Merle Haggard ist tot
Merle Haggard am starb am 6. April 2016.
Ich sitze hier und starre auf diese Überschrift – sprachlos – leer. Facebook und das Internet quillen nach wenigen Minuten schon über. Die ganze (Country Music) Welt steht unter Schock. Dies ist längst nicht der erste Nachruf, den ich schreibe. Es ist eher der, den ich nicht schreiben will und doch freiwillig schreibe.
In den wenigen Minuten habe ich Sätze gelesen wie „Er war ein großer Sänger“, „Seine Musik wird weiterleben“, „Ich mochte ihn“ oder auch „Meine Mutter hat ihn eben bestimmt am Himmelstor begrüßt“ (letztere Meldung kam aus den USA). Was schreibe ich, um diesem Giganten gerecht zu werden? Wenn ich nur ansatzweise versuche, etwas über sein Leben oder seine Karriere zu schreiben, sitze ich nächste Woche noch hier.
Nein, ich beschreibe einfach, was mir gerade durch den Kopf geht. Er ist „der“ Künstler, den ich nie gesehen habe und immer sehen wollte. Warum habe ich 1988, als Student ohne wirklich viel Geld, nicht doch 132,- DM bezahlt, die weitere Fahrt nach München plus eine Übernachtung in Kauf genommen, anstatt für 88,- DM nach Frankfurt zu fahren (in München gab es Merle Haggard und Willie, in Frankfurt „nur“ Willie)? Jetzt ist es auch zu spät, leider! Tonnenweise Platten, CDs und Videos habe ich mir „in den Schädel gekloppt“. Die Sucht nach Hag wollte irgendwie halt doch ausgelebt werden.
Es gibt zwei Künstler, die locker den Hauptplatz in meinem Herzen hätten einnehmen können. Waylon habe ich wenigstens gesehen, mehrfach, Hag dagegen nie. Aber beide mussten den Platz hinter Johnny Cash einnehmen. Ich wurde einmal, in Anbetracht der vielen Johnny Cash-Konzerte, die ich sehen durfte, von einem Menschen gefragt, ob ich nicht eine dieser vielen Johnny Cash Shows dafür eintauschen würde, seinen Bruder Tommy mal live zu sehen. Die Frage war noch nicht ganz gestellt, als mein lautes „nein“ schon zu hören war. Vor ein paar Minuten stellte ich mir diese Frage noch einmal, in Bezug auf „The Hag“. Ich habe mich diesem Gedanken verweigert, seit Jahren. Habe die Hoffnung aufrecht erhalten, Merle zu sehen. Nur einmal.
Nun ist es zu spät. Abgesehen davon, dass es ja auch nicht möglich wäre, selbst wenn der „Poet Of The Common Man“ noch leben würde, so wie heute Morgen, als Facebook mit „Happy Birthday Hag“ Meldungen überquoll. Ja, natürlich! Natürlich würde ich ein Cash-Konzert eintauschen, sogar zwei, und wenn nötig auch drei! 1994 hatte ich eine Einladung zur Aufzeichnung der ersten „Marty Party“ für TNN. Marty Stuart hatte sich Merle Haggard als Gast eingeladen, und ich war von Martys Managerin eingeladen worden, im Publikum zu sitzen. Ich hätte ihn gesehen, vielleicht sogar persönlich getroffen, wer weiß. Aber nein, es hat nicht sollen sein.
Und nun sitze ich hier und starre nicht mehr auf die Überschrift, weil ich genug geschrieben habe, um sie nicht mehr zu sehen. Vielleicht vermissen Sie, liebe Leser, an dieser Stelle die üblichen Daten zur Person. Mit Verlaub, Sie lesen ein Magazin über Country Music, und ich spreche von Merle Haggard. Wem bitte muß man denn erklären, wer Merle Haggard ist, wenn sie/er Country Music hört und/oder sich dafür interessiert?
Die ganze Zeit suche ich nach einer Textzeile, die zu meinem emotionalen Zustand passt, jetzt gerade. „I’ll never swim Kern River again…“ „Are the good times really over…“ Die Songs verschwimmen ineinander. Merle Haggard-Songs, natürlich. Ich versuche zum bestimmt zehnten Mal, auf merlehaggard.com zu kommen – vergebens. Gerade so wie am 12.09.2003, als johnnycash.com stundenlang überlastet war. Und da haben wir auch die Dimension dieses Giganten. Ich denke an Menschen, deren Johnny Cash Merle Haggard war. Barry, Jutta, ein Mann aus den USA namens Dale Houston, durch dessen Posting ich die Nachricht sah und sofort wusste, dass das keine Ente sein kann.
Während ich diese Zeilen hier schreibe, sehe ich auf Facebook nur noch Merle Haggard. Vielleicht ist das die einzig wahre Würdigung eines Mannes, dessen Songs die Zeiten überdauern werden, dessen Platten immer gekauft und dessen DVDs zukünftig heiß laufen werden. Wir betrauern den größten lebenden Country-Sänger, dessen Tod ein unbeschreibliches Loch in diese Musikrichtung reißt. Die Country Music hat eben ihr Herz verloren.
Ben Haggard, Sohn und Leadgitarrist bei den „Strangers“, hat ein sehr berührendes Foto gepostet, zusammen mit der Nachricht über den Tod seines Vaters. Der Sohn hält die Hand des Vaters. Am Ende ist es diese Verbundenheit, die uns erreicht und bewegt. Unsere Gedanken und unser Mitgefühl sollten der Familie gelten, seiner Frau Teresa und den Kindern.
Eben sah ich ein Posting meines Freundes und Kollegen Bernd Wenserski, dessen wunderbare Artikel dieses Magazin Country.de bereichern. Wir beide sind große Eric Church-Fans. Bernd postete den Link zum Song „Pledge Allegiance To The Hag“ und hat dazu folgende Worte geschrieben: „Thanks Hag… let’s celebrate a legend!“ Dem ist dann nichts mehr hinzuzufügen. Lasst uns diesen Giganten in Würde und Dankbarkeit feiern!
Ach ja, fast hätte ich es vergessen: Happy birthday, Hag, und ruhe in Frieden! Danke für die Musik, die unser Leben begleitet hat und weiter begleitet, danke für all‘ die großartigen Songs, und danke für die Emotionen, die Deine Songs auslösen und weiter auslösen. „… like the hippies out in San Francisco do and still do…“ „First thing I remember knowin’…“ „I caught this ramblin‘ fever long ago…“ „It’s a big job just gettin‘ by with nine kids and a wife…“ „Turn me loose, set me free, somewhere in the middle of Montana…“ „Sing me back home with a song I used to hear, make my old memories come alive. Take me away and turn back the years, sing me back home before I die.“