornings“ beispielsweise oder „I Still Miss Someone“. Andere, deutlich weniger Tracks, haben es eigentlich verdient, jahrelang versteckt worden zu sein. Das seltsam lahme Jimmie Rodgers Medley oder das überhaupt nicht funktionierende „Five Feet High And Rising. Das ist Spielerei und Geplänkel.

Absolut nicht in diese Kategorie fällt aber das seltsame Duett, dass die beiden singen, als Cash und Dylan zur gleichen Melodie unterschiedliche Texte vortragen. Dylan singt Cashs „Understand Your Man“, Cash intoniert dagegen „Don’t Think Twice“, auf dessen Melodie er ja seinen neuen Text geschrieben hatte. Als Verbeugung vor Dylan wie Rosanne in den Liner Notes betont. Ein klarer Fall von „Diebstahl aus Liebe“ und schon immer gültiges Grundprinzip der Folkmusik. Wie die beiden sich hier der Musik des jeweils Anderen voller Verehrung zuwenden, ist einfach genial. Große Künstler treffen sich hier in ihrer Kunst und der Raum ist ausgefüllt mit Respekt, künstlerischer und menschlicher Zuneigung.

Auf der dritten CD sind dann nochmals die Tonspuren zweier TV-Ereignisse versammelt. Dylans Auftritt in Cash TV-Show war, wie die Platten-Sessions auch, geprägt von einem sehr linkischen, fast schon aufgeregt wirkenden Dylan und einem bärigen, fast schon wie ein väterlicher Freund daherkommenden Cash. Wenn man das vergleicht mit Bildern der beiden aus den Mittsechzigern ist das ein totaler Gegensatz. Damals war Dylan auf der Höhe seiner Kunst und Cash hatte Sucht- und Karriereprobleme, nun war Cash auf einem erneuten Karriere-Hoch und Dylan schien seltsam unbestimmt und auf der Suche.

Souveräner war das dann schon wieder bei Earl Scruggs, denn es war intimer Rahmen beim Musizieren und kein vollbesetztes Ryman Auditorium und kein Millionenpublikum an den TV-Geräten, die Filmaufnahmen wurden erst später veröffentlicht. Earl Scruggs hatte als einer ersten Bluegrass- und Countrykünstler zusammen mit seinem Partner Lester Flatt Dylan-Songs aufgenommen, was aber letztlich das Erfolgsduo Flatt & Scruggs platzen ließ. Denn der gute Lester hatte irgendwann keine Lust mehr auf das „Hippie-Zeug“. Scruggs jedoch öffnete sich später noch weiter der Musik der jungen Generation. Sein Enkel Chris spielt übrigens heute in der Band von Marty Stuart, der sowohl mit Cash, als auch mit Dylan freundschaftlich zusammengearbeitet hat und eine Zeit lang auch Cashs Schwiegersohn war.

Fazit: Eine der schönsten Ausgaben der Bootleg Series. Das Album gewinnt daraus, dass eine Reihe von Aufnahmen nicht mehr existieren oder scheinbar verloren sind, so dass die Macher nicht in die Versuchung kamen, auch noch das 357. Outtake von „Girl From The North Country“ mitzunehmen. So kann man das Album doch tatsächlich auch bei einer Autofahrt oder im Zug hören, denn es hat auch einen hohen Unterhaltungswert und nicht nur eine musikhistorische Bedeutung. Und dazu sind die Liner Notes von Rosanne Cash und Musikjournalisten-Legende Colin Escott absolut lesenswert. Sehr schön!

The Bootleg Series Vol. 15: Travelin‘ Thru: Das Album

The Bootleg Series Vol. 15: Travelin' Thru

Titel: The Bootleg Series Vol. 15: Travelin‘ Thru
Künstler: Bob Dylan feat. Johnny Cash
Veröffentlichungstermin: 1. November 2019
Label: Legacy
Vertrieb: Sony Music
Formate: 3er CD-Box, 3er LP-Box & Digital
Laufzeit: 173:46 Min.
Tracks: 50
Genre: Country, Folk, Folk-Rock

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Trackliste: (1)

01. Bob Dylan – Drifter’s Escape
02. Bob Dylan – I Dreamed I Saw St. Augustine
03. Bob Dylan – All Along The Watchtower
04. Bob Dylan – John Wesley Harding
05. Bob Dylan – As I Went Out One Morning
06. Bob Dylan – I Pity The Poor Immigrant
07. Bob Dylan – I Am A Lonesome Hobo
08. Bob Dylan – I Threw It All Away
09. Bob Dylan – To Be Alone with You
10. Bob Dylan – Lay, Lady, Lay
11. Bob Dylan – One More Night
12. Bob Dylan – Western Road
13. Bob Dylan – Peggy Day
14. Bob Dylan – Tell Me That It Isn’t True
15. Bob Dylan – Country Pie

Trackliste: (2)

01. Bob Dylan & Johnny Cash – I Still Miss Someone
02. Bob Dylan & Johnny Cash – Don’t Think Twice, It’s All Right / Understand Your Man
03. Bob Dylan & Johnny Cash – One Too Many Mornings
04. Bob Dylan & Johnny Cash – Mountain Dew
05. Bob Dylan & Johnny Cash – Mountain Dew
06. Bob Dylan & Johnny Cash – I Still Miss Someone
07. Bob Dylan & Johnny Cash – Careless Love
08. Bob Dylan & Johnny Cash – Matchbox
09. Bob Dylan & Johnny Cash – That’s All Right, Mama
10. Bob Dylan & Johnny Cash – Mystery Train / This Train Is Bound For Glory
11. Bob Dylan & Johnny Cash – Big River
12. Bob Dylan & Johnny Cash – Girl From The North Country
13. Bob Dylan & Johnny Cash – Girl From The North Country
14. Bob Dylan & Johnny Cash – I Walk The Line
15. Bob Dylan & Johnny Cash – Guess Things Happen That Way
16. Bob Dylan & Johnny Cash – Guess Things Happen That Way
17. Bob Dylan & Johnny Cash – Five Feet High And Rising
18. Bob Dylan & Johnny Cash – You Are My Sunshine
19. Bob Dylan & Johnny Cash – Ring Of Fire

Trackliste: (3)

01. Bob Dylan & Johnny Cash – Studio Chatter
02. Bob Dylan & Johnny Cash – Wanted Man
03. Bob Dylan – Amen
04. Bob Dylan & Johnny Cash – Just A Closer Walk With Thee
05. Bob Dylan & Johnny Cash – Jimmie Rodgers Medley No. 1
06. Bob Dylan & Johnny Cash – Jimmie Rodgers Medley No. 2
07. Bob Dylan – I Threw It All Away (Live On The Johnny Cash Show)
08. Bob Dylan – Living The Blues (Live On The Johnny Cash Show)
09. Bob Dylan & Johnny Cash – Girl From The North Country (Live On The Johnny Cash Show)
10. Bob Dylan – Ring Of Fire
11. Bob Dylan – Folsom Prison Blues
12. Bob Dylan mit Earl Scruggs – Earl Scruggs Interview
13. Bob Dylan mit Earl Scruggs – East Virginia Blues
14. Bob Dylan mit Earl Scruggs – To Be Alone With You
15. Bob Dylan mit Earl Scruggs – Honey, Just Allow Me One More Chance
16. Earl Scruggs & Bob Dylan – Nashville Skyline Rag

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Über Thomas Waldherr (806 Artikel)
Redakteur. Fachgebiet: Bob Dylan, Country & Folk, Americana. Rezensionen, Specials.
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