Bob Dylan – Fragments: Time Out Of Mind Sessions (1996 – 1997): The Bootleg Series Vol. 17
Die neueste Folge von Dylans legendärer Bootleg Series blickt mit einer neuen Perspektive auf die Entstehung von „Time Out Of Mind“, dem preisgekrönten Comeback-Album von 1997.
Mit „Time Out Of Mind“ gelang Bob Dylan 1997 ein spektakuläres Comeback bei Kritikern und Publikum gleichermaßen. Die Jahre seit Mitte der 1980er waren schwere Jahre für ihn. Obwohl er seit 1988 auf seiner „Never Ending Tour“ von einer treuen Fangemeinde getragen wurde, auch in den Studios nicht untätig gewesen war („Oh Mercy 1989“, „Under The Red Sky“ 1990) und mit seinem „MTV Unplugged“-Album 1994 einen Achtungserfolg hatte: Dylan zehrte in der öffentlichen Wahrnehmung vor allem von seiner großen Bedeutung in den 1960er und 1970ern.
Erste neue Songs seit sechs Jahren
Als er Anfang 1996 auf seiner eingeschneiten Farm in Minnesota wieder begann, neue Lieder zu schreiben – seit „Under The Red Sky“ war da nichts mehr gekommen– begann das Kapitel „Comeback“. Zwischen seinen in diesen Tagen extensiven Tour-Abschnitten ging er von August bis Oktober 1996 zwischen seinen Tourabschnitten immer wieder in das Teatro Studio in Oxnard, Kalifornien, um Demo-Versionen der Songs aufzunehmen. Mit dabei Tony Garnier von seiner Tourband am Bass, Tony Mangurian (Drums and Percussion) und Daniel Lanois (Guitar und Orgel), dem Produzenten von „Oh Mercy“, dem letzten Album, das Kritik und Fans überzeugen konnte.
In Januar 1997 begann Dylan dann mit den Aufnahmesessions zu dem, was später „Time Out Of Mind“ werden sollte. In den Criteria Studios in Miami bestand das Session-Ensemble nun aus Musikern seiner Tourband mit Bucky Baxter (acoustic guitar, pedal steel), Tony Garnier und David Kemper (Drums) sowie den Gastmusikern Duke Robillard (Guitar, Electric Gibson L-5), Robert Britt (Martin Acoustic, Fender Stratocaster), Cindy Cashdollar (Slide Guitar), Augie Meyers (Vox Organ Combo, Hammond B3 Organ, Accordion), Jim Dickinson (Keyboards, Wurlitzer Electric Piano, Pump Organ) und den weiteren Drummern Jim Keltner und Brian Blade. Für die Produktion zeichnete Daniel Lanois verantwortlich.
Comeback-Album
Der Rest ist Legende. Nachdem Dylan im Frühjahr ernsthafte gesundheitliche Probleme wegen einer Herzbeutelentzündung hatte, war der am 30. September erschienene Longplayer gleich in zweifacher Hinsicht ein Comeback-Album. Die Rückkehr nach lebensgefährlicher Erkrankung – Dylan scherzte nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus: „Ich dachte schon, ich würde Elvis wiedersehen“ – sowie eine starke und überzeugende Wiederaufnahme seiner musikalischen Karriere.
Gleich drei Grammys – „Album Of The Year“, „Best Contemporary Folk Album“ und „Best Male Rock Vocal Performance“ für „Cold Irons Bound“ – holte das Album. Und Songs wie „Not Dark Yet“, „Love Sick“ oder “Make You Feel My Love“ wurden zu unsterblichen Dylan-Klassikern. Und Letzterer wurde auch ein Riesenerfolg in den Coverversionen von Adele, Billy Joel und Garth Brooks.
Dylans Zwiespalt
Doch später äußerte sich Dylan recht zwiespältig über Lanois Arbeit an diesem Album. Obwohl Dylan sich rund um die Veröffentlichung positiv über den Produktionsstil von Lanois geäußert hat, und der Erfolg des Album Lanois Recht zu geben schien, drückte Dylan danach seine Unzufriedenheit mit dem Sound von Time Out of Mind aus. Viele sahen tatsächlich in dem sehr mystisch aufgeladenen, sphärischen „Schattensound“ sowohl eine Ursache des Erfolges als auch eine Schwäche, weil sie Dylans Performance und Stimme in den Hintergrund drückte. Dylan jedenfalls produzierte seine nachfolgenden Alben als „Jack Frost“ kurzerhand selbst und knüpfte mit „Love And Theft“ (2001) und „Modern Times“ (2006) nahtlos an die Erfolge an, mehr noch, er steigerte sie sogar. Inklusive einer Aufnahme von „Mississippi“ nach seinem Gusto, die auf „Love And Theft“ erschien.
