Eric Church: Desperate Man
Tiefschürfende Lyrics und kreative Arrangements. Eric Church liefert mit "Desperate Man" ein Meisterwerk ab.
In der gleichförmigen, auf schnelle Hits ausgerichteten Welt des New Country sind kreative Ausbrüche selten geworden. Als Garant für freigeistige Störfeuer dieser Art hat sich Eric Church über die Jahre einen Namen gemacht. Durch das spektakuläre Dreier-Set „Chief“, „The Outsiders“ und „Mr. Misunderstood“ hat der Szene-Rebell aus North-Carolina das Country-Album zu einer Kunstform emporgehoben und darauf eine einzigartige Fankultur aufgebaut.
Von unbequem bis durchgeknallt, von stilfremd bis provokant reichen die Kommentare, die jedes neue Release des Teams um den Künstler und seinen Produzenten-Guru Jay Joyce begleiten. Es sind Ereignisse, zu denen Fans ihre Kalender rot markiert haben und die Offiziellen der Szene den Atem anhalten. Dazu zählt auch der 5. Oktober 2018, der Stichtag des sechsten Eric-Church-Albums unter dem Titel Desperate Man.
Nicht wenige Musiker sind im Laufe ihrer Karriere daran gescheitert, die Qualität vergangener Top-Releases zu erreichen. Auch bei Eric Church hängt die Messlatte nach dem preisdekorierten Fanfavoriten „Mr. Misunderstood“ entsprechend hoch. Kann der Singer-Songwriter aus den Bergen Carolinas auch dieses Mal seine musikalische Komfortzone erweitern ohne an Qualität zu verlieren?
Mit dem Vorabrelease der Titelsingle „Desperate Man“ hat sich der Hexenmeister aus Granite Falls bereits in die Karten schauen lassen. Nach „Homeboy“, „The Outsiders“ und „Mr. Misunderstood“ eröffnet auch die aktuelle Leadsingle mit einem Thema, das die inneren Grabenkämpfe der menschlichen Natur mit allen Irrungen und Verfehlungen darlegt. Der Song geht smart und catchy durch die Gehörgänge und kann rhythmisch als „Sympathy For The Devil meets Chattanooga Lucy“ beschrieben werden. Ein gelungener Vorbote, dessen schnörkellose Machart noch keine Rückschlüsse auf den Stil des 11-teiligen Machwerkes zulässt.
Starten wir mit dem Opener „The Snake“. Ein 70-sekündiges Akustikintro baut einen Spannungsbogen auf, dessen Mystik Analogien zu dem Outsiders-Epos „Princess Of Darkness“ weckt. Es folgt ein in gesprochenen Versen gefasster Dialog zwischen Kupferkopf- und Klapperschlange und deren Machtoptionen gegenüber der Menschheit. Letztlich ist es der Interpretation des Hörers überlassen, das Motiv der biblischen Verführung auf die aktuelle politische Klasse zu übertragen. Neben den düsteren Vibes sind unter anderem Riffanalogien zu dem Chief-Klassiker „Creepin‘“ zu entdecken. Eine musikalische Schatztruhe für alle Church-Insider!
Es folgt mit „Hangin‘ Around“ eine spannende Mischung aus Motown- und Modern-Funkelementen, die Eric Church zu stimmlichen Eruptionen antreibt. „Heart Like A Wheel“ ist eine mit starken Motiven unterlegte Singer-Songwriter-Love-Story. Das soulige Intro gleitet harmonisch in einen gospelinfizierten Chorus über, der gegen Ende durch massive Backgroundunterstützung an Intensität zunimmt. Ein Megasong mit dem Zeug zum Standard!
Jedes Eric-Church-Album benötigt mindestens einen melodischen Hooker, der auf die Bedürfnisse des Country-Radios zugeschnitten ist. Nach „Record Year“ übernimmt „Some Of It“ auf dem neuen Werk diese Rolle – verpackt in die bitter-süße Erkenntnis, dass man keine noch so schmerzhafte Erfahrung umsonst macht. Dass sich die wahren Monster des Lebens nicht unter dem Bett verstecken, wird auf dem folgenden Track auf berührende Weise erzählt. Der Geniestreich „Monsters“, aus der Co-Feder von Band-Mastermind Jeff Hyde, zeigt Eric Church in Reinkultur. Unverfälscht, emotional und mit gewohnt lyrischer Finesse.
Mit „Hippie Radio“ und dem von den Grenzen der modernen Gesellschaft handelnden „Jukebox And A Bar“ finden sich zwei Tracks, deren Nostalgiefaktor beruhigende Wirkung verströmt. „Higher Wire“ hingegen ist ein bluesgetränkter Love-Call, der den entrückt wirkenden Chief in gesanglich ungeahnte Höhen treibt.
Vielleicht ist „Solid“ der insgesamt bemerkenswerteste Beitrag dieses hochklassigen Albums. Das Opening ist sicher nicht zufällig an Pink Floyds „Shine On You Crazy Diamond“ orientiert und lebt von der klaren Botschaft, dass man sich vom äußeren Glanz nicht blenden lassen sollte. Mit dem finalen „Drowning Man“ liefern Church, Joyce & Co, ein mit Rock-Riffs garniertes stilistisches Wechselbad ab. Hier wird eindrucksvoll unterstrichen, dass die für unmöglich gehaltene Weiterentwicklung des Interpreten und Songwriters Eric Church ausnahmslos gelungen ist. Das frühe Ende nach nur 37 Minuten verführt zum Albumgenuss in Dauerschleife.
Top-Tracks: „The Snake“, „Heart Like A Wheel“, „Monsters“, „Solid“, „Drowning Man“.
Fazit: „Desperate Man“ ist ein weiteres Beispiel für den Aufstieg Eric Churchs vom New-Country-Rocker zum universellen Musikperformer. Mit tiefschürfenden Lyrics, kreativen Arrangements und einzigartiger Interpretationsgabe wird ein Werk hinterlassen, das in der Seele des geneigten Hörers tiefe Spuren hinterlässt.
Eric Church – Desperate Man: Das Album
Titel: Desperate Man
Künstler: Eric Church
Veröffentlichungstermin: 5. Oktober 2018
Label: EMI Nashville
Vertrieb: Universal Music
Formate: CD, Vinyl & Digital
Laufzeit: 36:41 Min.
Tracks: 11
Genre: New Country
Bewertung: 5 von 5 möglichen Punkten!
Trackliste: (Desperate Man)
01. The Snake
02. Hangin‘ Around
03. Heart Like A Wheel
04. Some Of It
05. Monsters
06. Hippie Radio
07. Higher Wire
08. Desperate Man
09. Solid
10. Jukebox And A Bar
11. Drowning Man