Neuer Mix, neue Perspektiven
So mag diese Unzufriedenheit vielleicht tatsächlich einer der Gründe sein für die Veröffentlichung des neuen Mixes der Platte, als auch der Vor-Album-Versionen, die auf „Fragments“ enthalten sind. Auch wenn in den veröffentlichten Verlautbarungen der Plattenfirma heruntergespielt werden soll: In seinen Liner Notes für das Album schreibt Steven Hyden: „Das Album selbst wurde neu abgemischt, um mehr danach zu klingen, wie die Songs rüberkamen, als die Musiker sie ursprünglich im Raum spielten, ohne die Effekte und die Bearbeitung, die Lanois später anwendete. Es soll nicht das „Time Out of Mind“ ersetzen, das vor einem Vierteljahrhundert all diese Grammys gewonnen hat; Es ist eine Neuinterpretation, eine alternative Sicht auf ein großartiges Kunstwerk. Wenn das Originalalbum mythisch und rätselhaft bleibt, bringt Sie dieses Time Out of Mind in die Nähe der Musiker.“
Mehr Klarheit im Sound – mehr Country- und Americana-Feeling
Und so klingt der 2023er Remix viel einfacher, klarer und näher. Er zielt straight auf den Hörer. Das mag vielleicht hier und da weniger kunstvoll oder tief klingen, aber auf seine Weise mindestens ebenso berührend. So wie bei „Standing In The Doorway“, das nun mehr denn je wie ein trauriger Countrysong klingt. Ebenso bei „Tryin To Get to Heaven“. Hier schluchzen Pedal Steel und Slide Guitar eng umschlungen beim langsamen Country Waltz. Und „Highlands“ gewinnt noch mehr Profil als langsam voranschreitende Folk-Ballade.
Bei den Outtakes und Alternates fügt sich nun das alte Traditional „The Water Is Wide“, das Dylan bei der Rolling Thunder Review 1975 gerne so schmissig intoniert hat, in die langsamen, nachdenklichen Melodien ein. Dagegen wirkt der große Gassenhauer „Make You Feel My Love“ noch zuckriger als in der letztlichen Albumversion. „Mississippi“ aber, das wird hier deutlich, hatte Dylan richtigerweise nicht auf die Platte genommen, es musste weiter reifen, durch Sheryl Crows Aufnahme eine Referenzversion erfahren, um dann neu bearbeitet in der passenden Variante 2001 auf „Love And Theft“ seinen Platz zu finden. Und „Not Dark Yet“, das große dunkelgraue Geheimnis, erfährt hier durch ein lustig-hüpfendes Gitarrenriff sogar eine gewissermaßen ironisch-humorige Note. So stark können sich Bedeutungsebenen von Song durch die musikalische Umsetzung verändern.
Sowohl Remix und Alternate Takes zeigen also nochmals so richtig auf, welche großes Americana-Werk sich hinter dem Lanois-Mix verbirgt. Und so erfüllt auch hier wieder die Bootleg Series eine wichtige Aufgabe: Sie macht den Schaffensprozess eines Albums deutlich, lotet mögliche Alternativen aus und gibt und neue Perspektiven auf das Dylan’sche Werk.
Fazit: Und genau das bekommt Dylans Werk und seiner Rezeption gut. Dylan ist wie nur wenige Künstler einer, der stets an seinen Songs arbeitet. Er ist nach der Aufnahme mit dem Album fertig. Nicht aber mit den Songs. Die bearbeitet er auf der Bühne zum Teil noch jahrzehntelang. Sie sind sein lebendiges Gut, mit dem er machen was er will. Und der 17. Teil der Bootleg Series zeigt erneut, welche Qualität das hat. Die Bootleg Series bleibt des alten Barden Wundertüte!
Bob Dylan – Fragments: Time Out Of Mind Sessions (1996 – 1997): The Bootleg Series Vol. 17: Das 2023er Album
Titel: Fragments: Time Out Of Mind Sessions (1996 – 1997): The Bootleg Series Vol. 17
Künstler: Bob Dylan
Veröffentlichungstermin: 27. Januar 2023
Label: Legacy, Columbia Records (Sony Music)
Format: CD, Vinyl & Digital
Tracks: 23
Genre: Americana
Trackliste: (The Bootleg Series Vol. 17) – CD 1
01. Love Sick – 2022 Remix
02. Dirt Road Blues – 2022 Remix
03. Standing In The Doorway – 2022 Remix
04. Million Miles – 2022 Remix
05. Tryin‘ To Get To Heaven – 2022 Remix
06. ‚Til I Fell In Love With You – 2022 Remix
07. Not Dark Yet – 2022 Remix
08. Cold Irons Bound – 2022 Remix
09. Make You Feel My Love – 2022 Remix
10. Can’t Wait – 2022 Remix
11. Highlands – 2022 Remix
Trackliste: (The Bootleg Series Vol. 17) – CD 2
01. The Water Is Wide
02. Red River Shore – Version 1
03. Dirt Road Blues – Version 1
04. Love Sick – Version 1
05. Tryin‘ To Get To Heaven – Version 2
06. Make You Feel My Love – Take 1
07. Can’t Wait – Version 1
08. Mississippi – Version 2
09. Standing In The Doorway – Version 2
10. Not Dark Yet – Version 1
11. Cold Irons Bound
12. Highlands